„Egal was man glaubt, es ist die beste Geschichte aller Zeiten.“ Drew Sarich muss es wissen, hat er wahrscheinlich von allen Beteiligten am meisten Erfahrung mit Andrew Lloyd Webbers 1971 uraufgeführter Rockoper „Jesus Christ Superstar“, die neben „Tommy“ und „Hair“ den Aufbruchsgeist und den gesellschaftspolitischen Umbruch der Hippie-Ära am nachhaltigsten dokumentierte.

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Der Musicalstar und Solokünstler spielte mehrfach sowohl Jesus als auch Judas. „Mit Themen wie Liebe, Verrat, Politik, Glauben, Hingabe und Angst kann sich jeder identifizieren und fragt sich dabei hoffentlich auch: Was hätte ich getan?“, skizziert er die weit über die stets geforderte Aktualität hinausgehende Universalität des Stoffes. In der aktuellen Spielzeit, wie immer rund um Ostern, steht das seit 52 Jahren populäre Werk erneut auf dem Spielplan des Raimund Theaters – und zwar nicht in szenischer Form, sondern als pure musikalische Darbietung.

„Es ist schön, zu sehen, welchen Kultstatus unsere konzertante Fassung von ‚Jesus Christ Superstar‘ beim Publikum mittlerweile genießt“, freut sich VBW-Musical-Intendant Christian Struppeck. „Aus diesem Grund zeigen wir auch dieses Jahr wieder die legendäre und weltbekannte Rockoper von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice, die immer noch als globales Phänomen gilt.“ Und zwar in großer Orchesterbesetzung – unter der Regie von Alex Balga. Neben Drew Sarich als Jesus sind Nienke Latten als Maria Magdalena und Alex Melcher als Judas in den Hauptrollen zu sehen.

Christian Struppeck

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Sympathie für den Verräter

„Thematisch und auch musikalisch war ‚Jesus Christ Superstar‘ bei seiner Uraufführung einerseits revolutionär, andererseits auch kontrovers“, weiß Alex Balga. „Die letzten sieben Tage von Jesus mit Rockmusik der rebellischen 60er-Jahre, das spiegelt den Zeitgeist einer ganzen Generation. Die Geschichte noch dazu aus der Sicht seines Verräters zu zeigen und ihn sogar als Sympathieträger einzusetzen, der seinen besten Freund warnen und aus Liebe sogar retten will, war für viele ein Skandal.“

Fundamentalistische Gruppen liefen Sturm gegen das Werk, vor allem Judas, aber auch Maria Magdalena waren ihnen zu positiv dargestellt. In Weißrussland wurde das Stück noch 2012 aus oben genannten Motiven verboten.

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Mark Seibert und Nienke Latten

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Dem Erfolg konnten diese Störfeuer freilich von Beginn an nichts anhaben, die Originalinszenierung brachte es auf 720 Aufführungen, der 1973 herausgebrachte Film gleichen Titels wurde ein Welterfolg.

Für die Christen ist er Gottes Sohn, für Muslime ein Prophet, für Atheisten ein charismatischer Esoteriker – was macht Jesus aber zum Superstar? Alex Melcher, der ihn ebenfalls bereits dargestellt hat, in Wien aber Judas verkörpern wird, holt ein wenig aus: „Ein Superstar ist eine Person, die alle anderen Stars an Berühmtheit überragt. Er ist abhängig von PR-Strategien und größeren Institutionen der Macht, die seine Auftritte decken, ermöglichen und nutzen. Das Superstar-Wesen ist gebunden an weltweit ausstrahlende Mediensysteme und die auf diese einwirkenden Agenten. Wenn man dies auf Jesus überträgt, erscheinen deutliche Gemeinsamkeiten. Man könnte sich vorstellen, dass Jesus unter all den Predigern besonders hervorstach. Letzten Endes wurde er jedoch erst durch die Verbreitung seines Wirkens zum Superstar. Seine PR-Agenten waren die Jünger, Evangelisten und später dann die Kirche. Sie haben ihn auf der ganzen Welt berühmt gemacht und waren somit ein Mediensystem der damaligen Zeit.“

Seine PR-Agenten waren die Jünger, Evangelisten und später dann die Kirche. Sie haben ihn auf der ganzen Welt berühmt gemacht und waren somit ein Mediensystem der damaligen Zeit.

Alex Melcher

Yin und Yang

Was für ein Mensch ist indes Judas Iskariot, der Alex Melcher ebenfalls seit langem sehr vertraut ist? „Er ist ein Revolutionär, er möchte Veränderung für das unterdrückte Volk. Wenn nötig, mit Gewalt. Jesus ist sein Komplize. Beide träumen von einem besseren Zustand. Allerdings beginnt Jesus, einen widerstandslosen, für Judas völlig unsinnigen Weg zu gehen. Für Judas ist der Verrat ein verzweifelter Versuch, Jesus aus der Reserve zu locken.“ Ist er tatsächlich nur ein Werkzeug Gottes oder doch auch Mittäter? Alex Melcher muss nicht lange nachdenken: „Jesus und Judas sind ein typisches Beispiel für Yin und Yang. Ursprünglich bezeichnete Yang die der Sonne zugewandte und Yin die der Sonne abgewandte Seite eines Berges. Yin und Yang sind voneinander abhängig und schaffen einander. Yang kann nur durch Yin entstehen und umgekehrt, sie definieren sich gegenseitig. Und so verhält es sich auch mit dem ‚Plan Gottes‘. Er wäre ohne Judas nicht durchführbar gewesen.“

Alex Melcher spielt Judas. Der deutsche Musicaldarsteller wurde in Wien als Alfred in „Tanz der Vampire“ und Galileo in „We Will Rock You“ bekannt. Seit 2018 spielt er in Jim Steinmans „Bat Out of Hell“ in Oberhausen die Rolle des Falco.

Foto: privat

Rehabilitierte Sünderin

Konservativen christlichen Kreisen bis heute ein Dorn im Auge ist auch Maria Magdalena, von der es in der Bibel zwar wenig Zeugnis gibt, die später aber zur verruchten Legende hochstilisiert wurde – irgendwo angesiedelt zwischen Prostituierter und der Geliebten Jesu. Oft wurde sie auch als die namenlose fußwaschende Sünderin im Lukas-Evangelium identifiziert.

Ihre Darstellerin in Wien, Nienke Latten, sieht in ihr vor allem „eine starke Frau“, will dem Probenprozess und dem Bild, das Regisseur Alex Balga möglicherweise von ihr hat, allerdings auch nicht vorgreifen.

Jesus Christ Superstar
Alex Balga führt Regie. Der österreichische Theaterregisseur und Intendant des Musical Sommers Amstetten studierte selbst Schauspiel, Gesang und Tanz. Auf sein künstlerisches Konto gehen bis dato 25 Inszenierungen.

Foto: Jan Frankl

„Jeder kennt die Musik“, erklärt sie das Außergewöhnliche des Stücks, „als ich zum Beispiel meiner Mutter gesagt habe, dass ich diese Rolle spielen werde, hat sie sofort den Film gekauft, um einen Teil ihrer Jugend noch einmal zu erleben. Meine Eltern werden auch zur Premiere anreisen.“ Maria Magdalenas Song „I Don’t Know How to Love Him“ ist einer der bekanntesten und berührendsten der Rockoper und gehört auch zu den zwei Lieblingsnummern von Nienke Latten. „Die erste ist ‚Gethsemane‘, ein kraftvolles Lied, das von Jesus gesungen wird. Ich kann es kaum erwarten, es von Drew zu hören, denn ich habe seine Aufnahmen während meiner Ausbildung oft gehört und bin geehrt, jetzt mit ihm spielen zu dürfen.“

Auf „Gethsemane“ als wahrscheinlich stärkste Nummer des Stücks können sich übrigens auch Drew Sarich und Alex Melcher einigen.

Jesus Christ Superstar
Nienke Latten spielt Maria Magdalena. Die Niederländerin gab ihr Debüt als Maria in „West Side Story“ und war in Stuttgart und Hamburg Prinzessin Jasmin in Disneys „Aladdin“. Seit September spielt sie „Ich“ in „Rebecca“ am Raimund Theater.

Foto: Andreas Jakwerth

Apostel als Follower

Dass „Jesus Christ Superstar“ konzertant aufgeführt wird, also ohne szenisches Korsett auskommen muss, tut für die Darsteller*innen eigenen Angaben zufolge nichts zur Sache.

Oder, wie Drew Sarich es ausdrückt: „Ich betrachte alle guten Stücke und so auch ‚Jesus Christ Superstar‘ wie ein Steak. Wenn es gut gemacht ist, muss man wenig draufschmieren. Lasst die Musik und den Text im Vordergrund stehen, und es kann nur gutgehen!“

Regisseur Alex Balga sieht dies naturgemäß ein wenig anders und erklärt das Konzept seiner Inszenierung: „Der konzertante Aspekt der Aufführung wird durch den Aufbau des Orchesters der VBW, das sichtbar auf der Bühne platziert ist, hervorgehoben. Wege und kleine Bühnen inmitten der Musiker ermöglichen es den Darstellern, im Zentrum des gewaltigen Orchestersounds zu agieren. Die Inszenierung zeigt eine Gruppe von Menschen, welche die Gesellschaft der heutigen Zeit widerspiegeln soll und die Geschichte aus aktueller Sicht erzählt. Aus den Aposteln werden ‚Follower‘, die Jesu Botschaft durch die sozialen Medien verbreiten. Alles passiert im Hier und Jetzt. Videoprojektionen aktueller Ereignisse, gepaart mit der vibrierenden Energie des Ensembles, erzeugen bewegende Bilder unserer Zeit, die zeigen, dass ‚Jesus Christ Superstar‘ nichts von seiner Aktualität verloren hat.“

Zum Abschluss noch eine Frage an den US-Bürger Drew Sarich. Wird das Stück in Europa anders rezipiert als in den USA? „Ich kann mir vorstellen, dass man in Amerika etwas sentimentaler ist. Christus wird stets als netter junger Mann dargestellt. Ich sage aber immer wieder: Man wird nicht an ein Kreuz genagelt, weil man nett war.“

Zu den Spielterminen von „Jesus Christ Superstar“ im Raimund Theater