Niemand kommt um sie herum. Sie ist die kaiserliche Ikone schlechthin, eine wienerische Kulturgut, die bis heute im internationalen Scheinwerferlicht steht, eine Sehnsuchtsfigur für so viele seit Kindertagen. Wer ihren Namen hört, hat sofort Bilder im Kopf: Ihr Haar fällt in dichten Locken bis zum Boden, sie spricht nur im Flüsterton, zart und geheimnisvoll, und keine andere weit und breit konnte je den Umfang ihrer Wespentaille erreichen, egal wie sehr sie sich auch hinunterhungerte. Sie ist die ungeschlagene „Kitschbitch von Österreich“.

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Aber warum hält sich diese mythische Sisi bis heute so hartnäckig in den Köpfen und Herzen der Menschen? Warum findet man sie bis heute auf jeder zweiten Schokokugel, auf jedem Lastwagen, in jeder Netflix-Serie und auf jeder Musicalbühne? 127 Jahre tot. Und doch nicht wegzudenken aus dem öffentlichen Interesse. Wir können scheinbar einfach nicht genug von ihr bekommen. (Auch nicht im Burgtheater.) Denn die junge, schöne Sisi, so wie sie uns immer und immer wieder präsentiert wird, verkörpert ganz einfach das Bild der perfekten Frau. Und das, obwohl – oder gerade weil – sie eigentlich nichts tat. Sie ritt, sie schwamm, sie darbte, das ja. Wir alle kennen die Sisi, die auf dem Pferderücken halsbrecherische Stunts durchführte oder die sich in ihrer Todessehnsucht an einen Schiffsmast binden ließ.

Aber all die Geschichten der „wilden Kaiserin“, über die der Kaiser nur besorgt den Kopf schütteln konnte, fanden doch immer im feinsäuberlich abgesteckten Rahmen des Systems statt. Sie war also die perfekte Frau, weil sie die perfekt passive Frau war. Nie aufmüpfig, nie politisch, nie aktiv gegen die kaiserlichen Kräfte, die ihr zu Macht verholfen hatten. Höchstens interessiert an ihrer Selbstkonservierung oder -auflösung. Hier zeigt sich in meinen Augen ein riesiges Paradox: Gerade weil Sisi eigentlich für nichts mehr stand als für ihre Schönheit und ihre Passivität, erinnern wir uns so gern an sie.

Die Frauenfiguren, die Mareike Fallwickl ihr gegenüberstellt – Karoline von Perin, Gisèle Pelicot, Imane Khelif, Rosa Parks –, zeichnen sich durch das absolute Gegenteil aus. Sie sind Frauen, die etwas
verändern wollten, die ungemütlich waren und laut. Gerade deswegen werden ihre Taten in der Geschichtsschreibung verfälscht – zugunsten patriarchaler Narrative – oder sogar gänzlich ausradiert.
Doch nicht Elisabeth, sondern ebendiese Frauen, an die wir uns heute falsch oder gar nicht erinnern beziehungsweise nicht erinnern wollen, weil sie uns vor unangenehme Tatsachen stellen, waren
es, die den Weg geebnet haben für die Möglichkeit einer feministischen Freiheit (und deshalb auch die Freiheit aller). Eine Freiheit, die schon lange nicht mehr so bedroht war wie jetzt.

Sieht man sich die aktuelle politische Lage des Landes an, wird schnell klar: Wir leben in einer rückwärtsgewandten Welt. Einer Welt, in der sich die Mächtigen wieder an das Bild der perfekten, passiven Frau klammern. Deswegen ist die Zeit reif – das weiß auch unsere wiederauferstandene Sisi –, die Geschichten und Kultfiguren, die den unterdrückerischen Status quo instand halten, zu entthronen.

In „Elisabeth!“ tritt 127 Jahre nach ihrem Tod eine solidarische Elisabeth auf, die uns in dieser langen Zeit zugeschaut und mit uns gelernt hat. Die dazu verdammt war, uns von jeder Schokokugel und jedem Lastwagen aus zu beobachten, und die sich darüber wundern muss, wie wenig sich bei uns tatsächlich geändert hat. Denn das Patriarchat ist nicht wie die Monarchie zwischen den Seiten verstaubter Geschichtsbücher verschwunden, es präsentiert sich nur in einem neuen, glänzenden Schokokugelpapierl.

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Um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, unternimmt Sisi also ihren eigenen Entthronungsversuch. In diesem Prozess entwirrt sie die Mythen, die sich um ihre Person ranken, und räumt mit dem Bild ihrer eigenen Perfektion auf. Sie fragt: „Und wie kannst du dann aber: ein echter Mensch sein. Als Frau, als Kaiserin ein Mensch sein, der schwitzt und hatscht, der stinkt und auf der Erde klebt, nicht gleiten will und fliegen, sondern ein Gewicht haben und eine Bedeutung?“

Aus dem Versuch heraus, einen Raum für die Wahrheit zu schaffen oder etwas, das eben näher dran ist an der Wahrheit als all die weichgewaschenen, verschnörkelten Erzählungen über sie, konfrontiert sie sich mit den Themen Körperbild, Muttersein, Heirat, Selbst- und Fremdbestimmung, Gewalt und Macht. Und findet dabei heraus: Sie ist weder Opfer noch Täterin. Oder eben beides. Weil wir diesen Widerspruch aushalten müssen, wenn wir den kitschigen Pappaufsteller zum Menschen machen wollen. Unsere Elisabeth tritt aus ihrer perfekten Passivität heraus und erschafft aktiv einen Raum für Widersprüche. Sie wechselt die Perspektive: „Ihr seid so sehr daran gewöhnt, mich anzuschauen – heute schau ich zurück.“

Hier zu den Spielterminen von "Elisabeth!" im Burgtheater!