„Mir ist es wichtig, dass die Leute wirklich eine Erfahrung davontragen, sie etwas möglicherweise Unbekanntes erleben und das vielleicht sogar auf physischer Ebene spüren“, erklärt Choreografin und Tänzerin Florentina Holzinger, wenn man sich bei ihr danach erkundigt, welches Gefühl ihr Publikum aus ihren Shows mitnehmen sollte. Sehr viel weniger wichtig ist ihr, ob die Menschen, die sich ihre Stücke ansehen, rational verstehen, „was ich mache und warum ich etwas mache“.

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Weil sie ihrem aktuellen Stück, das am 23. Oktober zum ersten Mal in Wien gezeigt wird, den Titel „A Divine Comedy“ gegeben hat, wird sich das diesmal allerdings nur schwer vermeiden lassen. „Es wird wohl so sein, dass die meisten vorher Dantes ‚Göttliche Komödie‘ googeln werden“, begründet Florentina Holzinger ihre Einschätzung lachend. Nach einem ähnlichen Zustand sucht sie auch bei sich selbst, wie sie erklärt. „Ich versuche eine Art von unbekanntem Erlebnis zu haben und mag es gerne, wenn ich danach das Gefühl habe, durch etwas durchgearbeitet zu haben.“

Wie trainiert man für den Tod? In „A Divine Comedy" nähert sich Florentina Holzinger unter anderem dieser Frage an.

Foto: Katja Illner

Für den Tod trainieren

Zu sagen, dass Florentina Holzinger mit ihrer aktuellen Show auf den Spuren Dantes unterwegs ist, wäre auf jeden Fall zu kurz gegriffen. Das Werk des italienischen Dichters stand auch nicht am Anfang ihrer Auseinandersetzungen, sondern die Beschäftigung mit der Geschichte des Totentanzes. „Es ist eine göttliche Komödie, aber nicht die göttliche Komödie“, so die Choreografin. Die Verhandlung von Leben und Tod, die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit, aber auch Nachleben und Transzendenz spielen in der bei der Ruhrtriennale uraufgeführten Show eine wichtige Rolle. Ein zentraler Teil des Stücks ist die Reflexion einer achtzigjährigen Tänzerin über ihr Leben und ihre Karriere, während sie ihre Beerdigung plant und probt. „Wir haben uns anfänglich die Frage gestellt, wie man für den Tod trainiert, wie man sich dem annähert, wissend, dass Selbstoptimierung auch eine Art von Verdrängungsmechanismus ist“, so Holzinger.

Training und Selbstoptimierung – auch dem Genre selbst immanent – waren schon wichtige thematische Bestandteile ihrer bisherigen Shows. Auf gewisse Art und Weise schließt sich dadurch aber auch der Kreis zu Dantes „La divina commedia“ – und zwar wortwörtlich. „Auch bei Dante zirkuliert und wiederholt sich alles. In gewisser Weise gibt es also auch bei ihm dieses Trainingsmomentum, wo man nie weiß, ob sich überhaupt etwas fortbewegt oder nicht“, fasst Florentina Holzinger, deren künstlerische Position gerne als „extrem“, „schockierend“ und „radikal“ bezeichnet wird, zusammen.

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Erwartungen spielen eine Nebenrolle

Den bereits erwähnten Zuschreibungen, von denen einige immer wieder darauf abzielen, Florentina Holzinger in der Nähe des Wiener Aktionismus zu verorten, schenkt sie nicht allzu viel Beachtung. „Ich würde Energie verschwenden, wenn mich das wirklich ärgern würde. Von vielen Häusern wird es auch als Marketingmaßnahme verwendet. Ich sehe das aber recht gelassen. Speziell bei dieser Show, die eigentlich sehr ernsthaft, fast schon konventionell ist. Ich würde das auf jeden Fall nicht unter diesem Kriterium beurteilen, denn was heute als radikal angesehen wird, ist morgen schon wieder überhaupt nicht mehr radikal.“

Natürlich provoziert mich das in gewisser Art und Weise. Ich versuche in jeder Show diese Erwartungen sowohl zu erfüllen als auch komplett damit zu brechen und die Leute aufs Ärgste zu langweilen."

Florentina Holzinger

Auch den möglicherweise damit einhergehenden Erwartungen seitens des Publikums steht sie entspannt gegenüber. „Natürlich provoziert mich das in gewisser Art und Weise. Ich versuche in jeder Show diese Erwartungen sowohl zu erfüllen als auch komplett damit zu brechen und die Leute aufs Ärgste zu langweilen“, sagt sie und lacht. Zu viel Bedeutung sollte man den eigenen Erwartungen bei ihren Arbeiten, die sich stets zwischen Hochkultur, Akrobatik, Kampfsport, Splatter und Stuntshow abspielen, ohnehin nicht beimessen, sondern lieber dafür bereit sein, sich in bisher unbekannte Gefühlswelten vorzuwagen. Auch um in auf den ersten Blick vielleicht befremdlich wirkenden Dingen, eine Form der Poesie zu erkennen.

Tanz mit den Tod

Wer möchte, kann sich bei Florentina Holzingers Version der „göttlichen Komödie“ auch in einen anderen Bewusstseinszustand befördern lassen. Zum Stück gehört nämlich auch, dass sich vier Menschen aus dem Publikum in Hypnose begeben. „Diese Idee stammt aus der anfänglichen Suche nach Totentänzen und der Beschäftigung mit der Frage, was es eigentlich bedeutet, mit dem Tod zu tanzen. Aber auch aus der Suche nach Zuständen, die dem Tod ähnlich sind, wie Schlaf und Bewusstlosigkeit“, sagt Holzinger. Außerdem findet sie es als Choreografin interessant, dass das Publikum den Anfangsteil der Show selbst performt und dadurch dieses komplexe Thema selbst zu erörtern beginnt.

Am 23. Oktober ist „A Divine Comedy" erstmals in Wien zu sehen.

Foto: Nicole Marianna Wytyczak

Tanz im Stadttheater

Seit der Uraufführung von „Étude for an Emergency“ an den Münchner Kammerspielen, begannen sich immer mehr Stadttheater für Florentina Holzingers Arbeiten zu interessieren. Mit der Berliner Volksbühne ist sie momentan sogar sehr eng verbunden. Die Einladung ihres Stückes „TANZ“ zum Berliner Theatertreffen, der Nestroy-Theaterpreis für „beste Regie“ und die Uraufführung von „A Divine Comedy“ bei der Ruhrtriennale sind weitere Beispiele dafür, dass die 1986 in Wien geborene Künstlerin von der Theaterwelt derzeit mit offenen Armen empfangen wird. Die Verbindung zur Tanz- und Performanceszene möchte sie aber auf keinen Fall verlieren. „Da es dort einen wesentlich experimentelleren Umgang mit Themen gibt als an den Stadttheatern“, so Holzinger. Dass „TANZ“ als einzige Position aus Österreich zum Theatertreffen eingeladen wurde, empfand sie aber als motivierend. Und als Zeichen dafür, dass sich „das Theater ein bisschen verändert“.

„A Divine Comedy" wurde für große Räume konzipiert.

Foto: Katja Illner

Aus dem Ruhrgebiet in die Halle E

Wenn sie zwischen der zeitgenössischen Tanzszene und der Theaterwelt hin und her wechselt, merkt sie auch, wie sich das Publikum verändert. „Bei der Ruhrtriennale kamen Leute mit dem Rollator rein“, erinnert sie sich lachend. „Dagegen habe ich nichts, aber es hat schon eine gewisse Aussagekraft darüber, für wen Theater interessant zu sein scheint.“

Wichtig ist ihr, fügt sie hinzu, nicht nur mit einer Institution „zu packeln“, sondern so viel wie möglich als freie Künstlerin zu machen. Und sich für spezifische Projekte geeignete Räume zu suchen. Für „A Divine Comedy“ ist das, auch aufgrund der Raumgröße, die das Stück braucht, die Halle E im Museumsquartier, die zum ersten Mal vom TQW bespielt wird.

Ihr Verhältnis zum Tanzquartier? „Das ist schon eine besondere Beziehung, speziell mit Bettina (Bettina Kogler, Leiterin des Tanzquartiers, Anm.), mit der ich von klein auf zusammengearbeitet habe. Im brut habe ich meine ersten Baby-Arbeiten gezeigt, dann ging es im Tanzquartier weiter. Das Tanzquartier-Publikum ist ein experimentelles Tanzpublikum und deshalb eigentlich mein liebstes."

Zur Person: Florentina Holzinger

Hat Choreografie an der School for New Dance Development (SNDO) in Amsterdam studiert. Nach viel beachteten Kooperationen mit Vincent Riebeek (u. a. „Kein Applaus für Scheiße") und einigen Solostücken erarbeitete sie eine bis heute tourende Stücktrilogie über Körperdisziplinierung: „Recovery", „Apollon" und zuletzt „TANZ". „TANZ", 2019 im TQW uraufgeführt, wurde als einzige österreichische Position zum Berliner Theatertreffen 2020 eingeladen und erhielt den Nestroy-Preis für die beste Regie.

Zum Programm des Tanzquartiers