Sie beschäftige sich nicht nur gerne mit Oberflächen und Lebensräumen, sondern auch mit jenen Strukturen und Beziehungen, die darunter liegen, erzählt Sara Lanner mit ruhiger Stimme. Kurz: Mit jenen Schichten und Geschichten, die sich hinter und unter all den Infrastrukturen verbergen, die wir täglich nutzen oder die wir gerne nutzen würden, wären sie nicht auf bestimmte Menschengruppen zugeschnitten – und damit teilweise exkludierend. Passend zum eben Gesagten durchdringt ihre Gabel die glasierte Oberfläche ihrer ebenfalls aus mehreren Schichten bestehenden Mohntorte. Wir sitzen im Café Goldegg – einem elementaren Bestandteil der kulinarischen Infrastruktur des vierten Bezirks. Die Choreografin und bildende Künstlerin steckt mitten in den Endproben für ihre Arbeit „WEAVING INFRASTRUCTURES“, die ab 19. Jänner im brut zu sehen sein wird.

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„Ich setze mich gerne mit großen, sperrigen Begriffen auseinander, die ich meist ganz konkret auf den Körper übertrage. Vielleicht ist das die Art, wie ich selbst die Welt begreife – sie mir erklärbar mache“, fügt Lanner hinzu. Aufgebrochen werden bei „WEAVING INFRASTRUCTURES“ jedoch nicht nur Begriffe, Oberflächen und Landschaften, sondern auch konkrete Materialien. Doch dazu später mehr.

Lucia Bihler Burgtheater Jonas Hackmann

Das große Krabbeln ...

… sollte man sich bei Lucia Bihlers Inszenierung von Kafkas „­Verwandlung“ keinesfalls erwarten. Dafür Theatermagie im Übermaß, viel Sinnlichkeit, eine starke ästhetische Setzung und Franz Kafka, gespielt von Jonas Hackmann, als Figur auf der Bühne. Weiterlesen...

Von persönlichen Erlebnissen ausgehen

Die Ergründung dieser teils unsichtbaren Mechanismen, die unseren Alltag auf solch entscheidende Weise mitprägen und Lebensrealitäten formen, unternimmt Sara Lanner nicht alleine, sondern gemeinsam mit den beiden Performerinnen Andrea Gunlaugsdóttir und Hyeji Nam. „Wir wohnen zwar alle in Wien, sind jedoch in unterschiedlichen Kontexten aufgewachsen. Die Arbeit beschäftigt sich auch damit, auf welche Weise uns bestimmte Lebensräume geprägt haben“, erläutert die Wahlwienerin. Konkrete strukturelle Probleme und Normen haben bei der Konzeption des Abends ebenso eine Rolle gespielt wie globale Zusammenhänge und Strukturen. „Es war mir jedoch auch ein großes Anliegen, nicht auf einer theoretischen, strukturellen Ebene zu verharren, sondern mich auch der emotionalen Komponente von Infrastruktur zu widmen. Allgemein betrachtet setze ich meine Arbeiten eher auf poetische als auf dokumentarische Weise um“, so Lanner.

Sara Lanner
Andrea Gunlaugsdóttir, Sara Lanner und Hyeji Nam bei den Proben für „Weaving Infrastructures“.

Foto: Elsa Okazaki

Bei „WEAVING INFRASTRUCTURES“ haben die drei Performerinnen unter anderem darüber gesprochen, was es braucht, um sich willkommen zu fühlen. „Nämlich nicht nur eine Gesetzeslage, die es ermöglicht, an einem bestimmten Ort zu bleiben“, merkt die 2021 mit dem H13 Niederösterreich Preis für Performance ausgezeichnete Künstlerin an. Nach einer kurzen Pause setzt sie nach: „Wenn man, wie eine meiner Kolleginnen, den Visumsantrag häufig erneuern muss, geht es auch darum, wie sich die Menschen verhalten, auf die ich in dem Amtsgebäude treffe. Je nachdem, wie sie gestaltet sind, können Infrastrukturen aber auch ein Gefühl von Geborgenheit oder Verbundenheit erzeugen.“ Sie selbst versuche, so oft es geht, Residencies zu machen, um „mich in andere Umgebungen zu bringen und mich dadurch besser in andere Menschen hineinversetzen zu können.“

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Zur Person: Sara Lanner

Ist Choreografin und bildende Künstlerin in Wien. Ihre Performances finden in Ausstellungsräumen, auf Bühnen sowie an interdisziplinären und öffentlichen Orten statt. Zuletzt wurde ihre Tanzperformance „Mining Minds“ (2021) im brut Wien und bei ImPulsTanz gezeigt. Für ihre Performance MINE (2021) wurde Sara Lanner mit dem H13 Niederösterreich Preis für Performance ausgezeichnet, für ihre Arbeit „Mother Tongue“ (2019) im Leopold Museum Wien mit dem Publikumspreis der Ö1-Talentebörse 2020. 

So klingt Aufbruch

Nach ihrem Tanzstudium studierte Sara Lanner bildende Kunst in Wien. In ihren performativen Arbeiten gehe sie daher gerne von Materialien aus, erzählt sie. Häufig von Flächen, „die Räume darstellen und deren spezifisches Material Assoziationsketten auslöst.“ Bei „WEAVING INFRASTRUCTURES“ gibt es beispielsweise einen Teil, in dem weiße Platten, die in der Architektur gerne als Modellplatten genutzt werden, eine zentrale Rolle spielen. „Wenn ich mit ihnen interagiere, beeinflussen sie meine Bewegungen. Manchmal fühlt es sich so an, als würde nicht ich diese Abläufe komponieren, sondern das Material übernimmt die Aufgabe. Ich sehe mir an, was mir das Material erzählt und wie ich meinen Körper dazu positionieren kann.“

Im Falle ihrer aktuellen Arbeit lieferten die weißen Platten in gewisser Weise auch den Soundtrack zum Stück. Wie das zu verstehen ist, wollen wir von Sara Lanner wissen. Sie antwortet: „Mir ist aufgefallen, dass diese Platten auf bestimmte Art und Weise knacksen, wenn man sie verformt und bricht. Das hat bei mir eine Vielzahl an Assoziationsbildern ausgelöst und ich hatte den Wunsch, den Effekt zu erzeugen, dass man als Zuschauer*in das Gefühl hat, man befände sich mitten in diesem Zerbrechen.“ Oder – um bei dem zu Beginn des Textes eingeführten Bild zu bleiben: Mitten im Prozess des Aufbrechens scheinbar einzementierter Strukturen.

Sara Lanner
Weiße Platten spielen in Sara Lanners aktueller Arbeit eine wichtige Rolle.

Foto: Elsa Okazaki

Tanz als Ereignis

Dass sie in ihrer künstlerischen Praxis Tanz und Performance gerne mit der bildenden Kunst verbinden würde, war Sara Lanner schon früh klar. Wenn sie gefragt wird, was für sie das Besondere an Performance und ephemerer Kunst im Allgemeinen sei, antwortet sie: „Ich finde jene Momente unglaublich wertvoll, in denen das Gefühl entsteht, dass sich zwischen Publikum und Performer*innen wirklich etwas ereignet hat. In denen es nicht nur darum geht, dass man etwas gezeigt bekommt oder etwas demonstriert wird.“

Ihre Liebe zur Unmittelbarkeit und zum Konkreten schließe jedoch das Abstrakte nicht aus, so Lanner. „Ich bin ein großer Fan von Theorie“, sagt sie lachend. „Und ich bin der Überzeugung, dass Denken und Tun nahe beieinander liegen. In meiner Ausbildung wurde mir immer wieder gesagt, dass man beim Tanzen nicht zu viel denken darf. Dem stimme ich absolut nicht zu. Das finde ich sogar gefährlich. Für mich ist Bewegung eine Form des Denkens.“

Zu den Spielterminen von „WEAVING INFRASTRUCTURES“ im brut nordwest!