Die Geschichte vom dicken, tanzenden Hund Nurejews
Nurejew hatte wirklich einen Hund. Der müffelte und warf das Bein hoch. Elke Heidenreich hat die Fakten weggelassen und ein rührendes Buch darüber geschrieben. Es kommt jetzt als Tanz- und Musikstück für die ganze Familie auf die Bühne.

Foto: Sofia Vargaiová
Diese Geschichte kann man nicht erfinden. Sie ist wahr und doch ein bisschen erfunden und so bezaubernd, dass sie jetzt auf die Bühne der Volksoper kommt: „Nurejews Hund“ heißt sie und handelt vom Leben des Hundes von Rudolf Nurejew.
Fangen wir mit den Basics und der Wahrheit an: Der Jahrhunderttänzer hatte tatsächlich einen Hund. Einen riesigen Rottweiler, den er auch in seinem Zweisitzercabrio spazieren führte – es gibt wunderbare Fotos davon im Internet; beeindruckend vor allem, dass der Kopf des Rottweilers doppelt so groß ist wie jener von Nurejew.
Der Hund, ein 60-Kilo-Trumm, wurde nach Nurejews Tod von dessen ehemaliger Tanzlehrerin Marika Besobrasova adoptiert. Und lebte von da an in Monte Carlo und war bei allen Tanzstunden dabei, lag unter dem Klavier und hat „vor sich hin gemüffelt und sehr komisch geschaut. Wenn man ihn mit Keksen bestochen hat, konnte er sogar das Bein hochwerfen“, erinnert sich Florian Hurler lachend. Der Regisseur und Choreograph des Stücks war Schüler der legendären Besobrasova. „Wenn sie jemanden brechen wollte, musste man sich eine halbe Stunde vor dem Hund verbeugen, der einen dabei völlig ungerührt anschaute.“
Elke Heidenreich und der Hund
Die wunderbare Elke Heidenreich hat vor über zehn Jahren rund um das Trio eine absurd-liebevolle Geschichte gebastelt: Der Hund und Nurejew lernen sich bei einer Party Truman Capotes kennen. An deren Ende folgt der Hund Nurejew nach Hause und zieht dort ein.
Besonders genießt es der träge und immer dicker werdende Hund, den Nurejew Oblomow nennt, wenn er mit zum Training in den Ballettsaal gehen darf. Dort residiert er auf einem wunderbaren Brokatkissen neben dem Klavier, lauscht der Musik und beobachtet, wenn er nicht gerade in tiefe Träume versinkt, das Üben der Tanzschritte, vor allem, wenn Nurejew sie tanzt.
Wir zitieren Elke Heidenreich: „Oblomow, der seine ideale Balance nur durch seine maximale Trägheit erreichte, konnte sich nicht sattsehen an den kraftvollen Sprüngen, die Schwerelosigkeit des Tänzers schien ihm ein Wunder, und wenn sein Herr die Position écarté de face einnahm, schräg gegenüber von Oblomow in seiner Ecke beim Klavier, dann vibrierte sein Herz vor Liebe, und die Augen wurden ihm feucht. Denn es erfüllten sich ihm Träume und Ahnungen von großer, erhebender Kunst, die schon immer in ihm geschlummert hatten.“

Foto: Sofia Vargaiová
Mach mal den Hund
Als Nurejew stirbt, wird der Hund (wie erzählt) von Marika adoptiert. Und da passiert dann das Wunder: Der Hund beginnt eines Tages, selber zu tanzen. Die Pfoten kreuzen sich, er richtet sich auf ...
„Das ist das Schöne an der Geschichte. Der Hund vermisst sein Herrchen. Er liegt im Ballettsaal und beobachtet, wie hier Kunst entsteht. Irgendwann glaubt der Hund, dass er seinem Herrchen am nächsten kommen kann, wenn er tanzt. Aber er tanzt nur für sich selber. Einmal im Saal und dann noch einmal beim Grab von Nurejew. Er macht es für sein Herrchen und für sonst niemanden.“
Der wunderbar-witzige Florian Carove wird/muss/soll/darf den Hund spielen. Wie überzeugt man einen Schauspieler von der Rolle, Herr Hurler?
„Indem man ihm verspricht, dass er nicht das ganze Stück auf allen vieren verbringen muss. (Lacht.) Bei uns fungiert der Hund auch als Erzähler und switcht. Wir spielen damit, dass das Publikum und er wissen, dass er kein Hund ist, aber die auf der Bühne das schon glauben...“
Das Stück ist als Familienstück konzipiert, und da steht die Frage im Raum, ob die junge Generation überhaupt noch weiß, wer Rudolf Nurejew war.
Florian Hurler: „Die Geschichte funktioniert über den Hund, ein bisschen Geschichtsunterricht ist dabei – man wird also auch verstehen, dass Nurejew jemand ganz Besonderes war.“
Nurejews Hund hat vor sich hin gemüffelt und uns sehr komisch angeschaut.
Florian Hurler über seine Erfahrungen mit dem Rottweiler
Der Hund, die Musik und Gershwin
Aber wie klingt die Musik, die uns erwartet?
Jetzt lacht Keren Kagarlitsky. Sie ist Dirigentin und Kapellmeisterin der Volksoper, ein musikalisches Multitalent: „Musik, die zu Nurejew passt, ist einfach zu finden. Tatarische Volkstänze, russische Volksmusik, Ballettmusik – all das war Teil seines Lebens. Aber in dem Stück, das wir spielen, geht es nicht um Nurejew, sondern um seinen Hund. Ich habe irgendwann mitbekommen, dass er ein Hund aus Amerika ist, der durch die Ballettsäle von Paris streunt. Dieser Dreh hat mir geholfen. Damit war alles klar: Gershwins ‚Amerikaner in Paris‘ passt wunderbar. Wir verwenden auch Teile von Offenbachs ‚Le Papillon‘, Melodien aus ‚La Bayadère‘, russische Wiegenlieder und eben tatarische Volkstänze. Somit ist der Hund im Mittelpunkt, aber Nurejews Energie ist immer da. Wir hatten dann aber noch immer einige Löcher, wo uns noch Musik fehlte. Wir zeigen in dem Stück ja auch, wie diszipliniert das Leben im Ballett ist und wie die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern funktioniert. Ich habe überall nach passender Musik gesucht und nichts gefunden, was perfekt passt – vor allem nicht bei einer Szene, in der Marika mit ihren Schülern streitet. Da habe ich verstanden: Ich muss es eben selber komponieren ...“ (Lacht.)

Foto: Sofia Vargaiová
Der lange Weg zur Komposition
Keren Kagarlitsky hat diese fehlenden Teile der Musik bereits im vergangenen Sommer geschrieben: „Es ist das erste Mal, dass ich ein Stück mache, das sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ist – genau das erlaubt mir, in meiner Orchestrierung wildere Farben zu verwenden, ich mag das. Ich brauche zum Schreiben absolute Ruhe und Stille – die habe ich nur im August. Da ist alles entstanden, in den Monaten darauf habe ich orchestriert. Insgesamt waren es also circa sieben Monate. Am schwierigsten war das Duett – ich habe fünf Tage probiert, aber es ging nichts weiter. Mein Mann saß im Nebenzimmer und hat immer gehört, wie ich 30 Sekunden am Klavier herumgehämmert und dann laut geflucht habe, und das über Tage. Als es dann still wurde, wusste er, dass ich die Melodie gefunden habe ...“ (Lacht.)
Tanz, tanz, tanz
Man hört zu. Staunt bewundernd. Wie genau das klingt das jetzt, fragen wir. „Es klingt wie Tanzen. Das ganze Stück dreht sich um Tanz. Und so habe ich Tango, Walzer und vieles andere in meiner Musik. Wenn man sie hört, dann fühlt man sofort, dass man sich dazu bewegen muss.“ Was für ein schönes Versprechen.