Es ist durchaus bezeichnend, dass das 2018 gegründete Hin & Weg Festival in der nördlichsten Stadt Österreichs seinen Platz gefunden hat. Wer aus Wien anreist – eine Stunde und 58 Minuten laut Google Maps – begibt sich in sichere Distanz zum Trubel der Großstadt. Ist also erstmal weg. Und hoffentlich auch hin und weg vom vielfältigen Angebot, das in Litschau geboten wird. Diese Doppeldeutigkeit war dem Festival von Anfang an eingeschrieben, wie Gründer Zeno Stanek erklärt. „Die meisten Menschen, die zu uns kommen, möchten sich nicht einfach nur eineinhalb Stunden unterhalten lassen, sondern wollen länger bleiben. Um nur für eine einzige Aufführung hinzufahren, ist das Festival aber auch zu weit weg von den umliegenden Großstädten.“

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Entstanden ist das Theaterfestival, das heuer am 13. August eröffnet wird, als Offspring des Schrammel.Klang.Festivals, eines vielbeachteten Musikfestivals, das ebenfalls von Zeno Stanek ins Leben gerufen wurde. Stanek selbst kommt vom Theater. Von 1992 bis 1996 studierte er Schauspielregie am Max Reinhardt Seminar, 1993 gründete er gemeinsam mit anderen Studierenden das Theater Brauhaus in Hörmanns im Waldviertel. „Als Studierende sind wir im Waldviertel zusammengekommen, um gemeinsam Theater zu machen. Mit der Gründung des Theater Brauhaus hat sich das dann immer mehr professionalisiert“, erinnert sich der Theatermacher und Intendant. Das Waldviertel schätzt er als Gegend, die es einem ermöglicht, komplett abzuschalten. Das passt gut zum Anspruch des Theaterfestivals, seinen Besucher:innen die Möglichkeit zu bieten, sich in der Vielzahl unterschiedlicher Geschichten und Erzählungen zu verlieren.

Draußen und drinnen: Die Vielzahl an Locations sorgt beim Hin & Weg Festival für Abwechslung.

Foto: Constantin-Widauer

Wohnzimmeratmosphäre

Der Theaterkosmos, der sich in Litschau vor einem auftut, könnte vielfältiger nicht sein. Neben einer Vielzahl von Stückentwicklungen gibt es unter anderem szenische Lesungen, Autor:innenlesungen, Konzerte, Workshops und Gesprächsrunden. Bei der Zusammenstellung des Programms legt Zeno Stanek viel Wert darauf, die Region miteinzubeziehen. Wie sehr sich Litschau für das Festival geöffnet hat, wird dann am besten deutlich, wenn man eine der Küchenlesungen besucht. „Wohnzimmeratmosphäre“ ist bei diesem Format nämlich kein zu Werbezwecken eingesetztes Schlagwort, sondern wörtlich gemeint.

Die Lesungen, für die heuer unter anderem Gerti Drassl, Erni Mangold und Katharina Stemberger gewonnen werden konnten, finden in den Küchen und Wohnzimmern der Litschauerinnen und Litschauer statt. Aber auch auf inhaltlicher Ebene soll man eine Verbindung zur Region spüren. In diesem Jahr zeichnet das Schattentheater „1000 Briefe von dir und 1000 Wünsche von mir“ die Begegnung Franz Kafkas mit der Journalistin Milena Jesenská in der südlich von Litschau gelegenen Stadt Gmünd nach. Die Inszenierung von Martina Winkel findet auf den Tag genau 101 Jahre nach der Begegnung der beiden statt. Der Film „Hörmanns“ erzählt die Geschichte von Elena, einer jungen Frau aus Rumänien, die in einem abgelegenen Haus Stephanie, eine ältere Dame, pflegt.

Mit gleich zwei Produktionen ist das „FTZN" Kollektiv beim heurigen Festival vertreten.

Foto: Tina Graf

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Mut zur Vergänglichkeit

Das Programm ergibt sich in erster Linie aus dem Festivalthema, das in diesem Jahr „Mut und Vergänglichkeit“ lautet. „Das letzte Jahr hat uns allen sehr viel Mut abverlangt und uns auf besonders intensive Weise mit dem Thema Vergänglichkeit konfrontiert“, sagt Zeno Stanek. Gleichzeitig möchte er für mehr „Mut zur Vergänglichkeit“ plädieren. „Weil wir ständig damit beschäftigt sind, jede Emotion und jeden flüchtigen Moment mit der Handykamera einzufangen und festzuhalten, erleben wir diese Momente gar nicht wirklich. Dabei vergessen wir, dass aus Vergänglichkeit Neues entsteht.“ Aber auch zahlreiche Wiederbegegnungen prägen das Festivalprogramm. So wird auch heuer wieder das „FTZN“ Kollektiv im Waldviertel zu Gast sein. Die Stückentwicklung „Gib mir ein F“, schon im Vorjahr einer der Hits bei Hin & Weg, wird heuer nochmals gezeigt – gefolgt von der neu konzipierten Fortsetzung „Bei aller Liebe – jetzt wird gefotzt“.

Eine Antwort auf die feministische Stückentwicklung „Gib mir ein F“, die im Frühjahr auch im Wiener Kosmos Theater zu sehen war, kommt von den Schauspielern Tobias Resch und Enrico Riethmüller. In „Wer hat Angst vorm weißen Mann“ sprechen sie über ihre scheinbar bedrohte Männlichkeit. Zeno Stanek freut sich, dass es auch auf inhaltlicher Ebene zu solchen Dialogen kommt. Dass abends und zwischen den Aufführungen Gespräche und Diskussionen entstehen, ist ohnehin fest in die DNA des Theaterfestivals eingeschrieben. Artist in Residence ist in diesem Jahr Calle Fuhr. Sein Stück „Heldenplätze“ mit Gerti Drassl, eine Produktion des Volkstheaters, die ab Herbst in den Bezirken gezeigt wird, wird in Litschau eine Voraufführung erleben. Neu ist, dass es in diesem Jahr auch Stücke für Kinder beim Hin & Weg Festival geben wird.

Calle Fuhrs Stück „Heldenplätze" wird in Litschau in einer Voraufführung zu erleben sein.

Foto: Jean Noyer

Startrampe für junge Theaterschaffende

„Im Mittelpunkt steht in Litschau immer die Dramatik", erklärt Stanek. So machen Ur- und Erstaufführungen den Großteil der gezeigten Produktionen aus. Dass sich das Festival zu einer Startrampe für junge Theaterschaffende entwickelt hat, hat sich im Laufe der Zeit ergeben. Durch die Zusammenarbeit mit der Musik und Kunst Privatuniversität Wien, der HfS Ernst Busch sowie mit Studierenden und Absolvent:innen des Max Reinhardt Seminars war der Weg dafür aber bereits geebnet und Litschau schnell als Ort etabliert, der es möglich macht, Dinge auszuprobieren. Darüber hinaus ist, wie Zeno Stanek betont, aber auch der Austausch mit erfahrenen Künstler:innen wichtig.

Ein gutes Beispiel dafür, wie sich dadurch neue Wege und Möglichkeiten ergeben können, ist die Musikerin und Regisseurin Anna Marboe, die in Litschau den Musiker Ernst Molden kennengelernt hat und nun bei seinem Label „Bader Molden Recordings“ unter Vertrag ist. „Ich kannte Anna schon, als sie noch am Max Reinhardt Seminar Regie studiert hat“, erinnert sich Stanek. „Und dann kam alles so, wie es bei uns häufig passiert. Man sitzt am Abend beim Lagerfeuer zusammen, die Gitarre wird weitergegeben, jeder singt ein paar Lieder und man beginnt sich auszutauschen".

Theater- und Feriendorf Königsleitn

Die beiden Festivals sind jedoch nicht die einzigen Projekte, die Zeno Stanek derzeit auf Trab halten. Seit vergangenem Jahr ist er gemeinsam mit Investor Günter Kerbler dabei, in Litschau ein Theater- und Feriendorf aufzubauen. Das Restaurant wurde bereits umgebaut und auch die Neugestaltung der Apartments und Zimmer ist bereits fast abgeschlossen. Im zweiten Schritt wird eine ehemalige Tennishalle zu Probe- und Veranstaltungsräumlichkeiten umgebaut, die individuell angepasst und in der Größe adaptiert werden können. „Man kann aber auch einfach hinkommen, um Urlaub zu machen“, fügt Zeno Stanek lachend hinzu. „Ein Theaterstudium ist keine Voraussetzung, um sich bei uns wohlzufühlen.“

2018 gründete Zeno Stanek das Hin & Weg Festival.

Foto: Sabine Hauswirth

Zur Person: Zeno Stanek

Zeno Stanek wurde 1971 in Wien geboren. 1993 gründete er das Theater BRAUHAUS in Hörmanns bei Litschau im Waldviertel. Außerdem ist er Gründer und Intendant des Schrammel.Klang.Festivals, das ebenfalls im Waldviertel sein Zuhause gefunden hat. Von 2013 bis 2108 war er Intendant der Festspiele Stockerau. 2018 gründete er das Theaterfestival Hin & Weg.

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Ein- und Abtauchen am Herrensee beim Schrammel.Klang.Festival

Das Festivalprogramm des Hin & Weg Festivals