Körperlich anspruchsvoll. Wer sich für ein Fotoshooting abseits herkömmlicher Porträtschönfärberei entscheidet, braucht dafür Mut. Denn um im Ergebnis gute Bilder zu bekommen, die, wiewohl inszeniert, das Persönlichkeitsportfolio des Protagonisten einfangen, ist Eitelkeit ein klares Hindernis. Vielmehr braucht es Vertrauen, um seine inneren Räume öffnen zu können. Und eine Bejahung der eigenen Physis. Man muss Lust haben am darstellerischen Grenzgang, was in der Theorie einfacher ist als in der Praxis – wo ein halbes Dutzend Menschen am Set damit beschäftigt ist, jede Regung des Fotografierten zu interpretieren.

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Claudius von Stolzmann ist ein lichtbildnerischer Glücksfall. Er studierte nicht nur an der berühmten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, sondern besuchte auch Workshops für Clowning bei Angela de Castro und Method Acting bei Joie Lee in New York. Das heißt, er ist sich seiner Körperlichkeit bewusst und auch geneigt, diese Präsenz verschwenderisch einzusetzen.

Halb nackt in einer Badewanne liegen, den Reißverschluss der Jeans geöffnet: kein Problem. Oranger Nagellack an Finger- und Zehennägeln: auf eigenen Vorschlag. Netzstrümpfe zum Smoking: warum nicht? In einem Moment radikal verletzlich, im nächsten drastisch erotisierend.

„Wenn man das Gefühl hat, gut aufgehoben zu sein und Wertschätzung zu erfahren, macht es großen Spaß, sich in diese unbekannten Gewässer hineinfallen zu lassen“, resümiert Claudius von Stolzmann seine Eindrücke beim darauffolgenden Interview.„Die Begegnung mit Menschen, auf die ich sonst kaum treffe, der künstlerische Austausch mit Fotografen, Make-up Artists und Stylisten, das Ausprobieren ganz neuer Sachen entfacht in mir Freude.“

Claudius von Stolzmann
Tropische Farbenpracht. Auf der Dachterrasse des Hotels Altstadt Vienna zeigt Claudius von Stolzmann, wie man einen extravaganten Morgenmantel anmutig trägt.

Foto: Hilde van Mas

Zur Person: Claudius von Stolzmann

studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin sowie an der New York University Tisch School of the Arts. Er spielte u. a. am Volkstheater Wien, an der Volksbühne Berlin sowie bei den Salzburger Festspielen und wirkte in zahlreichen Film- und TV-Produktionen mit. Er wirkte bereits in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mit. Seit 2017 ist er Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt, wo er in der aktuellen Spielzeit in neun Produktionen zu sehen war/ist. 2009, 2010 und 2021 war er für den NESTROY nominiert.

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Feriale Konfusion

Frohsinn verschafft ihm auch die nächste Premiere im Theater in der Josefstadt, in der er einer der Hauptrollen spielen wird. „Trilogie der Sommerfrische“, der Klassiker von Carlo Goldoni aus dem 18. Jahrhundert –ursprünglich aus dem Triple „Die Gier nach der Sommerfrische“,„Die Abenteuer in der Sommerfrische“ und „Die Rückkehr aus der Sommerfrische“ bestehend und von Giorgio Strehler 1954 zu einem Stück zusammengefasst – ist ein professionelles Fest für darstellende Künstler.

Assoziiert man bei uns mit Sommerfrische eher den Müßiggang am Semmering zu Zeiten der erlöschenden k.u.k. Monarchie, geht es bei Goldoni ans Meer. Und zugegeben, der italienische Begriff „villeggiatura“ ist schon allein lautmalerisch reizvoller. „Mich interessiert daran, dass es eine Komödie ist“, erklärt Claudius von Stolzmann seine Intention, die Rolle des Leonardo anzunehmen.„Leute zum Lachen zu bringen ist mein Lieblingsmetier. Verrückt sein zu dürfen und mit anderen Verrückten, die ebenso Bock darauf haben, in einem Boot zu sitzen und zur Unterhaltung des Publikums beitragen zu können, ist mein Antrieb. Ich würde gerne viel öfter Komödien spielen, weil mich das an meine Anfänge erinnert und ich mich damit am wohlsten fühle.“

Humor sei ihm auch privat wichtig, er sei lebensfroh und versuche, stets das Positive auszuloten. Die Schwierigkeit der Komödie bestehe darin, mit nichts auf die Bühne zu gehen, möglicherweise sogar schweigend, und die Zuschauer kraft beruflicher Fähigkeiten zur Heiterkeit zu animieren. Ihre Kunst liege im Timing, das man entweder habe oder, zumindest bis zu einem gewissen Punkt, auch lernen könne.

Claudius von Stolzmann
Liebkind der Kamera: Claudius von Stolzmann.

Foto: Hilde van Mas

Ich möchte ein witziges Stück über unglückliche Menschen machen. Denn letztlich sind, bis auf wenige Ausnahmen, alle nicht glücklich.

Janusz Kica, Regisseur

Irrwitziger Ablauf

„Trilogie der Sommerfrische“ ist jedenfalls kein Müßiggang. Das dialoglastige Stück läuft in einem Tempo ab, dass einem selbst beim Lesen der Atem stockt. Der Wortwitz ergibt sich aus realitätsnahen Sätzen, Doppelbödigkeit sucht man vergeblich. Alle meinen, was sie sagen, was noch lange nicht heißt, dass das Geäußerte auch ehrlich ist.

Im ersten Teil bereitet sich eine Gruppe von Menschen akribisch auf den jährlichen Urlaub am Meer vor, dessen Gelingen das jeweilige Sozialprestige maßgeblich beeinflusst. Feinstes Tafelsilber und Kristallgläser für diverse Einladungen müssen eingepackt, die neuesten Kleider in Auftrag gegeben werden.

Claudius von Stolzmann
Die Ausdruckskraft des Schauspielers manifestiert sich im Auge des Betrachters. Und in Details.

Foto: Hilde van Mas

Auch die Frage, wer wen in sein Haus einlädt, ist eine diffizile. Verschärfend kommt hinzu, dass sich kaum eine der handelnden Personen auch nur ein verlängertes Wochenende leisten könnte. Geschweige denn einen mehrwöchigen Aufenthalt.

Mittendrin Leonardo, verschuldet, sehr verliebt in Giacinta und weniger gesegnet mit Vittoria, seiner fordernden Schwester, deren einzige Sorge die „Mariage“ – also das angesagteste Kleidermodell aus Paris – ist. Hinzu gesellt sich Guglielmo, dazu auserkoren, Vittoria zu ehelichen, aber nur mäßig davon begeistert, da eigentlich für Giacinta in Liebe entbrannt. Zehn weitere Personen komplettieren die exaltierte Reisegesellschaft.

Nach vielfachem Hin und Her befindet man sich im zweiten Teil tatsächlich in den Ferien, wo das emotionale Chaos schließlich vollends eskaliert und notdürftig verheimlichte Gefühle mit zur Schau getragenen Tugenden konkurrieren.

Claudius von Stolzmann
Details beim Covershooting: Claudius von Stolzmann.

Foto: Hilde van Mas

Im dritten und letzten Teil – nun sind wieder alle zu Hause – bekommen einander endlich zwei, die sicher nicht glücklich miteinander werden: Leonardo und die längst in Guglielmo verschossene Giacinta. Unhappy End. Sehr zur Freude des Publikums, wohnt doch jeder Tragödie auch eine Komödie inne.

Liegt Claudius von Stolzmann diese Form des verbalen Schlagabtauschs, wie ihn Carlo Goldoni hier zur Meisterschaft erhebt? „Absolut. Ich bin ein Riesenfan von Geschwindigkeit und sehr körperspiellastig. Eines meiner größten Idole ist Louis de Funès. Sein Tempo und seine Mimik machen mich glücklich und bringen mich zum Lachen. Obwohl er alle Figuren in dieser Übertreibung spielt, nimmt er ihre Charaktere ernst. Das haben die Franzosen ursprünglich von den Italienern gelernt und dann bis zur Perfektion exerziert.“

Er selbst müsse generell in jeder Rolle eine Menschlichkeit finden, an die er mit seinen Erfahrungen, Haltungen und Werten andocken könne. Leonardo sei in seinen Augen einfach ein Bonvivant, der gerne auf großem Fuß lebe. „Außerdem ist er hochgradig eifersüchtig und ärgerlicherweise bis über beide Ohren verliebt. Wie man weiß, kann das schnell zur Explosion führen“, meint er, nun selbst in Fahrt. Schon anno 1756 war es offensichtlich en vogue, deutlich über seine Verhältnisse zu leben, was das Stück erstaunlich aktuell macht. Man denke nur an Selbstdarstellungsorgien auf diversen Social-Media-Kanälen.

Claudius von Stolzmann
Claudius von Stolzmann und die Sommerfrische - in der Dusche.

Foto: Hilde van Mas

Versteht Claudius von Stolzmann diesen Drang nach Schein? „Ich bemerke ihn, aber er ist für mich nicht ganz nachvollziehbar, weil solche Menschen in der Realität hochgradig unangenehm sind. Das ist vielleicht etwas, wo man über eine Heutigkeit des Stoffes reden könnte. Ich finde aber nicht, dass man sich unbedingt auf die Suche danach begeben muss, was ein Stück mit uns hier und jetzt zu tun hat, wie wir das am Theater so gerne tun. Man muss den Zuschauern die Relevanz nicht am Tablett servieren, manchmal reicht es auch, ihnen einfach einen schönen Abend zu bescheren.“

Fingierte Reisen

Regisseur Janusz Kica, den wir zwei Tage nach dem Fotoshooting mit Claudius von Stolzmann zum Gespräch treffen, erzählt von einer Studie, die das „Schein statt Sein“-Thema völlig ad absurdum führt.

„Ich habe erst unlängst gelesen, dass es eine gar nicht so kleine Prozentzahl an Italienern gibt, die vortäuschen, auf Urlaub zu fahren, obwohl sie es gar nicht tun. Sie geben ihre Hunde in die Tierpension, verabschieden sich von den Nachbarn, schreiben mitunter sogar Postkarten, die sie von jemand anderem verschicken lassen, und verstecken sich dann wochenlang zu Hause. Manche haben sogar eine Sonnenbank daheim und kehren gebräunt zurück, obwohl sie nie weg waren. Natürlich geht es dabei um einen starken gesellschaftlichen Druck. Der altmodische Satz ‚Was werden die anderen sagen?‘ hat noch immer Berechtigung.

Es ist so, als würden wir uns durch die Augen anderer definieren, als hätten wir den Kontakt zu uns selbst verloren. Auch darüber erzählt ‚Trilogie der Sommer-
frische‘. Ich möchte ein witziges Stück über unglückliche Menschen machen. Denn letztlich sind bis auf wenige Ausnahmen alle nicht glücklich. Sie machen sich etwas vor, bilden sich etwas ein, belügen einander. Die fehlende Ehrlichkeit ist evident. Ich mag das Stück, weil es wie im Galopp daherkommt. Kopflos, nicht reflektiert, aber voller Energie.“

Janusz Kica
Janusz Kica führt Regie in Goldonis "Sommerfrische".

Foto: Philipp Horak

Zur Person: Janusz Kica

ist gebürtiger Pole, emigrierte Anfang der 1980er-Jahre nach Deutschland und inszeniert – in fünf Sprachen – Schauspiel und Oper in ganz Europa. Seit 1999 ist er regelmäßig am Theater in der Josefstadt zu Gast, für das er seit seinem Debüt mit „Das Leben ein Traum“ mehr als zwanzig Produktionen schuf. Seine Inszenierung von Gerhart Hauptmanns „Einsame Menschen“ am Landestheater Niederösterreich war 2012 für den NESTROY nominiert. Seit 2019 ist er Ehrenmitglied des Theaters in der Josefstadt.

In seinem Verständnis müsse man den ersten Teil spielen wie eine Commedia dell'arte, den zweiten wie Tschechow und den dritten wie Beckett.
„Das meine ich nicht wortwörtlich, sondern es geht um bestimmte Behauptungen, eine Art von Schnelligkeit, die allmähliche Entwicklung der Protagonisten zu echten Figuren. Der Humor wird zum Ende hin immer schwärzer, ehe jeder das bekommt, was er nicht wollte.“ Komödie entstehe stets unter Schweiß und Tränen, führt Janusz Kica aus. „Sie liegt ja in direkter Nachbarschaft zur Tragödie und funktioniert nur, wenn man sie sehr ernst nimmt. Sie gehört nicht zur Gattung des voyeuristischen Theaters, sondern appelliert an den Verstand, die Intelligenz und die Wiedererkennungsfähigkeit des Publikums. Zu ihren wesentlichen Merkmalen zählt die Nichterfüllung von Erwartungen. Das ist für Schauspieler und Regisseure ein hartes Brot.“

Claudius von Stolzmann streut ihm für sein Tun Rosen. „Janusz Kica ist ein ‚Schauspieler-Regisseur‘, ein liebevoller, erfahrener Mensch und Theatermacher, der sehr genau hinschaut. Einer, der nicht über Druck, Lautstärke oder Manipulation arbeitet.“

Polymorphe Talente

In der aktuellen Spielzeit konnte man Claudius von Stolzmann im Theater in der Josefstadt in insgesamt neun Produktionen sehen – zuletzt feierte er als Trigorin in „Die Möwe“ Premiere.

Geht sich daneben noch ein anderes künstlerisches Leben aus? „Schon. Ich habe zunehmend Interesse daran, selbst Regie zu führen und habe das auch bereits bei zwei Abschlussinszenierungen der Schauspielakademie Ott gemacht.“

„Machtfrauen“ und „aMUSEment“ – die beiden dabei im TAG gezeigten Stücke – hat er auch als Autor verantwortet. Diesen Sommer wird er nicht nur bei den Festspielen Reichenau in „Anatol“ auf der Bühne stehen, sondern auch einen Kurzfilm inszenieren.
Janusz Kica schätzt an ihm – neben Intelligenz, Fantasie, Inspiration und Körperlichkeit – seine Energie. Wer ihn je zum Beispiel in der „Dreigroschenoper“, die er als Mackie Messer teilweise im Handstand absolviert, erlebt hat, kann diesem Urteil nur zustimmen. Unmittelbar nach dem beinahe fünf Stunden dauernden Fotoshooting geht Claudius von Stolzmann zum Tennistraining, danach zum Zahnarzt, am selben Abend hat er noch eine Vorstellung.

Seit zwei Jahren nimmt er Klavierunterricht. Was könnte er uns heute theoretisch vorspielen? „Tschaikowski ginge schon“, gibt er Auskunft über den offenbar zügigen Lernfortschritt. „In Reichenau werde ich heuer gemeinsam mit einer Cellistin ein Lied vortragen. Das ist sicher das Anspruchsvollste, was ich je am Klavier gemacht habe.“

In der nächsten Spielzeit möchte sich der Vielbeschäftigte am Theater ein wenig zurückhalten. „Jedes Jahr in so vielen Produktionen aufzutreten ist auch für mich irgendwann zu viel, weshalb ich versuche, mich rarer zu machen. Ich möchte mehr Zeit für andere Projekte und mein Privatleben haben. Wenn man sich so sehr in diesem Kosmos bewegt, nur noch in der Theaterwelt lebt, verengt sich allmählich die Bandbreite und der Spaß am künstlerischen Prozess. Da tut dann Freizeit gut, um den Kopf wieder frei zu bekommen, ehe man mit gereinigter Birne erneut einsteigt.“

Man muss den Zuschauern die Relevanz nicht am Tablett servieren. Manchmal reicht es auch, ihnen einfach einen schönen Abend zu bescheren.

Claudius von Stolzmann, Schauspieler
Claudius von Stolzmann
Zuletzt feierte er als Trigorin in „Die Möwe“ Premiere: Claudius von Stolzmann.

Foto: Hilde van Mas

Für ihn sei es zunehmend wichtiger, Freunde nicht nur in der Theaterbubble zu haben, sondern sich auch mit Menschen zu umgeben, die nichts mit Schauspiel zu tun haben.

Vor zwei Jahren erzählte Claudius von Stolzmann beim Interview, dass er in Wien oft darauf hingewiesen werde, dass das Führen von Adelstiteln hierzulande seit 1919 verboten ist. Ist das in der Zwischenzeit und mit stetig zunehmendem Bekanntheitsgrad besser geworden? „Ja, ich werde wirklich seltener darauf angesprochen“, amüsiert ihn dieser Aspekt.

Welchen Adelsrang bekleidet er eigentlich? Baron, Graf, Fürst, Herzog, Freiherr, Junker ...? Nun formt sich das Lächeln zu einem Lachen. „Ich bin nichts dergleichen. Es sind einfach nur drei Buchstaben. Ich denke, es ist die unterste Stufe der adeligen Möglichkeiten, auf der ich mich bewege.“

Hier zu den Spielterminen von Trilogie der Sommerfrische!