Es ist Samstagnachmittag, und das Café Landtmann platzt aus allen Nähten. Immer wieder wird der aus einzelnen Gesprächsfetzen bestehende Klang­teppich vom Klirren gerade abgeräumten Geschirrs unterbrochen. Es bietet sich ein farbenfrohes Wimmelbild, in dem sich, wie für die Stadt typisch, Kulisse und reales Leben zu einer undurchdringbaren Einheit verbinden. Wer inmitten dieses Wirrwarrs das Bedürfnis verspürt, die eigene Echtheit zu überprüfen, kann das zum Beispiel mit einer Gabel tun, mit der man sich in die eigene Handfläche pikst. 

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Diese zugegeben etwas fragwürdige Überprüfungsmethode stammt nicht von Barbara Petritsch oder Johannes Zirner, die wir zum Gespräch im Café Landtmann treffen, sondern aus dem im Vorjahr erschienenen Roman „Euro­trash“ von Christian Kracht. In einer Inszenierung des Schauspielers und Regisseurs Itay Tiran ist ab 29. April eine Bühnen­fassung des Bestseller-Romans am Wiener Akademietheater zu sehen. 

Echt oder erfunden?

Johannes Zirner und Barbara Petritsch spielen ­jenes Mutter-Sohn-Gespann, dem man auf etwa 200 Seiten durch den Roman folgt. Es ist eine Geschichte der permanenten Anziehung und Abstoßung zwischen den beiden Hauptfiguren, die der Autor Christian Kracht seinen Leser*innen serviert, und dabei vermengt er konsequent Realität und Wahrheit miteinander. 

Schließlich trägt der Protagonist des Romans denselben Namen wie sein Erfinder. Und auch die beiden Haupt­figuren scheinen selbst immer wieder zu hinterfragen, ob sie nun der realen oder vielleicht doch einer fiktionalen Welt angehören. Das bereits zitierte Gabel-Manöver bringt nur scheinbar Klarheit in die Sache. 

„Wußtest du, dass wir gerade
in einem Buch beschrieben werden? Wie bei ­Cervantes?“, fragte sie. 

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„Don Quijote und Sancho Panza.“

„Ja. Aber das waren erfundene ­Figuren. Wir sind echt.“

Eurotrash: Der große Krach(t)
Von einer kurzen Begegnung vor rund zwanzig Jahren abgesehen, stehen Barbara Petritsch und Johannes Zirner in „Eurotrash“ zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne.

Foto: Andreas Jakwerth

Erste gemeinsame Arbeit

Für Barbara Petritsch und Johannes Zirner ist es die erste gemeinsame Arbeit. Zwar kam es vor etwa zwanzig Jahren – Zirner studierte damals noch am Max Reinhardt Seminar – in Nestroys „Der Färber und sein Zwillingsbruder“ schon zu einer ersten Begegnung. Doch die sei so kurz gewesen, dass sie eigentlich nicht zähle, erinnert sich Barbara Petritsch, und Johannes Zirner stimmt ihr mit einem Kopfnicken zu. Mit August Zirner, dem Vater ihres Bühnen-Sohnes, stand sie früher hingegen oft auf der Bühne. 

Ich habe den Roman gelesen und mir aufgrund seiner dialogischen Struktur sofort gedacht, dass man diesen Text auf die Bühne bringen sollte.

Barbara Petritsch

Die Proben zu „Eurotrash“ haben zum Zeitpunkt unseres Gesprächs zwar noch nicht begonnen, die Freude dar­über, sich schon bald zur Gänze auf diese Welt einlassen zu können, ist bei beiden aber bereits gut spürbar.

„Ich habe den Roman gelesen und mir aufgrund seiner dialogischen Struktur sofort gedacht, dass man diesen Text auf die Bühne bringen sollte“, erinnert sich Barbara Petritsch an ihr erstes Eintauchen in die Welt der Familie Kracht. Außerdem freue sie sich schon sehr darauf, wieder mit Itay Tiran zu arbeiten, der auch bei Lucy Kirkwoods „Moskitos“ Regie führte. „Er hat so einen feinen Humor und ist ein unglaublich guter Beobachter“, fasst sie zusammen. 

Zur Person: Barbara Petritsch

Bevor die gebürtige Steirerin 1999 Teil des Bugtheater-­Ensembles wurde, spielte sie als festes Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen, am Schauspielhaus Bochum, am Schauspiel Frankfurt, am Schillertheater Berlin und am Schauspielhaus Hamburg.

Entdeckungsreise

Das Café Landtmann ist auch deshalb ein guter Ort, um über die nach Aussagen der beiden Hauptfiguren „kathartische“ Reise von Mutter und Sohn zu sprechen, weil ihr gemeinsamer Ausflug in gewisser Weise auch eine Genussreise ist. Zwar nicht so, wie man es vom Sonntagsprogramm auf ORF 2 kennt. Trotzdem spielen Essen und Trinken – wie auch deren Ausscheidung – im Text eine wesentliche Rolle.

Ich beschimpfe dich richtig gerne.

Barbara Petritsch

Als Barbara Petritsch mit spitzbübischem Blick feststellt, dass sie gerne eine Flasche des ausschließlich im Schweizer Kanton Wallis kultivierten Fendant-Weißweins bestellen möchte, zitiert sie ihre Bühnenfigur. Oder doch nicht? So wie die beiden während des Gesprächs zwischen ihren Rollen und ihren realen Persönlichkeiten hin und her wechseln, tauchen auch diesbezüglich plötzlich Unsicherheiten auf. „Ich beschimpfe dich richtig gerne“, sagt Barbara Petritsch und blinzelt ihren Kollegen dabei fröhlich von der Seite an. Es ist wohl davon auszugehen, dass da gerade Frau Kracht mit ihrem umtriebigen Sohn Christian gesprochen hat. 

Die beiden Ensemblemitglieder sind sich einig, dass sich Mutter und Sohn auf dieser Reise durch die Schweiz auf ganz neue Art kennenlernen. Hier gibt es ebenfalls Überlappungen, denn auch Petritsch und Zirner werden sich auf dieser Entdeckungsreise durch die Familiengeschichte der Familie Kracht auf eine Weise kennenlernen, wie es nur dann passiert, wenn man gemeinsam auf der Bühne steht und spielt. 

Zur Person: Johannes Zirner

Absolvierte seine Schauspiel­ausbildung am Max Reinhardt Seminar. Es folgten Engagements am Burgtheater und am Schauspielhaus Bochum. Vor seinem Wechsel ans Burgtheater war er im ­Ensemble des Münchner Residenztheaters. 

Die Kindheit in der Tasche

Damit ist man schnell bei einer weiteren Gemeinsamkeit angekommen: dem gut spürbaren Spieltrieb, der sowohl die Herangehensweise der beiden Ensemble­mitglieder an ihren Beruf als auch das Vorgehen der beiden Romanfiguren kennzeichnet. Wenn Barbara Petritsch anmerkt, dass das Schöne an ihrem Beruf unter anderem sei, dass man das Kind­liche in sich niemals verlieren dürfe, glaubt man ihr das aufs Wort. Eine Einstellung, die sie mit dem 1979 in Herdecke geborenen Johannes Zirner verbindet. Der zitiert den dazu passenden Ausspruch Max Reinhardts: „Ein Schauspieler ist ein Mensch, dem es gelungen ist, die Kindheit in die Tasche zu stecken und sie bis an sein Lebensende darin aufzubewahren.“ Auch ihm kauft man diesen Satz sofort ab. 

Eurotrash: Der große Krach(t)

Foto: Andreas Jakwerth

Trotz all der Allüren, die Christian Krachts klar der reichen Schweizer Mittelschicht zuzurechnenden Hauptfiguren an den Tag legen, kommt man nicht umhin, eine grundlegende Sympathie für die beiden zu entwickeln. Das liegt vor allem an der Gleichung zwischen Geld und Müll, die Frau Kracht bereits im ersten Drittel des Romans aufstellt und die dazu führt, dass 600.000 Franken aus einem alten Müllsack in die Welt hinausflattern. Das auf diese Weise hinaus­geworfene Geld stattet die Alkoholikerin mit dem künstlichen Darmausgang und ihren von einem massiven Familienkomplex belasteten Sohn mit ordentlich Sympathiepunkten aus. Oder, um es mit dem Song „Alles hin, hin, hin“ der Band Ja, Panik aus dem Album „The Angst and the Money“ zu sagen: „Ohne Geld, keine Angst, alles hin, hin, hin.“

Eurotrash: Der große Krach(t)
Barbara Petritsch und Johannes Zirner in Itay Tirans Inszenierung von „Eurotrash".

Foto: Susanne Hassler-Smith

Die Gespenster der Sprache

Spannend findet Johannes Zirner auch, dass der vermeintlich fiktive Christian Kracht eine Figur ist, die am liebsten in der Vergangenheit lebt, „weil sie für ihn greifbarer zu sein scheint als alles andere“. So lässt der echte Christian Kracht seine Hauptfigur unter anderem Folgendes sagen: „Ich hatte immer gelebt in den Träumen, in den Gespenstern der Sprache.“ Und etwa eine Seite später: „Die Vergangenheit war immer viel realer und elastischer und präsenter als das Jetzt.“ Der Schauspieler ergänzt, dass man das natürlich nicht unterschreiben muss, es den Zustand Christians aber gut beschreibt. 

Am Burgtheater ist Johannes Zirner gerade außerdem in Thorleifur Örn Arnarssons Inszenierung von Shakespeares Stück „Der Sturm“ zu sehen. „Wir haben viel über Musik und Bilder gearbeitet. Es war eine sehr spielerische Herangehensweise“, bringt es der Schauspieler auf den Punkt. Stürmisch wird es auch in „Eurotrash“, aber mehr soll an dieser Stelle wirklich noch nicht verraten werden.

Zur Person: Café Landtmann

Das Kaffeehaus wurde am 1. Oktober 1873 vom Cafetier Franz Landtmann eröffnet. Seine Vision: das eleganteste Kaffeehaus der Stadt zu betreiben. Trotz umliegender Baustellen wurde das Landtmann schnell ein großer Erfolg. Unter der Leitung von Anita und Berndt Querfeld hat sich das Kaffeehaus als lebendiger Treffpunkt für Jung und Alt etabliert.

Zu den Spielterminen von „Eurotrash“ im Akademietheater