Back in Town. Das freut Serkan Kaya mindestens genauso sehr wie seine zahlreichen Wiener Fans, die ihr Glück kaum fassen konnten, als Produzent Lukas Perman die frohe Kunde überbrachte, wonach der charismatische Ex-Musical-Star in der Wiener Stadthalle als Judas in „Jesus Christ Superstar“ auftreten würde. „Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das jetzt passt“, erinnert sich Serkan Kaya an den Moment des telefonisch übermittelten Angebots. „Ich liebe Wien, ich vermisse Wien, ich wollte dem Wiener Publikum, das ein ganz besonderes ist, noch einmal begegnen. Das gab wahrscheinlich den Hauptausschlag.“

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Musste er dafür extra üben oder verlernt man das Singen vor einer begeisterten Menschenmasse ohnehin nie? „Oh doch, das ist ein Muskel, der verkümmert, wenn man ihn nicht trainiert“, lacht er. „Nach meiner Zusage habe ich mich erst einmal ins Auto gesetzt, bin durch die Gegend gefahren, habe ‚Jesus Christ Superstar‘ laufen lassen und lautstark dabei mitgesungen. Das heißt, am Anfang war es mehr ein Schreien als ein Singen, was bei der Rolle des Judas zwar nicht ganz falsch ist, mir aber trotzdem klar gemacht hat, dass ich viel Arbeit vor mir haben würde.“ Und die hat er offensichtlich bravourös geleistet, wie man sich bei der Premiere letzten Sonntag überzeugen konnte. Am 16. und 17. April folgen nun zwei weitere Vorstellungen in der Wiener Stadthalle.

Ewiger Erfolg

„Jesus Christ Superstar“ wird gemeinhin als Rockoper bezeichnet. Was unterscheidet Andrew Lloyd Webbers und Tim Rices frühe Arbeit in den Augen des Profis von einem gängigen Musical? „Wenn man sich Webbers frühe Stücke anhört und diese mit seinen späteren Welterfolgen wie ‚Das Phantom der Oper‘ oder ‚Cats‘ vergleicht, hat man nicht das Gefühl, diese stammten aus der Feder des gleichen Komponisten. Für die damalige Zeit und im Kontext der Darstellung von Jesus und Judas, gepaart mit Rockmusik, war ‚Jesus Christ‘ revolutionär. Handwerklich liegt die wesentliche Unterscheidung darin, dass es hierbei keine durchgängig erzählte Geschichte gibt, sondern dass das Stück revueartig aufgebaut ist.“

Die Aktualität des Stoffes ist aufgrund des Inhalts ohnehin zeitlos. Was aber macht dieses Werk darüber hinaus so außergewöhnlich, dass es seit 52 Jahren rund um den Erdball gespielt wird? „Als Erstes fällt mir dazu ein, dass es so notiert ist, dass die Schauspielenden oder Singenden gar nicht anders können, als in die Emotionalität zu gehen. Auch für Männer ist es sehr hoch angesetzt, Jesus und Judas bewegen sich im oberen hohen C-Bereich, und das durchgehend, was zu jenen Gefühlsausbrüchen verführt, die es tatsächlich braucht. Ich glaube, das spürt auch das Publikum. Das Ganze bekommt durch die unvergleichliche Musik eine enorme Dringlichkeit.“

Serkan Kaya spielt Judas Iskariot, also jenen Jünger, der Jesus verrät. Im Stück ist er dennoch kein heimtückischer Kontrahent – ein Umstand, der in den 1970er Jahren durchaus zu kontroversiellen Diskussionen Anlass gab. Was für ein Mensch ist er also? „Das ist eine interessante Frage, die auch mich sehr beschäftigt hat. In ‚The Gospel of Judas‘, das vor etwa 20 Jahren veröffentlicht wurde, wird er ganz anders dargestellt als in den Evangelien. Und zwar als engster Vertrauter von Jesus, als ein um ihn Wissender. Rice und Webber haben ihn ähnlich konzipiert, obwohl sie davon noch gar nichts wissen konnten. Im Stück ist es nicht so, dass Judas aus Boshaftigkeit oder Habgier Jesus zu verraten versucht, sondern er glaubt, das Richtige zu tun. Er will Jesus provozieren, damit dieser endlich aktiv wird, anstatt daran zu glauben, Gottes Sohn oder ein König zu sein. Judas sagt ihm: ‚Wir sind von den Römern besetzt und müssen etwas tun. Bitte beweise mir, dass du es wert warst, dass ich alles habe liegen und stehen lassen, um Dir zu folgen.‘ Er handelt also aus Liebe und nicht, um Böses zu tun. Die Konsequenz des Handelns kann natürlich ins Verderben führen, aber die ursprüngliche Motivation entstammt dem Wunsch, verstanden und geliebt zu werden. Und diese Empfindung spürt Judas vonseiten Jesus‘ nicht mehr.“

„Wie man sich vorstellen kann, verläuft die Kindheit eines türkischen Gastarbeiterkindes nicht durchwegs positiv, sondern ist von vielen Widrigkeiten und Vorurteilen geprägt. Ein Ausweg war für mich das Spielen.“

Serkan Kaya
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Große Sehnsucht

„Jesus Christ Superstar“ wird in der Wiener Stadthalle mit wenigen szenischen Mitteln – beinahe konzertant – dargeboten. Welche Vor- und Nachteile hat diese Form? Oder macht die Aufführungspraxis gar keinen Unterschied? „Oh nein, egal ist es nicht“, entgegnet Serkan Kaya. „In einer Inszenierung kann man sich natürlich auch gut verstecken, weil die Handschrift des Regisseurs oder der Regisseurin vieles überspielen kann. In einer sehr artifiziellen Art der Inszenierung könnte ein Schauspieler auch verschwinden. Das kann manchmal durchaus hilfreich sein, etwa, wenn man müde ist oder nicht hundertprozentig hinter der Regieidee steht. In einer konzertanten Aufführung aber ist das Verstecken unmöglich. Zudem ergeben sich durch das nicht über die Maßen geprobte Konstrukt ad hoc Faktoren, die nicht vorhersehbar sind. Wenn man den Emotionen freien Lauf lässt und auf der Bühne im Moment agiert, können die großartigsten Dinge geschehen. Das hat für mich nur Vorteile.“

Könnte er sich vorstellen, auch wieder einmal in einer szenischen Produktion aufzutreten oder ist dieses Kapitel seines Berufs für ihn abgeschlossen? „Im Moment läuft es mit Film und Fernsehen recht gut, und das mit Theater zu vereinbaren, wäre zeitlich sehr aufwändig. Außerdem habe ich auch noch drei Kinder und eine Frau. Aber die Sehnsucht nach der Bühne ist da. Sehr sogar. Auf der Bühne einen Text zu sprechen, hat einfach einen ganz anderen Wert. Wenn man im Fernsehen zum x-ten Mal fragt ‚Wo waren Sie gestern um 22 Uhr?‘ hat das eine andere Gewichtung als im Theater zu sagen ‚Schmölze doch dies allzu feste Fleisch‘. Das ist ein riesiger Unterschied (lacht). Ich vermisse es auch sehr, unmittelbar mit dem Publikum agieren zu können. Denn beim Film drehen wir im Augenblick für ein Publikum, das es noch gar nicht gibt, und hoffen darauf, dass unsere momentane Empfindung eventuell kongruiert mit dem, was der Zuschauer empfindet, wenn er sich das Ergebnis dann ansieht. Natürlich ist die Bühne meine erste große Liebe – und bleibt es auch.“

Serkan Kaya
2020 wurde Serkan Kaya für seine Darstellung in „Der König von Köln“ mit dem Grimme Preis ausgezeichnet, 2021 bekam er für die TV-Serie „KBV – Keine besonderen Vorkommnisse“ den Deutschen Schauspielpreis.

Foto: Sandra Then

Motivierendes Vertrauen

Serkan Kaya kam als dritter Sohn türkischer Gastarbeiter 1977 in Leverkusen zur Welt. Seine Eltern seien, den Umständen geschuldet, nicht kunstaffin gewesen. „Konzerte, Theaterabende, Kino gab es nicht. Der einzige Unterhaltungswert war der Fernsehapparat. Alles andere durfte ich ganz alleine für mich entdecken.“ Es habe viele Schlüsselmomente gegeben, die ihn zum Beruf des Schauspielers geführt hätten. „Da war einmal meine Grundschullehrerin, die ein Weihnachtsstück mit uns einstudiert hat, und meinte: ‚Serkan, du spielst die Hauptrolle, den Nikolaus. Der hat sehr viel Text, aber du schaffst das schon!‘ Und als ich mich als Achtjähriger dann näher damit beschäftigt habe, hat sich das überhaupt nicht fremd angefühlt, sondern ganz natürlich, sodass ich keinerlei Berührungsängste hatte. Ich habe mich wohl gefühlt und gemerkt, dass ich dabei eher Ich sein konnte als sonst. Solche Momente gab es auch später immer wieder. Stets ausgelöst durch Menschen, die mir vertraut haben, oder die mir zugetraut haben, etwas schaffen zu können. Dafür bin ich unfassbar dankbar, weil ich sonst wahrscheinlich nie den Mut gefasst hätte, diesen Beruf zu ergreifen.“ Möglicherweise wäre er dann Kindergärtner geworden oder Förster. Etwas mit Menschen oder Natur – seine Pläne B, die letztendlich nie zum Tragen kamen, nun aber auch bei seinem 15-jährigen Sohn hoch im Kurs stehen.

Schließlich studierte er zeitgleich Schauspiel und Musical, was in der Dualität eher ungewöhnlich ist. Wann kam die Musik in sein Leben? „Der intellektuelle Gedanke dahinter war der, dass ich dachte, wenn ich auf einer Bühne stehe, will ich den gesamten Körper ausgebildet wissen. Und an der Folkwang Universität Essen durfte man interdisziplinär studieren. Wenn also zum Beispiel eine Stunde im Schauspiel ausfiel, konnte man in die Tanzklasse gehen. Das habe ich so intensiv genutzt, dass ich am Ende sowohl Schauspiel als auch Musical studieren durfte, weil man gesagt hat, der ist ja sowieso die ganze Zeit da (lacht). Die emotionale Herangehensweise war eine andere. Wie man sich vorstellen kann, verläuft die Kindheit eines türkischen Gastarbeiterkindes nicht durchwegs positiv, sondern ist von vielen Widrigkeiten und Vorurteilen geprägt. Ein Ausweg war für mich das Spielen. Damit hatte ich einen Weg gefunden, die Frustration als pubertierendes Kind rauszulassen. Ich habe eigentlich gesungen, weil es dem Schreien so nahekam. Deshalb war es für mich vollkommen naheliegend, dass der Gesang zur darstellenden Kunst dazugehört. Da, wo das gesprochene Wort nicht ausreicht, muss gesungen werden.“

„Für Regie bin ich, glaube ich, zu albern. Ich finde skurrile Ideen immer gut und würde wahrscheinlich inszenieren wie Herbert Fritsch. Das, was er macht, gefällt mir sehr.“

Serkan Kaya

Faszinierendes Wien

Nach Beendigung seines Schauspiel- und Musicalstudiums startete Serkan Kaya in Wien durch. „Das war im Nachhinein gesehen vielleicht meine intelligenteste Karriereentscheidung, die sich damals aber noch gar nicht abgezeichnet hat. Ich hatte auch noch andere Angebote als die Zweitbesetzung des Luigi Lucheni in ‚Elisabeth‘ zu spielen, aber Wien entsprach am ehesten meiner Sehnsucht. Ich komme aus Leverkusen und habe in Essen studiert, das 15 Kilometer entfernt liegt. Mein erstes Engagement war in Düsseldorf, das ist 30 Kilometer entfernt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich das Leben in meinen Zwanzigern doch nicht innerhalb weniger Kilometer abspielen darf“, zeigt er sich noch heute amüsiert. „Und Wien war einfach am weitesten weg.“

Zwei Wochen vor der „Elisabeth“-Premiere brach sich Lucheni-Erstbesetzung Thomas Borchert die Hand und Serkan Kaya rückte in den Fokus. „Der heimliche Star des Abends“ lautete eine der vielen wohlwollenden Schlagzeilen. Von 2003 bis 2005 spielte er die ikonische Rolle des Mörders von Kaiserin Elisabeth – „und hätte meine Frau nichts dagegen gehabt, nach Wien zu ziehen, würde ich heute sicherlich hier leben. Ich liebe Wien, ich mag den Schmäh, sogar die Herausforderungen, vor die einen jeder Kellner und jeder Taxifahrer stellt. Die Wiener sind im Durchschnitt viel kunstinteressierter als zum Beispiel die Berliner. Ich hatte immer das Gefühl, dass Wien weiß, wer Wien ist.“

Beeindruckende Karriere

Für „We Will Rock You“ kehrte er später noch einmal an die Donau zurück. Es folgten quer durch den deutschen Sprachraum Hauptrollen in Stücken wie „Into the Woods“, „West Side Story“, „Chess“ oder „Spamalot“. Und natürlich die Rolle des Udo Lindenberg, den er in Berlin im Musical „Hinterm Horizont“ verkörperte. Danach wechselte er für fünf Jahre ans Düsseldorfer Schauspielhaus und ist nun als freischaffender Schauspieler vor allem in Film und Fernsehen gut beschäftigt. Er wirkte in Produktionen wie „Andere Eltern“, „Der Pfau“, „Die Detektive“, „Hysteria“ oder „Die unlangweiligste Schule der Welt“ mit.

2020 wurde er für seine Darstellung in „Der König von Köln“ mit dem Grimme Preis ausgezeichnet, 2021 bekam er für die TV-Serie „KBV – Keine besonderen Vorkommnisse“ den Deutschen Schauspielpreis. Zwei Auszeichnungen, über die er sich ehrlich gefreut habe.

Musical, klassisches Theater, Film, Fernsehen … wie hat er es geschafft, nie in eine Schublade gesteckt zu werden? „Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass ich es auch nie zugelassen habe und dass ich das, was ich getan habe, nie als meine Identität gesehen habe. Schon der Erfolg in ‚Elisabeth‘ hätte mir zu Kopf steigen können, aber ich habe mich dem komplett verweigert. Ich wusste, dass es nicht allein mit mir zu tun hatte, denn ich habe weder das Stück geschrieben noch das Bühnenbild entworfen, sondern lediglich meinen Beitrag geleistet. Diese Sichtweise hat mir auch geholfen, mich nicht in Schubladen stecken zu lassen, weil ich mich nie gänzlich in Produktionen verloren habe.“

Wären Drehbuch oder Regie in seinem Fall nicht eigentlich der logische nächste Schritt? Serkan Kaya lacht. „Für Regie bin ich, glaube ich, zu albern. Ich finde skurrile Ideen immer gut und würde wahrscheinlich inszenieren wie Herbert Fritsch. Das, was er macht, gefällt mir sehr. Bei mir wäre es so, dass ich jede Idee gutheißen und völlig den Überblick verlieren würde, worum es im Stück überhaupt geht. Aber Drehbuch interessiert mich sehr. Es gibt haufenweise Drehbuchideen, man müsste sie nur umsetzen, und ich glaube, das ist das große Problem unserer Zunft. Viele von uns haben das Gefühl, sie hätten die tollsten Einfälle, aber sie bringen es nie zu Ende. Da sind wir wohl nicht konsequent genug. Mich hindert aktuell der Faktor Zeit daran.“

Nach Wien wird Serkan Kaya übrigens schon bald wieder zurückkehren, um einen Film zu drehen, über den er aber noch nicht reden darf. Und glaubt man dem Online-Netzwerk Crew United, sollte heuer noch die komödiantische Netflix-Serie „Alphamännchen“ herauskommen. Darin spielt er einen von vier Freunden mittleren Alters, die allesamt eine Midlife-Crisis erleben und versuchen, sich an die modernen Vorstellungen von Männlichkeit anzupassen.

Jesus Christ Superstar in Concert 2025

16. & 17. April 2025

Mit: Oedo Kuipers, Serkan Kaya, Ana Milva Gomes, Marjan Shaki, Thomas Borchert, Georgij Makazaria

Wiener Stadthalle / Halle F

stadthalle.com