Die vergangene Saison war mit knapp 14 Wochen Spieldauer die kürzeste, an die ich mich erinnere. Nun sind wir wohlgemut, einen solchen Minusrekord nie mehr erleben zu müssen, jubeln: „Sommerzeit, Festspielzeit – und der Herbst ist auch nicht weit!“, und denken nicht einmal mehr im Traum an die (Teil-)Lockdowns, als es hieß: „Erlaubt sind Maniküre und Pediküre, verboten ist Walküre.“ 

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Urlaub, Chaos, Hoppalas

Wenn ich dennoch auf die bewusste Kurz-Saison (nein, Herr Bundeskanzler, Sie haben immer Vollbetrieb und sind nicht gemeint) zurückblicke, dann nicht, um zu klagen, sondern um ein paar lohnende Hoppalas (mein Rechtschreibprogramm stammt aus Deutschland und möchte an dieser Stelle „Hoppla“ lesen) festzuhalten. Teils selbst erlebte, teils an mich herangetragene – die Leute wissen schon, dass ich für jeden Blödsinn dankbar bin. 

Die Volksoper eröffnete pünktlich am 19. Mai 2021 mit der dem Dornröschenschlaf entrissenen Suppè-Operette „Der Teufel auf Erden“. Der Regisseur, eigens angereist für die Endproben (die schon im Dezember 2020 hätten stattfinden sollen), versorgte mich mit einer Anek­dote über den verstorbenen Kollegen Götz Friedrich. Dieser probte dereinst „La traviata“ in einem reduzierten Bühnenbild, das nur aus einigen Stühlen, dafür aber einem Raum mit dreizehn Türen bestand. Auf die Frage der Hauptdarstellerin Cristina Gallardo-Domâs: „Bei welcher Tür soll ich jetzt rausgehen?“, herrschte Friedrich (er hatte wohl schon längere Zeit keine Zigarette mehr inhalieren dürfen) zurück: „Woher soll ich das wissen? Ist doch deine Wohnung!“ 

Detailfragen

Auch eine Wiederaufnahme von Franz Lehárs „Land des Lächelns“ stand auf dem Volksopern-Programm. Den Prinzen Sou-Chong verkörperte ein gut aussehender und klingender koreanischer Tenor, der Schlager „Dein ist mein ganzes Herz“ wurde akklamiert. Dann das tragische Finale, in dem Sou-Chong, bevor er zu der tränendrückenden Reprise „Dein war mein ganzes Herz“ ansetzt, zu seiner Liebsten die bewegenden Worte sprechen soll: „Lisa, ich gebe dich frei!“ Der Sänger dachte in diesem Moment wohl an einen Urlaubsschein und tönte: „Lisa, ich gebe dir frei!“ 

Das erinnert an eine andere Fehlleistung. Pamina antwortet, wenn ihre Mutter sie zum Mord an Sarastro anstiften möchte: „Morden soll ich? Das kann ich nicht.“ Zumindest meistens antwortet sie das. Bei einer „Zauberflöte“-Aufführung in Aix-en-Provence erwiderte Pamina allerdings anderes, und es ist nicht geklärt, ob die Künstlerin sich einen Spaß erlaubte oder ihren übervollen Terminkalender vor sich sah: „Morgen soll ich? Da kann ich nicht!“ 

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Beim Bühneneingang der Volksoper war ab Ende Mai 2021 plötzlich wieder Hochbetrieb. Künstlerinnen, Techniker, Verwaltungspersonal strömten ein und aus, und auch Post- und Paketboten traten liefernd in Erscheinung. Ein DHL-Fahrer ohne nennenswerte Straßenkenntnisse wandte sich an den wackeren Portier Toni: „Sie sind Herr Fuchsthaller?“ Toni verneinte – der Bühneneingang hat die Adresse Fuchsthallergasse …

Multitask-Talent Lorin Maazel

Gerrit Prießnitz, Studienleiter der Volks­oper und als Dirigent Spezialist für „eigentlich eh alles“ von Mozart bis zu Zeitgenössischem, ist ein passionierter Sammler von Dirigentenanekdoten. Jene im Zusammenhang mit Teodor Currentzis seien hier nicht wiedergegeben, man will ja das Ansehen aufstrebender Jung-Maestri knapp vor deren 50. Geburtstag nicht beeinträchtigen. Aber Lohnendes zum legendären Sir Georg Solti hatte Gerrit zu berichten: Solti probte Haydns „Schöpfung“ mit seinem Chicago Symphony Orchestra. Das „Chaos“ vom Beginn des Werkes war aufgelegt, Solti ließ wiederholen. Nach dem zweiten „Chaos“, die Musiker spielten nach Kräften, klopfte Solti wieder ab und verlangte einen weiteren Durchgang. Der Konzertmeister erlaubte sich die höfliche Frage, was denn nicht in Ordnung gewesen wäre. Solti gab grinsend zur Antwort: „Alles war wunderbar. Ich höre die Stelle nur so gern!“ 

Eine weitere verstorbene Dirigentengröße mit fotografischem Gedächtnis: Lorin Maazel waltete bei einer Orchesterprobe zu „Carmen“ mit in die Noten gesenktem Kopf seines Amtes. Ein Assistent fragte ihn ungläubig, ob er denn ausgerechnet dieses populäre Werk nicht auswendig kenne. „Doch, natürlich“, gab Maazel zur Antwort, „aber ich studiere gleichzeitig ‚Tristan und Isolde‘.“ 

Apropos Dirigenten u. a.: Das Schluss­wort möchte ich dem großen Georg Kreisler überlassen, dem eine universale Aussage zu dem weiten Thema „Künstler“ gelungen ist: „Eigentlich hat jeder Künstler seinen Beruf verfehlt: Die besten Dirigenten sind Schauspieler, die besten Schauspieler Dirigenten, Maler sind Priester, Tänzer sind Dichter und Dichter Tänzer. Nur Tenöre sind und bleiben Tenöre.“ 

Zur Person: Christoph Wagner-Trenkwitz

Alter: 58 Jahre
Wohnort: Wien 
Biografie: Dramaturg, Musik­wissenschaftler, ­Buchautor (und legendärer Opernball-Kommentator). Er ist Intendant der Operette Langenlois und seit 2009 Chefdramaturg an der Volksoper in Wien.

Weiterlesen: Die Kolumnen von Christoph Wagner-Trenkwitz

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