Normalerweise hält sich der in der englischen Grafschaft Cornwall geborene Jethro Compton nur selten wirklich lange an einem Ort auf. Das lässt sich einerseits damit begründen, dass er als Autor, Regisseur und Produzent von Theaterstücken ständig in der sogenannten Weltgeschichte unterwegs ist, andererseits aber auch mit seinem beinahe grenzenlosen Interesse für unterschiedlichste Themen und Stoffe, das ihn unter anderem schon in den Wilden Westen und in die Welt Benja­min Buttons geführt hat. Seine Fantasie und seine Liebe für außergewöhnliche Geschichten wurden durch die momenta­ne Situation zwar nur bedingt eingegrenzt, wie es mit den Proben für „Krieg der Welten“ am Theater der Jugend weiter­geht, steht zum Zeitpunkt unseres Interviews aber noch in den Sternen. 

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Grenzen überwinden

Und die dürften im trüben, regnerischen Cornwall, wo Jethro Compton, der Situation geschuldet, in den vergangenen Wochen sehr viel Zeit verbracht hat, in letzter Zeit kaum zu sehen gewesen sein. Lichtblicke gibt es für den 32-jährigen Theatermacher aber trotzdem: „Ich habe durch meine Arbeit am Theater der Jugend nun schon viel Zeit in Wien verbracht und freue mich schon wieder sehr auf diese Stadt. Auch auf den besonderen Charme der Wienerinnen und Wiener.“
Schmunzelnd fügt er hinzu, dass er sich sogar schon überlegt hat, ganz nach Wien zu ziehen. „Es ist eine große Entscheidung, zu der ich mich noch nicht so ganz durchringen konnte. Außerdem hatte der Begriff ‚zu Hause‘ für mich ohnehin noch nie so wirklich diesen identitätsstiftenden Charakter.“

Grenzen setzt sich Jethro Compton auch keine, wenn es um Sprache geht. Bei seinem allerersten Stück für das Theater der Jugend, einer Romanbearbeitung mit dem Namen „Schlamm oder die Katastrophe von Heath Cliff“, sprach er noch kein Wort Deutsch. „Meine Zusammenarbeit mit dem Theater der Jugend begann 2016, kurz nachdem meine Arbeit ‚The Frontier Trilogy‘ vom Rabenhof Theater nach Wien eingeladen worden war“, erklärt der junge Theatermacher. 

„Am Anfang habe ich meine eigene Stimme hinter bekannten Texten versteckt.“

Foto: Mike Hogan

Ins kalte Wasser springen

An seinem ersten Probentag in Wien war er sich ziemlich sicher, mit dieser neuen Zusammenarbeit einen riesengroßen Fehler gemacht zu haben. „Ich bin mit dem deutschen und dem englischen Skript in der Leseprobe gesessen und habe nichts verstanden. Glücklicherweise habe ich in kurzer Zeit sehr viel dazugelernt, und es wurde eine tolle Produktion“, fasst Jethro Compton lachend zusammen. Dass es sich gelohnt hat, ins kalte Wasser zu springen, zeigt die Welle an erfolgreichen Theater­stücken, die Compton in den vergangenen Jahren gemeinsam mit dem Theater der Jugend umgesetzt hat.

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Für den deutschsprachigen Raum eher ungewöhnlich, führt Compton bei seinen eigenen Stücken auch Regie. Zudem liegt die Produktion der Stücke in seinen Händen. In die Quere kommen sich die verschiedenen Funktionen, wie er versichert, jedoch nur sehr selten. „Ich halte die verschiedenen Rollen in meinem Kopf strikt voneinander getrennt, erlaube ihnen nur, voneinander zu profitieren.“ 

Allerdings kommt es hin und wieder vor, dass er als Regisseur eine Idee entwickelt, die am Budget­rahmen kratzt, ­weshalb er in diesen Momenten als Produzent einschreiten muss. Auf der einen Schulter die Fantasie, auf der anderen die Vernunft, könnte man also sagen. Ein Umstand, den Jethro Compton aber ganz und gar nicht als negativ einstufen möchte: „Vor allem als Autor empfinde ich diese Beschränkungen nicht als limitie­rend, sondern eher als befreiend, weil sie mir erlauben, innerhalb eines bestimmten Rahmens das Beste rauszuholen.“ Wenn es bei Jethro Compton also um Grenzen geht, dann nur, wenn sie seine Fantasie befeuern und nicht einschränken. 

Detektivische Suche

Begonnen hat Jethro Comptons Karriere als Theatermacher schon während seiner Studienzeit. Als Produzent und künstlerischer Leiter der Belt Up Theatre Company erarbeitete er vor allem Klassiker wie „Macbeth“ und „Tartuffe“. 2010 gründete er sein eigenes Theater und begann, seine Stücke nicht nur in England und Schottland, sondern auch in Australien, den Vereinigten Staaten und in Wien zu zeigen. Spezialisiert hat er sich unter anderem auf Romanbearbeitungen. „Am Anfang war das vor allem deshalb so, weil ich mich als Autor nicht selbstbewusst genug gefühlt habe, um meine eigenen Geschichten zu er­zählen“, erklärt er. „Ich habe meine eigene Stimme hinter diesen Texten versteckt, um nicht so angreifbar zu sein. Obwohl natürlich auch in Bearbeitungen sehr viel Persön­liches steckt.“ 

An der Arbeit mit bekannten Texten reizt Jethro Compton vor allem die fast schon detektivische Suche nach neuen, überraschenden Aspekten. Für ihn geht es nicht darum, dieselbe Geschichte auf ähnliche Weise zu erzählen, sondern einzelne Teile neu zu denken und ins Hier und Jetzt zu holen. So ist er auch bei der Roman­adaption von H. G. Wells’ „Krieg der Welten“ vorgegangen, die, sobald es wieder möglich ist, im Theater im Zentrum gezeigt wird. 

„Hat man die Kinder auf seiner Seite, gibt es eigentlich kein besseres Gefühl.“

Foto: Mike Hogan

Herausfordern, nicht überfordern

Faszinierend fand er an diesem Roman vor allem, wie viel der britische Autor darin für unsere heutige Zeit vorausgesagt hat. Unterstrichen hat Compton diese Relevanz unter anderem mit folgenden Gegenwartsbezügen: „In meinem Stück spielen Flucht und Migration eine zentrale Rolle. Ich finde, dass man heute keine Geschichte zum Thema Krieg erzählen kann, ohne dabei diese Themen zu behandeln.“ 

Der Spagat besteht für den Theaterschaffenden vor allem darin, solche für ihn wichtigen Reflexionen anzustellen, ohne dabei zu belehrend zu werden. Dass das Stück für Kinder ab elf Jahren gedacht ist, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. „Kinder in diesem Alter sehen sich nicht mehr wirklich als Kinder, obwohl sie es natürlich noch sind. Ich versuche, sie deshalb mit meinen Stücken intellektuell herauszufordern, ohne sie damit zu überfordern.“

Ich glaube, man kann sich gut vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man mitbekommt, dass 700 Kinder langsam damit beginnen, in ihren Sitzen herumzurutschen. 

Jethro Compton

Kein Platz für Langeweile

Einfacher findet er die Arbeit an Stücken für Volksschulkinder. Wobei es auch hier viele Dinge zu beachten gilt, vor allem in Sachen Langeweile. „Hat man die Kinder auf seiner Seite, gibt es eigentlich kein besseres Gefühl. Verliert man sie aber, ist es einfach nur furchtbar“, fasst Jethro Compton zusammen und nimmt einen Schluck von seinem Tee. „Ich glaube, man kann sich gut vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man mitbekommt, dass 700 Kinder langsam damit beginnen, in ihren Sitzen herumzurutschen.“ 

Dass er sich bei seinen Stücken für eine Herangehensweise entschieden hat, die sich stark an die Ästhetik des Films anlehnt, kommt ihm bei jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauern sehr zugute. Und wenn ihm doch einmal die Inspiration ausgeht? „Dann lese ich viel, blättere Geschichten durch oder höre Countrymusik im Auto“, meint Compton schmunzelnd. Countrymusik, Cornwall und Wiener Charme also – Jethro Compton ist wirklich in vielen verschiedenen Welten zu Hause.

Zur Person: Jethro Compton

Erste Erfolge feierte Jethro Compton mit „The Man Who Shot Liberty Valance“, das 2014 in London uraufgeführt wurde. 2016 holte das Wiener Rabenhof Theater seinen erfolgreichen Dreiteiler „The Frontier Trilogy“ nach Wien, woraufhin sich eine intensive Zusammenarbeit mit dem Theater der Jugend entwickelte. 

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Alle Informationen zum Theater der Jugend finden Sie hier