Es gibt da ein journalistisches Credo: Beginne nie eine Geschichte in der Vergangenheit. Wir brechen diese Regel jetzt einfach, sie ergibt irgendwie keinen Sinn. 

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New York, 14. Dezember 1918: Auf der Bühne der Metropolitan ­Opera hebt sich der Vorhang für Giacomo ­Puccinis „Il trittico“ – drei Kurzopern von je einer Stunde Dauer, komplett verschieden und doch zusammengefügt zu einem Opernabend. Die Uraufführung wird eine Sensation. Und dann? 

Was blieb außer „O mio babbino ­caro“ und „Senza mamma“? Es gab Aufführungen von einzelnen Teilen, Kombis mit anderen Kurzopern, in Salzburg wurde die Reihenfolge verändert. Seit 1982 wurde das Werk nicht mehr an der Staatsoper gezeigt. Stimmt nicht ganz: 2000 wurde das „Gianni Schicchi“-Drittel gemeinsam mit Schönbergs „Jakobsleiter“ aufgeführt. „Seltsam eigentlich“, wundert sich auch Opern-Direktor Bogdan Roščić. „Puccini hat ‚Il trittico‘ nie als zusammengewürfelte Oper gesehen, sondern als ein Werk.“

Die Herausforderungen sind genau deshalb für Opernhäuser enorm: „Il tabarro“ spielt im großstädtischen Paris der Jahrhundertwende, „Suor Angelica“ in einem einsamen Nonnenkloster, „Gianni ­Schicchi“ 1299 in Florenz. 

Wie das alles zusammenführen? Wie das besetzen? Wie das bebildern?

Um dies herauszufinden, haben wir uns zu Regisseurin Tatjana Gürbaca und Bühnenbildner Henrik Ahr in Richtung Probebühne aufgemacht, um alle offenen Fragen beantwortet zu bekommen.

Zur Person: Tatjana Gürbaca

Ihre Mutter stammt aus Triest und ist „puccinisüchtig“, der Papa aus der Türkei und hat dort klassische türkische Musik studiert. In Berlin lernten sie sich als Dolmetscher kennen. Tatjana Gürbaca war Direktorin der Oper Mainz (2011–2014). Ihren Durchbruch hatte sie an der Oper Graz mit „Turandot“ (2001). Gürbacas ­Repertoire ist breit aufgestellt: Wagner, Verdi, Mozart, Ligeti und natürlich Puccini.

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„Gianni Schicchi“ ist wegen der Komik und des Superhits „O mio babbino caro“ der beliebteste Teil des Triptychons. Warum also
sich mit den anderen aufhalten?

Tatjana Gürbaca: Weil die drei Stücke erst gemeinsam ein Bild ergeben. „Il tabarro“ ist das vielleicht unterschätzteste Stück der
Operngeschichte – ein Solitär, mit dem Puccini die Grenzen des Verismo sprengt und erweitert. Schon seit 1900 existiert die Idee, drei Einakter nach Alphonse Daudet zu vertonen, um die „tre ­tinte“ – die „drei Farben“ Tragödie, Drama und Komödie – nebeneinander auf die Bühne zu bringen. Puccini ist auf der Suche nach neuen Stücken, neuen Kompositions­formen; Maxim Gorki interessiert ihn als Autor. Gemeinsam mit verschiedenen Librettisten sucht er nach geeigneten Stoffen und gibt sich mit dem Gefundenen nicht zufrieden. Am Ende entscheidet er sich für Didier Golds Drama „La houppelande“ und zwei Libretti, die Giovacchino Forzano für ihn geschrieben hat. Es ist ein langer Prozess, an dessen Ende drei Opern stehen, die sich musikalisch auch an Stücken Ravels und Debussys orientieren und inhaltlich den philosophischen Strukturalismus antizipieren: weil Puccini in allen drei Stücken die Umstände beschreibt, in denen man lebt, die Gesellschaft, in der man sich befindet, wie das eigene Leben das Sein bestimmt und wie wenig frei man in Wahrheit ist. 

Zur Person: Giacomo Puccini

hat zwölf Opern ­geschrieben – darunter blieb eine unvollendet – und drei (eigentlich vier) Einakter. Nicht einmal zwanzig Stunden Musik alles in allem; pro Werk wird die Zweistundengrenze kaum überschritten. Dazu gibt es ein paar Jugendkompositio­nen und ein paar wenige spätere Gelegenheitsstückchen. Puccini brauchte lange, um die einfachen Gesten des Stoffs, des Texts und der Musik zu finden, auf die es ihm ankam: das Einfache, das schwer zu machen ist.

Ich habe versucht, einen roten Faden durch alle drei Teile zu finden, und meiner Meinung nach sind alle Protagonist*innen einfach nur auf der Suche nach einem halbwegs glücklichen Leben.

(Gürbaca lächelt und nickt. Hurra! Die Frage scheint ein Volltreffer zu sein …)

Genau. Giorgetta singt in „Il tabarro“, wie schwierig es ist, glücklich zu sein. Aber sie redet nicht nur von sich, sondern allumfassend für die Menschheit. Die Lebensumstände und „die Anderen“ – das ist schon fast diese Sartre-Idee – nehmen einem die Möglichkeit, erfüllt und frei zu sein. Im zweiten Teil gibt es unter den Nonnen eine, die sich wünscht, noch einmal ein Lämmchen zu streicheln – sie drückt damit eine Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit aus, die alle Figuren umtreibt. Und auch im dritten Teil zeigt sich, wie schwierig die Suche nach dem Glück ist, weil wir Menschen uns immer in bestimmten Zusammenhängen bewegen. Hier ist die Familie Paradies und Hölle in einem. 

Ist das nicht ein Problem, dass die drei Teile auch zeitlich nicht miteinander verwoben sind? 

Tatjana Gürbaca: Sie sind vollkommen voneinander losgelöst und ergeben erst in der Gesamtheit ein Narrativ. Das sind keine einzelnen Stücke, sondern es steht eine der großen Lebensfragen über allen.

Klingt einfach, muss aber für das Bühnenbild der blanke Horror sein. Wie schafft man es, dabei die Kurve durch die drei Teile zu kriegen? Zuerst nichts, dann viel?

Tatjana Gürbaca: Wir haben uns stark an der Kunstgeschichte orientiert und an der Frage, was ein Triptychon ausmacht und zusammenhält. Henrik hat dann einen Raum entwickelt, der sich von Stück zu Stück immer weiter verändert und zu einem Ganzen zusammenwächst.

… und am Ende ist es dann komplett?

(Henrik Ahr lächelt und schaltet sich in das Gespräch ein.)

Il trittico Staatsoper
Tatjana Gürbaca mit dem Bühnenbildner Henrik Ahr bei den Proben. Ahr kommt aus der Architektur und ist seit Jahren künstlerischer Wegbegleiter von Gürbaca. Er ist seit 2010 Professor am Mozarteum.

Foto: Lukas Gansterer

Henrik Ahr:Im letzten Teil ist das Triptychon komplett – und der Spielraum gleichzeitig die beengendste Bühnenarchitektur: eine Metapher für unser ei­genes Leben und dessen Lebens­entwürfe. Am Anfang ist die Welt groß, man hat die Möglichkeit, überall hinzugehen und sich auszuprobieren. Aber je länger das Leben dauert, desto mehr Zwänge kommen dazu – und man stellt sich eventuell dann die Frage: Wie komme ich da raus? 

Puccini hat in all seinen Opern versucht, Farben zum Klingen zu bringen. Das bedeutet also, man hält sich optisch an Farben – oder macht man es eher grau?

Henrik Ahr: Das wäre zu einfach. Eine Bühne ist ja zuerst einmal ein Ort, auf dem alles möglich ist, und es gehört dazu, dass wir den Zuschauer zum Komplizen machen, denn das Farbigste, was es gibt, ist die Fantasie einer jeden Person, die im Zuschauerraum sitzt und dem Geschehen beiwohnt. Es geht also um ein Spiel der Assoziationen und darum, Bilder zu schaffen, die zum Weiterdenken und zum Weiterträumen einladen.

Viele Häuser machen „Il trittico“ nicht, weil es einfach zu viel Arbeit bringt und richtig viel kostet.

Tatjana Gürbaca: Harry Kupfer hat einmal gesagt, gegen „Il trittico“ sei die „Götterdämmerung“ ein Spaziergang. Und ich muss sagen: Er hat recht! Es sind eben gleich drei Opern mit vielen unterschiedlichen Rollen und Figuren. Das erfordert eine präzise Planung und Vorbereitung.

Sie haben es mit Sänger*innen zu tun, die die Rollen, die sie mit Ihnen proben, oft schon in anderen Settings gesungen haben. Das impliziert sicher manchmal eine gewisse Abgeklärtheit. Wie bringt man die zum Brennen?

Tatjana Gürbaca: Indem man selber brennt – damit geht es los. Ich inter­essiere mich leidenschaftlich für Menschen und versuche zu verstehen, wie sie funktionieren. Und außerdem liebe ich es, Sänger*innen zuzuschauen. Es macht mir Spaß, mit den Sänger*innen zu schauen, wo die Figur in ihnen selber steckt. 

Il trittico Staatsoper
Michael Volle. Der Bariton ist einer der Stars in der Besetzung von „Il trittico“. Er ist im Oktober zudem in der Rolle des Baraks in der „Frau ohne Schatten“ zu sehen und zu hören.

Foto: Victoria Nazarova

Und wie ist es, wenn Sie da aber nichts finden? 

Tatjana Gürbaca: Das gibt es nicht. Natürlich kommt es vor, dass man Facetten der Figur unterschiedlich auffasst, aber dann sucht und findet man gemeinsam etwas Neues. In erster Linie sind wir alle Profis und wollen gemeinsam etwas entdecken und spüren. Man will die Stücke durch sich hindurchgehen lassen.

Wie gut muss man als Regisseur eigentlich jede Szene kennen? Reicht denn nicht manchmal auch schon das Wissen um das Ganze?

Tatjana Gürbaca: (Lacht.) Man kann sie gar nicht gut genug kennen. Man muss jeden Ton, jedes Wort, jede Pause und jede Regieanweisung kennen. Man schläft mit dem Klavierauszug. Ich habe den unter dem Kopfkissen liegen – seit Monaten gehe ich damit ins Bett und schaue vorher rein und wache morgens auf und schaue sofort wieder rein. Und ich entdecke dabei immer wieder neue Dinge und frage mich: Warum hast du das nicht schon vorher gesehen?

Vielen lieben Dank für das ­Gespräch. Gibt es noch etwas, was Sie unbedingt loswerden möchten?

Tatjana Gürbaca: (Lacht.) Bestimmt wird es mir heute Nacht einfallen. (Sie denkt kurz nach.) Vielleicht noch, dass Puccini ein unglaublicher Humanist war, einer, der die Menschen wirklich liebt und mit unglaublicher Milde auf sie schaut. Man spürt in „Il trittico“ viel Altersweisheit – es war ja sein vorletztes Werk und ist nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Und es ist unglaublich aufregend, nachzuvollziehen, welche Entwicklung Puccini mit diesem Werk gemacht hat.