BÜHNE: Bühnenvorhänge, wie sind Sie darauf gekommen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

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Susanne Fischer-Kauer: Als junge Studentin habe ich ein Praktikum an der Staatsoper gemacht. Damals habe ich meine Diplomarbeit über Wiener Theatervorhänge geschrieben und zwar über die Debatte Ende der 1990er-Jahre rund um den Eisernen Vorhang der Wiener Staatsoper und den umstrittenen Künstler Rudolf Eisenmenger. Ich habe mir angesehen, wie es dazu kam, dass er in den 1950er Jahren herangezogen wurde und wie der Wettbewerb ausgesehen hat. Aus der Diplomarbeit ist die Idee entstanden, überhaupt der Geschichte der Wiener Theatervorhänge nachzugehen. Dafür habe ich mich in meiner Dissertation bis zum Ursprung im 18. Jahrhundert gegraben.

Diese Problematik von Eisenmengers Eisernem Vorhang ist ja nach wie vor präsent im Safety Curtain Projekt.

Ja, seit 1998 wird jede Saison je ein modernes Kunstwerk darüber gespannt. Dadurch ist die Bevölkerung dafür sensibilisiert worden, dass man einen Theatervorhang künstlerisch gestalten kann. Zu den Wurzeln bin ich mit meinem Buch zurückgegangen und habe mich gefragt: Ab wann bemalt man eigentlich Vorhänge?

Theatervorhang als Visitenkarte eines Hauses

Wo findet man heute noch bemalte Theatervorhänge?

Im Volkstheater, im Raimund Theater und im Theater an der Wien hängen noch welche. Schon im 20. Jahrhundert ist das Bewusstsein für diese Riesengemälde verloren gegangen. Wir haben großflächige Kunstwerke, aber sie werden nicht als solche wahrgenommen. Das Publikum konzentriert sich auf den Theaterbesuch – auf die Oper, auf das Schauspiel, das es erwartet.

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Welche Funktionen hatte der Vorhang früher?

Er war ein Stimmungsträger, der eingestimmt hat auf das Geschehen, beispielsweise waren vor einer Ballettaufführung tänzerische Szenen nachgebildet. So ein Gemäldevorhang stimmt die Zuschauer quasi als Prolog auf das Bühnenspektakel ein. Er trennt die „imaginäre Welt des Spiels von der Wirklichkeitssphäre“. Der Vorhang ist eine Trennwand zwischen Realität und Imagination. Wenn sich die hebt, bin ich in einer anderen Sphäre.

Außerdem war der Theatervorhang wie ein Programmzettel. Er wirkte wie eine Visitenkarte eines Hauses, anhand dessen hat sich das Theater repräsentiert. Der Besucher hat ablesen können: Was sind die Ansprüche des Hauses? Was wird gezeigt? Die Vorhänge wurden für Tragöde und Komödie ausgewechselt.

Verwüstbare Kunstwerke

Apropos ausgewechselt: Wie oft gab es neue Vorhänge? Wechselte man mit der Spielsaison?

Theatermänner haben sich damit ein Denkmal gesetzt. Neuer Intendant, neuer Vorhang – das gab es durchaus. Dazu kommt, dass das Kunstwerke sind, die schnell verwüstbar sind, nicht ewig halten. Man spricht von ephemeren Kunstwerken. Sie haben ein Verfallsdatum. Erhalten sind sie uns nur noch durch die Entwürfe. Anhand der Vorstudien – es gibt sehr schöne Ölentwürfe, jedes Museum welche in seinem Fundus – kann man auch rekonstruieren.

Wie sind Sie vorgegangen?

Ich war eineinhalb Jahre in den Depots unterwegs. Da schlummert vieles. Ich habe das Material ausfindig gemacht und eingeordnet. Einerseits habe ich gezielt nach Künstlernamen gesucht, andererseits habe ich selbst weiter recherchiert über Theateralmanache, Kupferstiche und Zeitungen.

Staatsoper mit großdimensionalen Kunstwerken

Was macht den bemalten Theatervorhang als Bildmedium aus?

Es war eine Teildisziplin der Bildenden Künste. In unserer Zeit wurde sie wieder aktuell, weil wir zum Beispiel in der Staatsoper die Bühne so als Ausstellungsfläche für großdimensionale Kunstwerke benutzen.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts war der Vorhang von Bühnenbildnern, ab dann sind große Namen unter den bildenden Künstlern beauftragt worden. In Wien war es Heinrich Friedrich Füger, Akademiedirektor in Wien, in Deutschland war es Adam Friedrich Oeser.

Im 19. Jahrhundert in der zweiten Welle der Vorhangmalerei werden Gustav Klimt und Hans Makart engagiert. Das reicht bis in die Moderne mit Herbert Böckl, Max Weiler oder Marc Chagall.

Hat so ein Vorhang auch einmal einen Skandal ausgelöst?

Vorhänge sind immer Gegenstand von Kolumnen, sie wurden fleißig in den Theaterzeitschriften diskutiert. Darüber hat man sich unterhalten. Man hat vor der Vorstellung gleich zeigen können, wie kunstsinnig man ist.

Es gibt eine Anekdote bei Makart, der für das Ringtheater und das Wiener Stadttheater (heutiges Ronacher) gearbeitet hat: Der hat einmal falschen Farben benutzt, die solche Spiegeleffekte produzierten, dass er alles noch einmal machen musste. Zuerst das Farbproblem im Ronacher, kurz danach ist das Ringtheater abgebrannt.

Heute oft gar kein Vorhang mehr

Warum hat der Bildvorhang an Bedeutung verloren?

Weil der Vorhang durch den Stoffvorhang, den roten Samt abgelöst wurde. Heute wollen viele Regisseure überhaupt keinen Vorhang und man sitzt im Zuschauerraum von Anfang an vor einer offenen Bühne. Das ist ein spannender Aspekt. Ganz in Vergessenheit ist er nicht geraten. Beispielsweise im Theater Akzent bespielen sie den Eisernen Vorhang mit Videoprojektionen. Das beste Beispiel ist die Staatsoper mit dem Projekt der wechselnden Künstlerbeteiligung.

Wenn Sie heute ins Theater gehen: Was sind da Ihre Gedanken?

Dass man jetzt einen Vorhang bemalt, das würde vielleicht nicht mehr in unsere Zeit passen. Diese Kunst ist irgendwie vorbei. Ich freue mich trotzdem, wenn ich eine bewusste Auseinandersetzung bemerke; egal in welcher Form – vom prokanten Weglassen bis zum Vorhang als Kunstwerk. Es ist schön, wenn die Besucher auf diese magische Grenze zwischen Realität und Illusion, aufmerksam gemacht wird. Wenn der Vorhang gelüftet wird, betreten wir in einen imaginären Raum.

Hintergrundwissen: Der Eiserne Vorhang der Staatsoper

Das Auswahlverfahren für die Neugestaltung des Eisernen Vorhangs in der Wiener Staatsoper erfolgt als geladener Wettbewerb. Bevor Eisenmenger seinen Entwurf zu „Orpheus und Eurydike“ einreicht, hat er schon dreizehn Gobelins für die Oper entworfen. Unter seinen Konkurrenten: Fritz Wotruba, Herbert Boeckl und Max Weiler, bringen ebenfalls Entwürfe für den Eisernen Vorhang ein. Aufgrund der Wichtigkeit dieses Auftrages soll sogar Marc Chagall sein Interesse bekundet haben.

Vierzig Jahre nach der Neueröffnung 1955 entflammt eine neue Debatte um den Eisernen Vorhang. Der Operndirektor Ioan Holender schlägt in der Folge öffentlich vor, das Werk Eisenmengers als symbolische Geste zu entfernen. Nach Holenders Verhandlungen mit dem Denkmalamt und der Planung verschiedener Konzepte, entwickelt die Kunstinitiative museum in progress einen Vorschlag, der bis heute realisiert wird.

Seit 1998 gestaltet jedes Jahr ein international anerkannter Künstler den Eisenen Vorhang, also die Brandschutzwand zwischen Bühne und Zuschauerraum. Zeitgenössische Kunst überdeckt also das Bild von Eisenmenger.

Die Großbilder – immerhin ist das in der Staatsoper eine Fläche von 176 Quadratmeter – werden nach innovativen Verfahren produziert und installiert. Die Herstellung erfolgt auf einem PVC-Netz, welches mittels Magneten auf dem jeweiligen eisernen Vorhang fixiert wird. Durch diese Technik bleibt der originale eiserne Vorhang darunter, der in Wien denkmalgeschützt ist, unberührt.

Susanne Fischer-Kauer: Wiener Theatervorhänge

Repräsentation, Kunstdiskurs und kulturelles Selbstverständnis um 1800;
in: European Identities and Transcultural Exchange, 2De Gruyter | 2020
Zum Verlag

Weiterlesen:

Mary J. Blige am „Eisernen Vorhang“ der Wiener Staatsoper

Kostümbildnerin: Eine maßgeschneiderte Welt fernab des Alltags