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© Karl Steinegger

Wohnen am Dorf: Raus aufs Land

Wohnen
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Architektur

Wohnen am Land: Das muss nicht bedeuten, sich im Einfamilienhaus hinter der Thujenhecke zu verschanzen. Von Vorarlberg bis zum Burgenland werden die Dorf- und Ortskerne als Wohnort wiederentdeckt. Mit sanierten Altbauten und passgenauen Neubauten.

Vor zehn Jahren, sagt Projektentwickler Markus Schadenbauer, hörte man oft, das Ortszentrum von Hohenems sehe aus wie Ostdeutschland vor 30 Jahren. Damals waren in der Marktstraße nur noch vier Ladenlokale in Betrieb, viele Häuser standen leer, 5.500 Autos pro Tag sorgten für schlechte Luft. Heute hat sich Hohenems komplett gewandelt. Die Häuser wurden saniert, Cafés, Restaurants, Blumen- und Bioladen beleben die Szenerie.

Zeit gelassen

Schadenbauer hatte einen Plan, den er mit der Gemeinde umsetzte. Er kaufte nach und nach einzelne Häuser auf und entwickelte ein Investorenmodell, das Restaurierung und Einzelhandel zusammendachte. »Wir haben uns Zeit gelassen, die Häuser sukzessive saniert. So kann man die Entwicklung steuern und eine Aufbruchstimmung erzeugen, weil alle sehen, dass sich etwas tut.«

Ergänzt und querfinanziert wurde die Sanierung der denkmalgeschützten Ensembles an der Marktstraße durch Neubauten, die den Ortskern wieder zum Wohnort machten. »Die Lage ist ideal für jene, die ein gewisses städtisches Bewusstsein mitbringen«, sagt Alexandra Schmid Roner vom Büro Imgang Architekten, die hier ein feines, unaufgeregtes Wohnhaus realisierten. »Hier gibt es keine Stellplätze vor dem Haus, aber man braucht sie auch nicht. Der Bahnhof ist ums Eck, und Vorarlberg hat ein sehr gutes Öffi-Netz. Man entwickelt eine persönliche Bindung zu den Geschäftslokalen, das ist besser als mit dem Auto ins Einkaufszentrum am Stadtrand zu fahren. Hier findet das Beste beider Welten zusammen: Dorf und Stadt.«

Dass dies für Architekten nicht heißen muss, sich brav unterzuordnen, zeigt ein zweites Haus in Hohenems mit silbrig-spaciger Hülle. »Vorarlberg tut sich oft schwer mit der Definition von Stadt«, sagt dessen Architekt Marc Hoffenscher. »Wir versuchen, mit einer eher emotionalen Architektur einen Beitrag zu leisten.« Das Gesamtkonzept Hohenems wurde 2024 mit dem Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit belohnt.

Haus und Hof. Eine schmale, lange Baulücke direkt am Hauptplatz von Pinkafeld wurde zu einem Wohnhof, der sich ganz selbstverständlich in den Ort einfügt
dietmargasser.at

© Máté Gábor

Ländle-Raumschiff. Ein Wohnhaus mit Ordination setzte Architekt Marc Hoffenscher in den Ortskern von Hohenems und kleidete es in eine silbrige Hülle.
hoffenscher.com

Foto beigestellt

Harmonisch eingefügt. Ein Hof aus dem Jahr 1870 im Zentrum von Fladnitz an der Teichalm in der Steiermark wurde zu einem wohnlichen Refugium und einem sozialen Treffpunkt im Dorf.
malekherbst.com

© Lukas Schaller

Wäldler-Wohnen. Eine besonders enge Bindung an den Ort haben Innauer Matt Architekten in Bezau, wo sie ihr eigenes Büro in ein restauriertes Fotoatelier mit Wohnungen ansiedelten.
innauer-matt.com

© Adolf Bereuter

Gartenhof mit Kirchturm

Doch Hohenems ist nicht der einzige Fall, in dem der berüchtigte Donut-Effekt, das Aussterben der Ortskerne, gestoppt wird, Löcher und Lücken wieder gefüllt wurden. Es ist ein Trend, der sich heute in allen Bundesländern beobachten lässt, wie vor Kurzem die Ausstellung »Haus Hof Dorf – Wohnbau am Land« im Architekturraum Burgenland in Eisenstadt mit ausgesuchten Beispielen zeigte. Im Burgenland werden Streckhöfe wiederentdeckt oder neu interpretiert, wie in einem Wohnbau von Dietmar Gasser in Pinkafeld, der sich, gleich neben dem Kirchturm am Hauptplatz, um einen langen Gartenhof gruppiert.

In Bad Aussee im Salzkammergut wiederum restaurierten und ergänzten Rosa Architekten das Schmiedgut, ein Ensemble aus dem 18. Jahrhundert, mit ortstypischer Holzbau-Expertise. Das sieht nicht nur schön und angemessen aus, sondern ist auch nachhaltiger als Einfamilienhaus-Teppiche, Kreisverkehre und Supermarkt-Kisten am Ortsrand. Das Wohnen im Dorf- und Ortskern wird wieder en vogue, und das ist gut so.

Erschienen in
LIVING 03/2025

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Maik Novotny
Autor
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