LIVING SALON Gespräch: »Wie bauen und wohnen wir mit künstlicher Intelligenz«
Am Smartphone ist der Einsatz von KI nicht mehr wegzudenken. Doch welche Rolle spielen die selbstlernenden Systeme beim Planen, Bauen und Wohnen? Darüber sprechen die Grazer Architektin Marion Wicher, der Bauträger Andreas Holler und die KI-Spezialistin Alexandra Ciarnau.
Die Gesprächspartner:innen

Der Anwender: Andreas Holler (53) studierte Business Administration an der Boston University School of Management und war früher für Immoeast und Immofinanz tätig. Seit 2013 ist er Geschäftsführer der BUWOG, verantwortlich u. a. für Projektentwicklung und Vertrieb. Die BUWOG verwaltet rund 28.000 Wohnungen in Österreich. Seit 2022 hat die BUWOG für interne Prozesse KI im Einsatz.

Die Skeptikerin: Marion Wicher (59) studierte Architektur an der TU Graz sowie an der Columbia University in New York. Zu Beginn arbeitete sie u. a. für Joost Meuwissen sowie für den Pritzker-Preisträger Thom Mayne. Heute leitet sie ihr eigenes Architekturbüro Wicher World. Für ihr Smart-Wohnprojekt »Lendmark« in Graz wurde sie kürzlich mit dem Österreichischen Betonpreis 2025 (Anerkennung) ausgezeichnet.

Die Expertin: Alexandra Ciarnau (32) studierte Rechtswissenschaften in Wien und arbeitet als Rechtsanwältin im IT-, IP- und Datenschutz-Team von DORDA. Sie begleitet Digitalisierungsprojekte, insbesondere in den Bereichen Artificial Intelligence, Blockchain, Virtual Reality und E-Commerce. Darüber hinaus ist sie Vorstandsmitglied von Women in AI Austria und publiziert regelmäßig zum EU AI Act.
LIVING Welche künstliche Intelligenz verwenden Sie denn im Alltag ganz gezielt und ganz bewusst?
Alexandra Ciarnau: Ich nutze ChatGPT in der Pro-Version, um meine Reisen zu planen und um meine private Agenda mit Öffnungszeiten und Abfahrts- und Ankunftszeiten abzugleichen. Das funktioniert super!
Andreas Holler: Ich auch für Reisen, aber eher für kurze Städtetrips, bei denen man sich früher in Reiseführer eingelesen hat. So nach dem Motto: »Ich bin 48 Stunden in Madrid, was soll ich mir anschauen?« Sehr hilfreich ist ChatGPT auch für die baby- und kinderwagentaugliche Urlaubsplanung mit unserer zweijährigen Tochter.
Marion Wicher: Interessant! Ich nutze KI – abgesehen von den unumgänglichen Prozessen am Smartphone – eigentlich gar nicht.
Warum nicht?
Wicher Es reizt mich nicht wirklich. Und als Architektin, als kreativ Tätige stehe ich standardisierten, technologisierten Prozessen gegenüber, bei denen ich das gestalterische Zepter aus der Hand gebe, tendenziell skeptisch gegenüber.
Holler Ich finde, der Einsatz von KI kann durchaus konstruktiv sein. Mein Neffe beispielsweise ist Student, und anstatt die Skripten zu lesen und auswendig zu lernen, transkribiert er sie mithilfe von KI und hört sie sich dann beim Joggen mit virtuellen Stimmen als Dialog oder Hörbuch an. Das finde ich echt kreativ!
Frau Ciarnau, ist die Nutzung von KI heute überhaupt noch vermeidbar?
Ciarnau Nein, KI ist überall. Ob Fotografie, WhatsApp, Wetter-Apps, Routenplaner, Chat-Verläufe oder Facebook-Fotoalben: KI ist allgegenwärtig.
Wann hat die Entwicklung begonnen?
Ciarnau Begonnen hat das maschinelle Lernen tatsächlich schon in den 1950er-Jahren. Seit damals sind die Prozesse kontinuierlich komplexer geworden – und haben auch gelernt, über gewisse Systemgrenzen miteinander zu kommunizieren. Im Sinne dessen, wie wir künstliche Intelligenz heute verstehen, lässt sich ihr Durchbruch pauschal mit dem Aufkommen von Smartphones, Übersetzungstools, Sprachassistenten und autonomen Fahrzeugen gleichsetzen. Was hier an Prozessen im Hintergrund läuft, ist wirklich beachtlich.
Für Endkonsument:innen ist KI seit 2022 am Markt frei verfügbar, etwa in Form von ChatGPT, Bildgenerierung oder diversen Apps am Smartphone.
Ciarnau Ich würde sagen: ChatGPT ist ein Instrument, das die breite Masse begeistern kann. Aber das ist nur die Speerspitze. Die Prozesse dahinter sind schon viel älter!
In welcher Form kommt KI beim Bauen und Wohnen zum Einsatz?
Ciarnau Ein gutes Beispiel dafür sind Sicherheitssysteme mit Sensoren, Bewegungsmeldern und Überwachungskameras. Manche davon sind selbstlernend und versuchen, Fehlalarme – etwa durch Insekten im Raum – nicht mehr auszulösen und mittels Push-Nachricht nicht mehr an die:den Bewohner:in zu schicken. Es gab sogar schon Fälle, wo sich hinter einem vermeintlichen Fehlalarm tatsächlich ein Einbruch begeben hat, der dann allerdings nicht mehr weitergeleitet wurde.
Wicher Das klingt schlimm. Da lobe ich mir die Systeme, die zwar mit Software gestützt sind, wie etwa Schlüssel, Lichtaktivierung oder eben auch Alarmanlagen, wo das endgültige Sagen und die endgültige Entscheidung aber der Mensch trifft – und nicht die KI.
In der Planung können mittlerweile Grundrisse generiert, Räume ausgemessen und möbliert und sogar Visualisierungen auf Knopfdruck ausgearbeitet werden.
Ciarnau Das sind gute Tools für Otto Normalverbraucher. Viele haben kein räumliches Vorstellungsvermögen, und dann helfen KI-Einrichtungstools dabei, einen Raum zu möblieren und die Größe anschaulich zu machen.
Wicher Ja, aber KI kann per se nie kreativ sein! Sie kann immer nur das bereits Gesagte, das bereits Gemachte, das bereits durch Menschen Ausprobierte kombinieren und variieren. Darin sehe ich als Architektin eine große Gefahr.
Warum?
Wicher Weil dann alle Häuser- und Gebäudevisualisierungen plötzlich ausschauen wie ein künstliches Rendering oder wie ein Computerspiel. Ich habe in meinem ersten Job in Holland mit meinen Kolleg:innen oft bis in die Nacht hinein Computer gespielt – ob das nun Strategiespiele oder irgendwelche Action-Spiele waren.
Ciarnau Echt? Ich auch! Das war quasi mein Eintritt in eine ganz neue Welt der digitalen Räume. Es ist faszinierend, was sich in diesen Räumen alles eröffnet!
Wicher Ja, das war für uns so eine Art Ausgleich zur Architektur. Eine Art Austoben in pseudoarchitektonischer Fiktion!
Holler Sie beide haben damals Computerspiele zelebriert? Und die eine arbeitet heute als KI-Expertin, und die andere ist KI-Skeptikerin? Spannend!
Wicher Ja, ich habe mich davon wieder verabschiedet, weil ich gesehen habe, wie gleich und wie austauschbar diese digitalen Architekturen sind. Die Renderings, die mithilfe von KI generiert werden, schauen doch alle gleich aus!
Arbeiten Sie mit diesen KI-Renderings für Ihre Projekte, Herr Holler?
Holler Ja, das tun wir. Und zwar nicht in einem Projektentwicklungsprozess, denn da ist die Arbeit und Kreativität der:des Architekt:in unverzichtbar, als vielmehr in der Grundstückssuche und in der Überprüfung der Ausnützung und Bebaubarkeit, wenn wir untersuchen wollen, was alles geht, und wenn wir auf der Suche nach Partner:innen, Finanzierer:innen und behördlicher Unterstützung sind. In diesem frühen Stadium sind KI-Renderings billig, schnell und unkompliziert.
Wicher Und dann landen sie im Netz, die KI greift darauf zurück, und so tragen diese Bilder à la longue zu einer Vereinheitlichung, zu einer gewissen Fertigteilverhausung der Welt bei.
Holler Wobei ich finde, dass sich die visuelle und auch atmosphärische Qualität schon stark verbessert hat. Aber ich kann Ihre Kritik gut nachvollziehen. Was das Kreative und Individuelle betrifft, hat die KI hier noch große Schwachstellen. Sie kann vieles abbilden, Emotionen aber nicht!
Es gibt bereits ein paar Projektentwickler:innen, die KI nicht nur für die Erstellung von Renderings nutzen, sondern damit auch verfügbare Grundstücke in Immobiliendatenbanken suchen und mit Baurichtlinien und Widmungsbestimmungen abgleichen. Wie funktioniert das überhaupt?
Ciarnau Das Wichtigste ist die Datenerhebung. Also die Frage, wie gut all diese Informationen, Immobilieninserate, Katasterdaten, Grundbuchdaten, Baurichtlinien, Bebauungsbestimmungen und so weiter bereits digitalisiert sind, damit sie überhaupt herangezogen und miteinander verglichen werden können. Manche dieser Daten sind schon sehr gut verfügbar, weil sie als öffentliches Register zur Verfügung stehen, andere hingegen sind lizenz- und somit kostenpflichtig.
Und das Verknüpfen all der Datenbanken ist in der Praxis bereits funktionstüchtig?
Ciarnau Jein. Theoretisch ja, praktisch gibt es aber noch ein paar Informationslücken, in denen die Daten noch nicht ausreichend verfügbar sind. Das wird noch ein bisschen dauern. Aber die KI lernt extrem schnell.
Vor einigen Jahren hat die BUWOG in der Hausverwaltung ein Tool unter dem Titel »Talking Twin« eingeführt. Mithilfe von KI können Sie so aus diversen Gebäudedaten relevante Infos zu sämtlichen Objekten in Ihrem Portfolio generieren.
Holler Wir haben das Projekt in der Coronapandemie gestartet, als die Bautätigkeit stark runtergefahren wurde und wir die Zeit als Bauträger dennoch effizient nutzen wollten. Bei »Talking Twin« handelt es sich im Wesentlichen um eine Art Chatbot, den wir für die interne Kommunikation nutzen. Darin können zu einem bestimmten Objekt Daten – wie zum Beispiel Baujahr, Bauweise, Grundbuchdaten, laufende Finanzierung, Vertragsstatus, Betriebskosten, Sanierungsbedarf und so weiter – erfragt werden. Der Chatbot sucht sich dafür die nötigen Infos aus den unterschiedlichen Datenbanken zusammen und erstellt eine Art Ministeckbrief zum erfragten Haus.
Was hat sich mit der Einführung dieses -Chatbots verändert?
Holler Die zeitliche Ersparnis dafür ist enorm! Früher hat man alles mühsam zusammensuchen müssen. Jetzt geht das auf Knopfdruck.
Wicher Klingt faszinierend! Wenn das so weitergeht, werden Sie mich bald von der Sinnhaftigkeit von KI überzeugt haben!
Frau Wicher, Ihr Projekt »Lendmark« in Graz kommt ohne Schlüssel und Lichtschalter aus, sämtliche Wohnungen werden über Apps -angesteuert. Ist das schon KI?
Wicher Nein, denn die Steuerung, die Entscheidungshoheit liegt immer noch beim Menschen. Der Wunsch der Bauherrin war ein sehr robuster, sehr nachhaltiger Wohnbau, den man über viele, viele Jahrzehnte nicht sanieren muss. Zu den anfälligsten Schnittstellen in jeder Architektur zählt die Haustechnik, wie wir wissen, also haben wir beschlossen, die Technik auf ein Minimum zu reduzieren. Und so gibt es keine Lichtschalter, keine unnötigen Leitungen, alles funktioniert über Apps und Fernsteuerung.
Ciarnau Spannend eigentlich! Wie nehmen die Bewohner:innen das Angebot an?
Wicher Wir haben bislang nur positives Feedback bekommen!
Holler Ich finde solche Systeme großartig – bis zu dem Zeitpunkt, wo es ein Blackout gibt oder das Internet kollabiert. Dann stürzt die Türglocke ab. Was dann?
Wicher Für den äußersten Fall kann man die Wohnung immer noch mit einem Notfallschlüssel auf- und zusperren.
Vor Kurzem wurde »Lendmark« mit dem Österreichischen Betonpreis 2025 ausgezeichnet. Eine Stoßrichtung für die Zukunft?
Wicher Sicher nicht für alle, und ich kann mir vorstellen, dass viele dem Digitalen so skeptisch gegenüberstehen wie ich der KI. Aber ich denke, das ist eine Option von vielen.
Frau Ciarnau, Sie sind IT- und Datenschutz-expertin bei DORDA Rechtsanwälte. Wie ist denn die rechtliche Lage zum Thema KI?
Ciarnau Das kommt auf den Anwendungsfall an. In den meisten Ländern benötigt man eine Einwilligung der Bewohner:innen, um bestimmte Nutzer:innendaten für die Optimierung von KI heranzuziehen.
Wie ist die Situation in Österreich im internationalen Vergleich?
Ciarnau Sehr restriktiv. Die italienische Datenschutzbehörde beispielsweise hat den Einsatz von ChatGPT zu Beginn sogar dezidiert verboten. Andererseits brauche ich meist viele Daten, um das System zu speisen, damit die KI überhaupt optimal funktioniert. Je mehr Daten, desto besser. Wir müssen einen Weg finden, den Datenschutz im neuen Technologiekontext lebbar zu gestalten. Da ist noch vieles im Werden!
Holler Ich kann mir vorstellen, dass man in Zukunft vielleicht sogar günstiger wohnen wird. Dann bezahlt man das Wohnen nicht nur mit Geld, sondern auch mit Nutzer:innen und Verhaltensdaten, die man wohnenderweise zur Verfügung stellt, damit bestimmte Internet-Provider oder Anbieter:innen von Strom, Fernwärme oder Fernkälte daraus lernen und ihre Produkte optimieren können.
Ciarnau Ein spannender Gedanke! Pay-or-okay-Lösungen sind bereits weit verbreitet – etwa auf Social-Media-Kanälen oder in diversen Onlinemedien.
Wicher Ich glaube, da werde ich nicht mitmachen. Ich zahle lieber mit Geld als mit Daten.
Nach alledem, was wir besprochen haben: Worin sehen Sie Kosten, Nutzen und Sinnhaftigkeit von KI?
Ciarnau Man kann die Entwicklung nicht mehr stoppen.
Wicher Ich denke, für die Forschung sind das wichtige Schritte und Entwicklungen. Auch wenn ich persönlich skeptisch bin und die KI im Bereich der Kreativität ablehne, glaube ich dennoch, dass wir mit einem verantwortungsvollen Umgang viele Herausforderungen, die wir heute zu stemmen haben, lösen können.
Holler Absolut! Der Nutzen im Bereich standardisierter Prozesse ist enorm!
Zum Abschluss: Wo vertrauen Sie auf die eigene Intuition und Intelligenz? Welche Prozesse und Entscheidungen würden Sie niemals auslagern?
Ciarnau Den Friseur! Da vertraue ich dann doch lieber auf das Handwerk des Expert:innen.
Holler Das Fahren. Ich bin skeptisch, was das autonome Fahren betrifft. Ich habe zwar ein Auto, das das theoretisch schon kann, aber ich kann hier einfach kein Vertrauen aufbauen.
Wicher Ich kann mir nach diesem Gespräch KI in vielen Bereichen gut vorstellen. Aber beim Planen und Entwerfen, beim Gestalten unserer Umwelt, beim Umgang mit Ästhetik und sozialen, kulturellen, ökologischen Werten bleibe ich konservativ.