LIVING SALON Gespräch: »Können Häuser glücklich machen?«
Humor, Leichtigkeit und Wohlbefinden in der eigenen Stadt: Das sagt sich so leicht und doch klingt es eigentlich ganz logisch, oder? Aber kann Architektur die Seele wirklich zum Lachen und zum Tanzen bringen? Darüber diskutieren Architektin Evelyn Rudnicki, Bauträger Siegfried Igler und die österreichische Kabarettistin Nadja Maleh.
Die Gesprächspartner:innen

Die Gestalterin:Evelyn Rudnicki (61) studierte Architektur, Innenarchitektur und Design in Stuttgart. Auf einer Reise nach Peru lernte sie ein paar Kolleg:innen kennen und gründete mit ihnen 1998 das Wiener Büro pool architektur. 2017 wurde pool mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Zudem ist Rudnicki Sektionsvorsitzende in der Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland.
© Stefan Gergely
Die Pointenmeisterin: Nadja Maleh (53) absolvierte eine Ausbildung für Schauspiel, Bewegungstheater und Gesang. 2007 debütierte sie mit ihrem Kabarett-Programm »Flugangsthasen«. Zudem ist sie als Mindfulness-Trainerin tätig und gibt Achtsamkeits-Seminare. Im Sommer spielt sie bei den Festspielen Stockerau mit. Im Frühjahr 2026 erscheint ihr neues Programm »Zuckergoscherl«.
© Stefan Gergely
Der Wohnungserrichter: Siegfried Igler (59) ist ausgebildeter Baumeister und zertifizierter Immobilienprojektentwickler. Seit 2014 ist er für die gemeinnützige Baugenossenschaft Neues Leben tätig, seit 2022 führt er sie als Obmann an. Zu den jüngsten Projekten zählen u. a. Florasdorf, Berresgasse und das Wohnhochhaus the one in St. Marx. Heuer feiert Neues Leben sein 75-jähriges Bestehen.
© Stefan GergelyLIVING Sind Sie schon einmal in einem Gebäude gestanden, das in Ihnen Angst, Unwohlsein und Beklemmungen hervorgerufen hat?
Siegfried Igler: Burgen, Ruinen, alte Verliese.
Nadja Maleh: Unser Keller! Überall Staub und Lurch und Feuchtigkeit und Mäuse-fallen, und jedes Mal, wenn ich da runtergehe, spielt sich vor meinem inneren Auge ein Horrorfilm ab: Die Tür fällt zu, ich komme nicht raus, niemand findet mich.
Evelyn Rudnicki: Ich bin in erster Linie visuell veranlagt: Ich mag keine düsteren Räume. Aber natürlich spielen sinnliche Eindrücke wie Geruch, Temperatur und Luftfeuchtigkeit auch eine große Rolle im Empfinden von Räumen. Das sind echt starke Faktoren!
Maleh Auch politisch programmierte Machtbauten können manchmal ziemlich spooky sein!
Rudnicki Spannend! Denn Gebäude selbst sind ja gar nicht unheimlich. Gebäude per se sind unschuldig. Es ist bloß die Frage der Ideologie, die sie symbolisieren.
Igler Und auch ausstrahlen! Ich glaube fest daran, dass Bauwerke so etwas wie Energie speichern.
Maleh Ja voll!
Im Gegenzug die Frage: Hat Sie Architektur schon einmal in Freude versetzt oder gar zum Lachen gebracht?
Rudnicki Das erste Bauwerk, das mich als Jugendliche zutiefst fasziniert hat, war das Pantheon in Rom. Das Loch in der Decke, diese archaische Energie, das unfassbar hohe Alter dieses Gemäuers, einfach wow!
Igler Das neu gestaltete Wiener Parlament. Ich kannte noch das alte, verstaubte Gebäude, doch im neuen Parlament – nach dem Umbau – fühlt man sich als Besucher und Bürger so richtig willkommen! Da merkt man, was gute Architektur alles bewirken kann.
Maleh Mein Vater stammt aus dem Orient. Ich denke mit Glück und Freude an das Anwesen seiner Familie in Amman, Jordanien, zurück. Dieser Innenhof, dieser helle Sandstein, diese unendlich langen Festgelage mit der ganzen Familie. Das waren Momente voller Glück.
In ihren Ursprüngen hat Architektur die Aufgabe, uns zu beschützen – nicht nur vor Wind und Wetter, sondern auch vor Feinden, Angriffen und Gefahren aller Art. Wann ist erstmals auch eine Architektur der Freude, des Feierns, des Genusses entstanden?
Rudnicki Bauen hatte immer schon etwas mit Beschützen zu tun. Es gibt in der Architektur ganz klassische Typologien, die darauf hinweisen. Ich denke da nur an Stadtmauern, Wachtürme, Burggräben und so weiter. Doch schon bald gesellten sich zum reinen Beschützen auch kultische Bauten wie etwa Tempel, Opferstätten oder auch die Entertainment Architektur der Römer – das Kolosseum, der Circus Maximus, die vielen, vielen Thermen im antiken Rom.
Warum ausgerechnet im antiken Rom?
Rudnicki Das hat mit der Spaltung und Differenzierung der Gesellschaft zu tun. Im Laufe der Geschichte gab es immer dann, wenn es in der Bevölkerung zu Hierarchien und sozialen Spaltungen gekommen ist, Momente und kultische Bauwerke des Glücks und Genusses bei den einen, aber stets auf Kosten der anderen; die Reichen und Herrschenden gegen die Armen und Unterdrückten. Das Phänomen ist weltweit zu beobachten.
Maleh Das ist spannend, was Sie sagen, denn die römische und griechische Antike gab es vor allem im Mittelmeerraum.
Rudnicki Und danach ist die Kultur der Römer auf ganz Europa übergeschwappt.
Wie ging das nach den Römern weiter?
Rudnicki Mit dem Untergang des Römischen Reichs verschwand für lange Zeit auch das Feiern und die Leichtigkeit. Interessant aber ist, dass jede große Epoche am Ende zu einer Überdrehung und Pervertierung geführt hat, in der dann nochmal so richtig auf den Putz gehauen wurde, bevor dann wieder irgendein historischer Wahnsinn passiert ist. Nach der Renaissance kam der Manierismus, nach dem Barock das Rokoko, nach der Gründerzeit die Goldenen Zwanziger, und nach der nüchternen Moderne des 20. Jahrhunderts die bunte, üppige, lustbetonte, fast schon sinnentleerte Postmoderne.
Igler Ich kann mich noch genau erinnern, wie grau und trostlos das Wien meiner Kindheit war. Mit der Postmoderne – mit diesen knalligen Farben und Mustern – hat sich das komplett verändert. Und es dauerte nicht lange, bis die Farbe und die wilden Formen auch im sozialen, gemeinnützigen Wohnbau Einzug gehalten haben.
Das hält bis heute an?
Igler Ja. Ich als Bauträger verwehre mich gegen graue, trostlose Betonburgen. So gut das im Rahmen unserer knappen finanziellen Mittel machbar ist, setze ich mich immer für einen
bunten, lebensfrohen Wohnbau ein.
Rudnicki In den 1990er-Jahren haben wir in Wien die Sargfabrik gebaut. Das war das allererste Gebäude in der ganzen Stadt, das orange war.
Maleh Ganz Wien hat damals davon gesprochen! Ich finde, mit der Sargfabrik ist Ihnen ein genialer Move gelungen. Dieses Projekt hat Geschichte geschrieben!
Rudnicki Das freut mich zu hören. Natürlich wollten wir ein Zeichen setzen, keine Frage. Aber das enorme Echo hat uns dann doch überwältigt.
Gibt es dieses Lustbetonte, Sinnentleerte, das uns die Postmoderne beschert hat, auch heute noch?
Rudnicki Ja, und diese Typologien wird es immer geben, weil sie im Gefälle unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen.
Maleh Ganz Dubai ist Sinnbild eines üppigen, hedonistischen Lebensstils!
Herr Igler, welche Rolle spielt das Sinnliche, Lustbetonte im Wohnbau?
Igler Das ist ein schwieriges Thema. Auf der einen Seite soll das Gebäude schön und unverwechselbar sein, möglichst originell, einzigartig und identitätsstiftend. Und es soll die Stadt nachhaltig aufwerten. Auf der anderen Seite aber sind wir gemeinnützigen Wohnbauträger dazu angehalten, wirtschaftlich zu bauen und effiziente Grundrisse zu schaffen, die mit Ikea-Möbeln leicht und billig möbliert werden können. Das ist nicht einfach!
Gelingt das immer?
Igler Es gibt bessere und schlechtere Projekte. Aber wir sind geübt und absolute Profis auf unserem Gebiet. Günstigen, aber dennoch ansprechenden Wohnbau zu schaffen – das ist unser täglich Brot.
Wo steht der österreichische Wohnbau heute?
Igler Durch die Bauträger-Wettbewerbe in Österreich seit Mitte der 1990er-Jahre, aber auch mit den vielen Wettbewerben im internationalen Raum sowie mit der Zunahme der sozialen Medien hat die Konkurrenz massiv zugenommen. Und wo Konkurrenz ist, da steigt bekanntermaßen auch die Qualität. Ich traue mich zu sagen: Der österreichische Wohnbau ist heute so hochwertig wie noch nie.
Welche Rolle spielen in alledem der Humor und die Leichtigkeit?
Igler Wenn’s bissl lustig ist, ist das kein Fehler! Wir wissen aus Erfahrung, dass sich schöne, fröhliche Häuser mit einem guten Namen als Titel leichter vermarkten lassen – und dass man damit auch leichter einen Bauträger-Wettbewerb gewinnen kann.
Maleh Faszinierend ist das! Der gute Titel spielt in der Architektur offenbar eine genauso wichtige Rolle wie in der Kunst und im Kabarett.
Rudnicki Natürlich! Manche Projekttitel sind sehr angeberisch und hochtrabend, dann heißen die Luxusbauten etwa The Icon, The Ambassy oder The Metropolitan. Im gemeinnützigen Wohnbau aber haben sich eher leichte, fröhliche Namen durchgesetzt.
Igler Zum Beispiel Brio, Rote Emma oder Mona’s Liesing. Das bleibt natürlich stärker im Gedächtnis hängen als irgendeine XY-Gasse Hausnummer 17.
Maleh Mona’s Liesing ist großartig! Ein richtig guter Name!
Igler Ein anderes Projekt von uns heißt zum Beispiel OASE.inklusiv. Zwar nicht lustig, aber doch auch einzigartig und einprägsam.
Maleh Also, ich finde das schon sehr lustig! Klingt wie ein Swinger-Club!
Wie gefällt Ihnen diese Assoziation?
Igler Na, immerhin wird Nadja Maleh unsere OASE.inklusiv nun in Erinnerung behalten. Perfekt!
Maleh Aber garantiert!
Frau Maleh, was beschert Ihnen gute Laune in einer Stadt?
Maleh Fröhliche Häuser, freche, witzige Kunst am Bau, aber auch irritierende Momente, die man erlebt, wenn man einfach offenen Auges durch die Stadt spaziert. Bei mir im siebenten Bezirk gibt es ein gründerzeitliches Haus, ganz schön, wo irgendwer in riesigen Buchstaben das Wort »Busen« an die Wand gesprüht hat. Jedes Mal, wenn ich da vorbeigehe, muss ich innerlich den Kopf schütteln, weil ich bis heute nicht weiß, was mir der Künstler – ich sage mal, es ist ein Er – da mitteilen möchte.
Haben Sie eine Idee?
Maleh Bin ratlos. Hat er Busen? Will er Busen? Wünscht er sich Busen für alle? What’s the message, honey?
Ich würde das Lachen und das Momentum der guten Laune gerne ein wenig analysieren. Was genau passiert denn beim Lachen im Hirn?
Maleh Viele Menschen geben mir das Feedback, dass sie bei mir im Kabarett glücklich sind und dass sie für ein, zwei Stunden ihre kleinen und großen Sorgen vergessen. Eine Besucherin hat mir sogar schon mal rückgemeldet, dass ihre körperlichen Schmerzen gelindert wurden. Humor arbeitet mit einer Mischung aus Erwartungshaltung, Überraschungsmoment und innerem Abgleich mit den eigenen Erfahrungswelten. In diesem Spannungsdreieck werden im Hirn unterschiedliche Botenstoffe freigesetzt – also chemische Substanzen wie etwa Dopamin, Endorphin, Serotonin und Oxytocin. Und das Wichtigste ist: Im Moment des Lachens gibt es im Hirn keinen Platz für schlechte Gedanken.
Rudnicki Damit arbeiten ja auch die Clini-clowns und Roten Nasen. Humor lässt die Sorgen und Schmerzen für kurze Zeit verschwinden.
Igler Ach was, der Moment hält meist viel länger an! Manchmal erinnere ich mich noch Wochen später an einen lustigen, kabarettistischen Moment zurück, wenn ich im Badezimmer stehe, an einem Haar zupfe und mich plötzlich in meinen eigenen Mustern ertappt fühle.
Maleh Über sich selbst lachen zu können: Das ist überhaupt das Allerwichtigste!
Sie schreiben auf Ihrer Website: »Achtsamkeit und Humor – zwei Kamele, mit denen ich durch jede Wüste komme!«
Maleh Beides ist wichtig, und die Balance aus beidem ist die perfekte Mischung, um selbst schwierigste Momente und Lebensphasen zu überstehen.
Beschert uns die heutige Architektur, um bei diesem Bild zu bleiben, genügend Kamele?
Maleh Es gibt, wenn ich durchspaziere, immer wieder eine Oase mit Kamelen – also Orte, die mir als Stadtbürgerin mit Respekt und Leichtigkeit begegnen, keine Frage. Aber viele Kamele und Oasen, um ehrlich zu sein, sind das nicht. Das könnten schon mehr sein!
Ich würde aus dem bisher Gesagten gerne eine Art Synthese daraus ableiten. Wie schaut eine Stadt der guten Laune aus?
Rudnicki Ich bleibe bei Ihrem Bild der Oase, Frau Maleh: Wir brauchen in einer Stadt grüne Oasen mit Wasser, Schatten und wunderbarer Aufenthaltsqualität. In Frankreich gibt es Parks mit Platanen und Sandbahnen – und schon spielen die Leute eine Runde Boule.
Igler Eine Stadt der guten Laune ist, wenn meine Augen gefordert sind und wenn ich Abwechslung erlebe.
Maleh Ich erlebe Glück und Zufriedenheit bei eigentlich ganz normalen Dingen – bei Licht, Schatten, Grün, Bäumen, Wasserplätschern und bequemen Sitzmöglichkeiten. Wenn ich rausgehe, und es riecht nach Linden, dann bin ich schon glücklich!
2008 hat Alain de Botton das Buch »Glück und Architektur« geschrieben. Darin meint er, dass Häuser uns in eine Stimmung versetzen können, zu der wir sonst keinen Zugang hätten. Und manchmal wirke die Architektur sogar besser als eine Siesta oder ein Aspirin.
Maleh Oh ja! Das klingt wunderschön!
Rudnicki Das stimmt leider nicht immer, aber im Falle von guter Architektur sehr wohl!
Igler Genau diese Art von Architektur müssen wir bauen. Das ist unsere Verantwortung.
Abschlussfrage: Angenommen, Sie betreten ein Bauwerk, das Sie vor Glück, Freude und Emotionalität im allerbesten Sinne überwältigt. Was sehen Sie?
Rudnicki Blickachsen, Sichtbezüge, Holz und Stein, viel Grün rundherum und eine angenehme Raumtemperatur. Solche Dinge machen mich glücklich.
Igler Ich befinde mich in einem Park, in dem es ganz viel zu schauen und zu entdecken gibt, der voller Menschen aus unterschiedlichen Kulturräumen ist, und es riecht nach Linsen, Safran und Ćevapčići.
Maleh Mich macht jeder Ort glücklich, an dem ich draußen in der Stadt bin und mich dennoch ganz zuhause fühle.