Von farbenfroher Architektur und bunten Bauten
Wenn im Winter die Wolken zuziehen und die Stadt immer grauer und grauer wird, dann hilft es, sich von den bunten Bauten inspirieren zu lassen – wie jene von Architekt:innen dieser Projekte aus aller Welt, die der farblosen Jahreszeit in den kräftigsten Tönen den Kampf ansagen.
Vor der Südküste des Iran, nicht weit von der Großstadt Bandar Abbas entfernt, liegt die kleine Felseninsel Hormuz. Mit rund 6.000 Einwohner:innen ist das Eiland im Persischen Golf heute vor allem ein touristischer Standort – mit Fischerei, einem alten portugiesischen Fort sowie einigen historischen Teppichknüpfereien, die sich bis in die Gegenwart erhalten haben. Im sandigen, karstigen Beige der Insel sind die bunten Teppiche, die hier produziert werden, die einzigen Farbkleckse weit und weit. Zudem wird hier einmal im Jahr von lokalen Künstler:innen aus den unterschiedlichen Sand- und Tonvorkommen der Insel ein großer Outdoor-Sandteppich aufgeschüttet. Mit 900 Quadratmetern Fläche hat es der letzte Sandteppich 2023 sogar ins »Guinness-Buch der Rekorde« geschafft.
Bunte Lehmbauten
Für das neue Teppich- und Kulturzentrum Majara haben sich die Kreativen von ZAV Architects genau davon inspirieren lassen: Der Gebäudekomplex aus vielen kleinen, mal runden, mal spitzen Kuppeln wurde in der sogenannten Superadobe-Technik aus Lehmziegeln und Stampflehmblöcken aufgemauert und anschließend mit natürlichen Farbpigmenten gestrichen. In den insgesamt 198 Lehmkuppeln gibt es Büros, Werkstätten, Ausstellungsräume sowie Wohn- und Schlafplätze für die hier arbeitenden Teppichknüpfer:innen. Manche der Kuppeln werden sogar als Hotelzimmer vermietet. Und ja, auch innen wurde kräftig in den Farbbottich hineingegriffen. Weiße Oberflächen findet man hier so gut wie nirgendwo. »Hormuz verfügt über schöne, surreale, außergewöhnlich farbenfrohe Landschaften«, sagt Mohamadreza Ghodousi, Gründer und Geschäftsführer von ZAV Architects. »Doch die Einheimischen haben mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dem wollten wir mit unserem Projekt, das von Investoren aus Teheran und Kulturorganisationen aus Bandar Abbas finanziert wurde, entgegenwirken. Architektur hat die Fähigkeit, ein Vermittler zu sein und die Interessen verschiedener Gruppen zusammenzubringen.« Mit einer so bunten, farbintensiven, sogar auf Satellitenbildern erkennbaren Geste gelingt dies noch besser. Nicht nur auf einer kleinen Insel im Persischen Golf, auch im quirligen Treiben von Tokio, Shenzhen, London oder der spanischen Regionalhauptstadt Murcia trauen sich Architekt:innen und Auftraggeber:innen immer häufiger, Farbe zu bekennen und auf diese Weise dem städtischen Grau und der oft monatelangen winterlichen Tristesse am farblosen Wolkenhimmel zu entkommen. Die daraus resultierenden Projekte betreffen nicht nur Retail, Gastro und Hotellerie, sondern auch den öffentlichen Raum – ob das nun
auf der Straße oder auf der Fassade eines 100 Meter hohen Hochhauses ist. Ziemlich atemberaubend beispielsweise ist der neue Louis-Vuitton-Store im Tokioter Stadtteil Jingumae, den Sugawaradaisuke Architects für den französischen Nobelkonzern LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton vor zwei Jahren fertiggestellt haben. Oder etwa ein postmoderner, 1994 errichteter Büroturm im Stadtzentrum von Shenzhen, den das Rotterdamer Architekturbüro MVRDV kürzlich revitalisiert und in ein hochmodernes Women & Children’s Centre umgebaut hat. In seinem Inneren befinden sich Hotel, Bibliothek, Kindertheater sowie Therapieräume für Mütter und ihre Kinder. Fröhliches Gelb, Orange, Rosa und Grün beleben die Fassade, in den Innenräumen kommen warme Farbtöne und knallige Akzente zum Einsatz – und dienen vor allem als Leitsystem und Orientierungshilfe.
Anleihen aus der Antike
»Architektur und Stadt waren traditionell immer schon bunt«, sagt die Wiener Architektin und Farbkonsulentin Pia Anna Buxbaum. »Ob das nun das Antike Griechenland, das Römische Reich, die venezianischen Inseln Murano und Burano, die Siedlungen an der ligurischen Küste, die mitteleuropäischen Gründerzeithäuser oder aber die Holzbauten in Schweden, Norwegen oder im weit entfernten Island sind. Erst in der Moderne des 20. Jahrhunderts, die sich auf Verzicht und die Reduktion auf das absolut Notwendige fokussiert hat, ist die Farbe aus dem Bauen großteils verschwunden.« Doch das kann sich auch wieder ändern. »Immer nur an weißen und grauen Häusern vorbeizugehen, und das noch dazu in einem Land, das zum Teil sehr graue Winter hat, ist langweilig, denn farblose Fronten tragen kaum zur Verbesserung des Gemütszustandes bei«, sagt Buxbaum. »Farbige Fassaden hingegen haben den Vorteil, dass sie strahlen und auf die umliegende Umgebung reflektieren. Das macht etwas mit den Menschen.« Allerdings, meint die Expertin und Autorin des 2021 erschienenen Buches »Gebäudesoftsillks. Bauen in menschlichen Dimensionen«, sei bei der Anwendung von Farben im Stadtraum Vorsicht geboten: »Kräftige Farben können rasch als aggressiv und vereinnahmend wahrgenommen werden. Gerade im öffentlichen Raum und in großen Flächen und Maßstäben geht es immer um die richtige Dosis – weniger ist oft mehr.«

»Monument House«, Joshua Tree Mitten in Kalifornien, nur eine Meile vom Joshua-Tree-Nationalpark entfernt, kann das »Monument House« nun erstmals nächteweise gemietet werden. Das 1990 von Josh Schweitzer entworfene Haus wurde bewusst so gestrichen, dass es die Farbpalette der umliegenden Landschaft widerspiegelt.
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Louis Vuitton Store, Tokio Unter dem Titel »Happy Bamboo Forest Mood« haben Sugawaradaisuke Architects dieses quietschvergnügte Shopdesign für Louis Vuitton realisiert. Der Laden ist Teil einer Ausstellung, die zugleich die Geschichte der Marke feiert. sugawaradaisuke.com
(c) D. Ano für Louis Vuitton
White City Place, London Die Londoner Farbkünstlerin Camille Walala hat ein Faible für knallige Farben und plakative Formate. In Anlehnung an Memphis und Postmoderne hat sie den Fußgängerübergang bei dieser Londoner U-Bahn-Station gestaltet – und auf diese Weise die Zahl der Verkehrsunfälle auf null reduziert. camillewalala.com
(c) C. Emerson
»Nexus 8«-Traumaklinik, Murcia Wie hilft man Menschen, die mit Physiotherapie rehabilitiert werden müssen, zusätzlich wieder auf die Sprünge? Zum Beispiel mit fröhlichen Farben. In der spanischen Stadt Murcia hat das Magicarch Office die Therapieräume der »Nexus 8«-Klinik fernab von medizinischen Stereotypen in einen inspirierenden, energetisierenden Farbkanon getaucht. magicarch.es
(c) Homestead Modern
Majara-Bauten auf Hormuz Auf der iranischen Insel im Persischen Golf errichteten die ZAV Architects ein Teppich- und Kulturzentrum aus Lehm. Innen wie außen sind die 198 runden bzw. spitzen Lehmkuppeln mit bunten Farben und Natur-pigmenten geschmückt. zavarchitects.com
(c) T. Monzavi