Umbruch in der Modewelt: Wie Designer-Rochaden Marken und ihre Identität verändern
Mode ist der Inbegriff des Zeitgeists, Designer:innen sind sensible Seismografen aktueller Schwingungen. Und damit stehen sie immer mehr im Fokus, denn auch die Mode unterliegt aktuell starken Umbrüchen. Designer:innen-Rochaden, verlorengegangene DNA und die sozialen Medien sind zunehmende Herausforderungen, denen sich Brands stellen müssen. Manche besser als andere.
In einer Modewelt, die immer konservativer wird, sind neue Wege, die eingeschlagen werden, erfrischend, sagt man. Die Branche befindet sich in einem Umbruch, zwar im ersten Moment nicht wahrnehmbar, aber ein Prozess, der nicht aufzuhalten ist. Aber alles der Reihe nach. Beginnen wir bei Gucci. Der Mann, der die Marke durch seine durchgeknallten Stilmixe zur It-Brand des letzten Jahrzehnts hochstilisierte und vor einem Jahr klanglos abgesägt wurde, regiert jetzt bei Valentino. Über die Ursache Alessandro Micheles Abgang bei der glitzernden Brand Gucci im Kering-Unternehmen, rätseln die Fans noch heute. Man spricht von nicht eingehaltenen Renditezielen, Ziele, die eigentlich Michele nach einer langjährigen Flaute erst dort hingebracht hat, wo sie heute stehen. Als Dank übernahm ein anderer.
Die Branche war verwirrt
Sabato de Sarno, der zwar bemüht die Schaufenster füllt, aber am Niveau Micheles noch arbeiten muss. Ähnlich erging es heuer Pierpaolo Piccioli. Der Designer agierte insgesamt sechzehn Jahre bei Valentino, die letzten sechs in Alleinherrschaft, dann war er weg, quasi über Nacht. Hatte auch Piccioli die wirtschaftlichen Anforderungen des Unternehmens nicht erfüllt? Die Branche war verwirrt, galt der Italiener doch als Künstler und großer Kopf hinter seinen Kollektionen. Und schnell wird klar: nicht mehr nur die kreative Leistung der Designer:innern zählt, sondern das Label und damit der Umsatz, also Cash. Kurioserweise holte aber die Kering Group, die noch vor einem Jahr Alessandro Michele von Gucci abzog, genau diesen für die ebenso im Konsortium bestehende Brand Valentino. Es folgte ein Aufschrei bei allen Pierpaolo-Fans. Für viele galt der Ex-Gucci-Designer mit der eleganten römischen Brand Valentino, die Piccioli unter seiner Ägide unverkennbar machte, als gar nicht kompatibel. Aber Michele wusste es besser. Er präsentierte noch vor dem Sommer seine 260 Looks umfassende erste Cruise-Collection »Avant Les Débuts« (Nomen est Omen) für die Maison via Lookbook, zeigte die Männerkollektion in Mailand und zelebrierte damit die 60er-Jahre - jene Dekade, in der Valentino als Marke seinen Anfang nahm. Gewohnt gigantisch, mit Schleifen und viel cineastischem Flair war seine Version für das römische Modehaus. Neue Logos und Slogans (»Chez Valentino«) ersetzten die alten. Valentino-Kund:innen wie Fans gaben sich noch immer skeptisch. Hatte Michele Valentino zu sehr seinen Gucci-Stempel aufgedrückt? Doch spätestens bei der Pariser Fashionweek im September, als er seine Laufsteg-Gazellen für die Sommerkollektion 2025 »Pavillon des Folies« über den Runway schickte, stellte sich Erleichterung ein. Die frischen und rebellischen Kreationen trugen zwar unverkennbar seine Handschrift, doch verwiesen sie stärker auf das Archiv der Maison, als man eigentlich erwartet hätte.
Munterer Designer-Reigen
Was sind aber die tatsächlichen erfolgreichen Ingredienzien einer Marke, die sie unaufhaltbar in den Olymp katapultieren und wirtschaftlich erfolgreich machen? Für Endverbraucher:innen mag der Gucci-Valentino-Tanz verwirrend sein, obwohl er dem Zeitgeist entspricht. Denn aktuell wechseln Designer:innen gerade von links nach rechts und retour.
Bei Givenchy schneidert neuerdings die Britin Sarah Burton, die schon bei Alexander McQueen das Designzepter schwang. Bei Burberry folgte Daniel Lee auf Riccardo Tisci, der vielen vor allem als Creative Director von Givenchy ein Begriff ist. In diesem Designer-Mingle scheint es, dass die DNA einer Marke nicht mehr wichtig ist. Und das ist auch harte Realität. Auch wenn Mode-journalist:innen auf den Schauen in Paris und Mailand versuchen, Looks und Brands tieferen Sinn und mehr Intellekt zu attestieren, dreht sich am Ende des Tages alles um den Hype, den eine Marke kreiert und der sich direkt in Zahlen niederschlägt. Couturiers sind nicht mehr im Vordergrund, sie sind nur noch einer von vielen Teilen einer Marketingstrategie. Verkaufen Designer:innen gut, dürfen sie bleiben, sonst werden sie ausgetauscht. Dabei variieren die Strategien je nach Bedarf: Mal darf ein Designer zu jeder Marke seinen Look mitnehmen (Beispiel: Die Endlosschleife bei Hedi Slimane!), mal darf ein Designer völlig Neues ausprobieren. Als etwa Daniel Lee 2018 an die Kreativspitze des italienischen Traditionshauses Bottega Veneta kam, war er ein unbeschriebenes Blatt, aber mit einer einzigartigen Vision. Mit viel Gespür für den Zeitgeist und einem fundamentalen Verständnis für die Marke, führte er völlig neue kreative Codes ein. So wurde nicht nur das Narrativ der Marke einfach umgeschrieben, sondern auch der Brandname neu geprägt: The »New Bottega« war ein voller Erfolg. Kaum verließ er Bottega Veneta, kehrte die Marke zu alten Codes zurück und verlor sofort an Fans und Strahlkraft. Aber diese Strahlkraft ist es, die eine Marke in den Olymp hebt - aus Marketingsicht und auch wirtschaftlich. Sie hängt meist unmittelbar mit dem Designer zusammen, der heute viel mehr können muss, als schöne Kreationen aus dem Ärmel zu schütteln. Es ist ein Gesamtpaket, das bekannte Modefirmen, die mittlerweile fast alle großen Konsortien unterstehen, zu liefern haben.
Kongruentes Narrativ
Es geht darum, ein kongruentes Narrativ zu schaffen und dies auf allen Kanälen auszuspielen und sich effektiv den sozialen Medien zu bedienen. Und es geht darum, mit gutem Merchandising die Marke wirtschaftlich reüssieren zu lassen - weniger mit Kleidung, als mit plakativen Accessoires, wo der Logo-Manie keine Grenzen gesetzt ist. Ein Designer oder eine Designerin quasi als Kreativalleskönner mit einem Händchen für jedes Detail. Best practice Karl Lagerfeld war so einer und Simone Porte Jacquemus ist so einer. Es kommt nicht von ungefähr, dass die beiden neuerdings öfter in einem Satz und in einem Atemzug erwähnt werden. Nachdem das Couture-Haus Chanel aktuell ohne Kreativkopf auskommt (Lagerfeld-Nachfolgerin Virginie Viard verließ es diesen Sommer), brodelt die Gerüchteküche, ob Jacquemus übernehmen wird, über. Denn auch wenn die erste Kollektion von Virginie Viard für Chanel ein voller Erfolg war, weint ihr aktuell niemand nach. Zu wenig greifbar war Chanel in den letzten Jahren, zu leise, wo es doch unter Lagerfeld immer so laut brüllte. Und dennoch stets mit gutem Stil und klaren Codes.
Ein Umstand, den man auch auf Jacquemus umlegen könnte. Der junge Südfranzose bespielte seit Gründung seiner gleichnamigen Marke 2009 ein besonderes Narrativ, und dies sehr stringent: Die Provence seiner Kindheit in den 1990er-Jahren, mit Lavendelfeldern, Luftmatratzen in Gelb-Weiß, Tennis, Croissants und ersten Sommerlieben. Er weiß nur zu gut die Provence als tragbares Gesamtkunstwerk zu vermarkten: Von Brigitte Bardot bis La Boum die Fete lässt er kein Mainstream-Denkmal aus, um daraus ein neues Produkt zu generieren. Dafür sind ihm die Sozialen Medien ein hilfreicher Unterstützer. So brannte sich etwa eine seiner ersten Schauen, die er in ein blühendes Lavendelfeld versetzte und medial abfeierte, für immer in das Modekollektiv ein. Es war so simpel wie genial, da die Geschichte dazu einfach stimmte. Auch KI nützt Jacquemus wie sein täglich Parfum: Übergroße Taschen (die in Wirklichkeit en miniature sind) wandern durch Paris, hängen auf Bäumen und treiben ansonsten auch allerhand Unfug – und haben damit ein Eigenleben entwickelt, welches man endlos weiterspinnen kann. Er verkauft ein Lebensgefühl aka Mode und Produkte, die von seinem Leben, seinem Blick auf die Welt erzählen und deshalb vor allem eines sind: witzig und charmant-authentisch.
Im Vergleich
Man nehme eine ikonische Brand und zwei Designer, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Louis Vuitton lässt Nicolas Ghesquiere für Frauen schneidern und den Musiker Pharrell Williams für Herren designen. Dass beides seine Berechtigung hat, zeigt dieses Beispiel: Die »Bed Trunks«.
Begehrlichkeiten wecken?
Man darf in diesem Zusammenhang gespannt sein, wie sich Chloé entwickeln wird. Die neue Designerin Chemena Kamali hat bereits zwei vielbeachtete Kollektion präsentiert. Verspielt, feminin und vor allem auch tragbar. Alles was wir Frauen uns wünschen. Ob sie es aber vom Catwalk auf die Verkaufsflächen großer analoger wie digitaler Stores schaffen wird, bleibt noch offen. Kamali versteht zwar die Codes der Marke, aber es dringt noch kein allumfassendes Gesamtkonzept durch. Dies scheint auch der Marke Hermès zu fehlen. Der Inbegriff für Exklusivität setzt seit Jahren auf Influencer und junge TikToker, die bei den Schauen Journalisten und Prominente von der »First row« auf die hinteren Ränge verbannen. Ob dieses Konzept so aufgehen kann, bleibt fraglich. Denn pure Handwerkskunst im höchsten Preissegment reicht heute vielleicht nicht mehr aus, um Begehrlichkeiten zu wecken.