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(c) Mutsumi Morita / AP / picturedesk.com

Riken Yamamoto: »Transparenz in form und Philosophie«

Architektur

Riken Yamamoto ist der neue Pritzker-Preisträger 2024. Die höchste internationale Auszeichnung in der Architektur erhielt der Japaner aber nicht nur für seine Bauwerke, sondern auch als sozialer Aktivist. Wodurch zeichnet er sich aus und was inspiriert den unermüdlichen Gebäudedesigner? 

Titelbild: Der Pritzker-Preisträger 2024:  Mit seiner Architektur fungiert Riken Yamamoto als eine Art sozialer Fürsprecher, indem seine Bauten Verbindungen zwischen öffentlichen und privaten Bereichen herstellen.

In Interviews wirkt er bescheiden, trägt gerne bequeme Kleidung, spricht eher langsam und bedacht, wenn notwendig auf Englisch, am liebsten jedoch auf Japanisch. Riken Yamamoto ist zwar schon ein Mann älteren Semesters, geht aber nach wie vor mit der Zeit. Und so gehört er auch heute noch zu den Vorreitern, wenn es um neue Perspektiven in der Architektur und innovative bauliche Konzepte geht. Im März erhielt der 79-jährige Japaner den begehrten Pritzker-Architekturpreis 2024, der mit 100.000 Dollar dotiert ist und international als höchste Ehre der Architektur angesehen wird. Ein weltweit bedeutender Architekt sei er, so die Jury, aber auch ein maßgebender sozialer Aktivist. Denn mit seinen beeindruckenden Werken schaffe Riken Yamamoto immer wieder eine Verbindung zwischen öffentlichem und privatem Raum und inspiriere so zu harmonischen, lebenswerten Gesellschaften im urbanen Kontext. Trotz einer Vielfalt von Identitäten, trotz mannigfaltiger wirtschaftlicher und politischer Strukturen, trotz unterschiedlicher Infrastrukturen, Kulturen und Wohnsysteme.
Und für genau diesen Zugang zur Architektur, für seinen städtebaulichen Ansatz, seinen baukünstlerischen Blick für das große Ganze und seine ebenso vielfältigen wie faszinierenden Gebäude – darunter Wohnquartiere und Hochhäuser, aber auch Villen, urbane Institutionen oder Bildungsstätten – wurde
er nun in den Architektur-Olymp gehoben.

Riken Yamamotos Architektur: authentisch sozial

Yamamoto definiert Gemeinschaft als »ein Gefühl des Teilens eines Raumes«, dekonstruiert traditionelle Vorstellungen von Freiheit und Privatsphäre und lehnt Bedingungen ab, »die Wohnen zu einer Ware machen ohne Bezug zu Mitmenschen«. Authentisch, wie er ist, lebt er in Yokohama selbst in Gemeinschaft mit den Nachbarn. Sein Zuhause, das 1986 entworfene »Gazebo«, fördert die zwischenmenschliche Interaktion über viele begrünte Terrassen, Dächer und Einschnitte. Die Jury des Pritzker-Architekturpreises 2024, der seit 1979 von der Hyatt Foundation gesponsert wird, hat Yamamoto ausgewählt, »weil er ein Bewusstsein dafür geschaffen hat, was die Verantwortung der sozialen Forderung ist, und vor allem, weil er daran erinnert, dass in der Architektur, wie in der Demokratie, Räume durch den Willen der Menschen geschaffen werden müssen«. Zudem würdige Yamamoto »durch die starke, konsistente Qualität seiner Gebäude das Leben der Menschen – von Kindern bis zu den Ältesten – und verbessert und bereichert ihre zwischenmenschlichen Verbindungen«. Und »er tut dies durch eine selbst erklärende, aber bescheidene und relevante Architektur, mit struktureller Ehrlichkeit und präziser Skalierung sowie mit sorgfältiger Beachtung der umgebenden Landschaft«.

Ein- und Ausblicke: Transparenz in Form, Material und Philosophie ist ein wesentliches Element der Werke von Riken Yamamoto, wie hier bei der 2022 erbauten Nagoya Zokei University in Japan.

(c) beigestellt

Gelebte Volksnähe: Das Fussa-Rathaus in Tokio hat Yamamoto 2008 als zwei Mittelhochhäuser konzipiert. Konkave Basen laden Besucher:innen zum Ausruhen ein, während grüne öffentliche Dachterrassen und untere Ebenen für flexible öffentliche Programme vorgesehen sind.

(c) beigestellt

Riken Yamamoto in seinen eigenen Worten

… darüber, warum Gemeinschaft und persönliche Freiheit kein Widerspruch sind:

»Für mich bedeutet das Anerkennen von Raum, eine ganze Gemeinschaft anzuer-kennen. Der gegenwärtige architektonische Ansatz betont die Privatsphäre und verneint die Notwendigkeit gesellschaftlicher Beziehungen. Mein Weg ist nach wie vor ein anderer. Wir können immer noch die Freiheit jedes Einzelnen ehren, während wir gemeinsam in einem architektonischen Raum als Republik leben und dabei die Harmonie zwischen Kulturen und Lebensphasen fördern.«

… über seine frühe Begeisterung für Architektur:

»Mit 17 besuchte ich den Kōfuku-ji-Tempel in Nara, der 730 erbaut und 1426 neu errichtet wurde. Ich war von der fünfstöckigen Pagode völlig fasziniert. In dem Moment, als ich den hölzernen Turm im Licht des Mondes sah, fand ich meine erste Erfahrung mit Architektur. Zudem prägte mich wohl das Leben in einem japanischen Machiya (Stadthaus), in dem ich aufwuchs. Es ist immer zweigeteilt – die Schwelle auf der einen Seite war der Wohnbereich für die Familie, jene auf der anderen Seite hin zur Straße für die Gemeinschaft, wo sich bei uns die Apotheke meiner Mutter befand. Nicht zuletzt war mein Vater, der leider starb, als ich fünf Jahre alt war, Ingenieur. Ich wollte wohl ein bisschen wie er werden.«

… warum in der Architektur Respekt vor der Landschaft und der Umgebung notwendig ist:

»Es ist wichtig, dass das Innere und das Äußere eines Gebäudes mit der Umgebung harmonieren und immer auch zusammen­wirken. Daher nutze ich die Transparenz in allen meinen Projekten, um die Beziehung zwischen den Innenräumen und der Landschaft herzustellen. Aluminium und Glas sind die dafür interessantesten Materialien.«

ZUR PERSON

Riken Yamamoto ist der 53. Preisträger des Pritzker-Architekturpreises und der neunte, der aus Japan stammt. Er wurde 1945 in Peking, Volksrepublik China, geboren und lebt seit seiner Kindheit in Yokohama, Japan. Sein Architekturstudium absolvierte er an der Nihon-Universität, College of Science and Technology, seinen Master of Arts in Architektur erhielt er von der Tokyo University of Arts 1971. Bereits zwei Jahre später gründete er sein eigenes Büro, Riken Yamamoto & Field Shop, das heute noch besteht. Zeit seines Lebens reist er ausgiebig, um berühmte Bauwerke zu besuchen, aber auch, um die Kultur und das tägliche Leben von Gemeinschaften auf anderen Kontinenten zu erleben. Seine zahlreichen Bauwerke finden sich in ganz Japan, in China, Korea und in der Schweiz. riken-yamamoto.co.jp

Megaprojekt zum Abheben: Fünf Jahre lang wurde am »Circle«, dem neuen Quartier am Schweizer Flughafen Zürich, gebaut, Ende 2020 wurde es eröffnet. Nicht nur mit seiner Größe (Büros, Shops, Restaurants, Kliniken, Eventräume, zwei Hotels, Park etc.), auch im Bereich Nachhaltigkeit setzt es neue Maßstäbe.

(c) Shinkenchiku Sha, courtesy of Flughafen Zürich AG

Erschienen in
LIVING 03/2024

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Susanna Pikhart
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