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(c) Frederic Aranda

Norman Foster: Gestatten, Lord High-Tech

Architektur
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Seit unglaublichen 60 Jahren ist er beruflich aktiv: Norman Foster, einer der berühmtesten Architekten der Welt. Immer noch arbeitet der heute 88-Jährige unermüdlich an einer besseren Zukunft. Anlässlich seiner großen Werkschau in Paris gab er ausführliche Einblicke in seine Gedankenwelt.

Header Bild: Weltkarriere Vom nordenglischen Arbeiterkind zum globalen Star: Norman Foster, geboren 1935 und aufgewachsen in Manchester, führt heute ein Büro mit 1.400 Mitarbeitenden und ­realisierte Projekte in 75 Ländern.

Sonnenverwöhnter, gesunder Teint, sandfarbener maßgeschneiderter Anzug. So erholt und elegant schlenderte Norman Foster, Baron Foster of Thames Bank, im Mai dieses Jahres durch die Giardini bei der Eröffnung der Architekturbiennale Venedig, und man sah ihm seine 88 Jahre kein bisschen an. Vielleicht strahlte er auch deshalb so entspannt, weil er kurz zuvor in Paris seine große Retrospektive eröffnet hatte, die einen großen Teil des Centre Pompidou mit einer Unzahl von Architekturmodellen füllte und eine überwältigende Tour de Force aus 60 Jahren Bauen bot. Zwischen London und Peking, von Dubai bis Davos gibt es wohl kaum etwas, was der Pritzker-Preisträger und passionierte Kleinflugzeugpilot Foster noch nicht gebaut hat. Dabei hat er seinen optimistischen Glauben an die Technologie und ihre Vereinbarkeit mit der Natur bis in die Gegenwart gerettet und baut dergestalt unverzagt weiter an der Zukunft. Seine Karriere startete Norman Foster 1963 im Quartett Team 4 mit Wendy Cheesman und Richard und Su Rogers. 1967 begann er eine Solokarriere, seit 1992 firmiert sein Büro als Foster + Partners. Dutzende Banken- und Bürotürme wie die »Gurke« in London, die Hongkong and Shanghai Bank in Hongkong und die Commerzbank in Frankfurt gehören zu seinen herausragenden Werken. In der Wüste der Emirate plante er das ökologische Stadtmodell Masdar City. Zu seinen vielen Verkehrsbauten zählen die Flughäfen ­Stansted, Peking und Hongkong und das atemberaubend schöne und schwindelerregend hohe Viaduc de Millau in Frankreich (2004), mit 343 Metern die höchste Brücke der Welt. Aber lassen wir den stets britisch verbindlichen und freundlichen Architektur-Granden, der 1990 zum Sir und 1999 zum Baron wurde, selbst über die wichtigsten Leitthemen seines sechs Dekaden währenden Schaffens sprechen …

Norman Foster in seinen eigenen Worten:

… darüber, warum die Konstruktion eines Gebäudes für ihn wie ein Körper aus Haut und Knochen ist.
»Ein Kritiker sagte einmal, all unsere Projekte könne man entweder als Haut oder als ­Knochen charakterisieren. Das ist auch kein Zufall. Denn wir überlegen uns bei jedem Gebäude ganz genau, wie das Traggerüst, die Fassade und der Bezug zur Umwelt zueinanderpassen. Hier gibt es Parallelen zwischen Architektur, Kunst und Design. Man kann an Fernand Légers Malerei oder an den Geschwindigkeitsrausch von Boccioni denken oder an die stromlinienförmigen Hüllen von Luftschiffen und Segelflugzeugen.«

… über seine Liebe zu Hochhäusern und warum sie wie vertikale Städte funktionieren können, wenn man es richtig macht:
»Der Wolkenkratzer ist das Symbol der modernen Stadt. Er zeigt uns, dass die Stadt die größte Erfindung der menschlichen Zivilisation darstellt. Wenn man den Wolkenkratzer als vertikale Form des Zusammenlebens sieht, kann er ein Vorbild für nachhaltige Architektur sein – auf jeden Fall besser als ein ausufernder Siedlungsbrei, in dem jeder aufs Auto angewiesen ist. Unsere eigenen Turmbauten waren immer davon geprägt, dass wir das etablierte System eines massiven Kerns in Frage gestellt haben. Unsere Hochhäuser sind offen und flexibel. Sie sind transparent und sie atmen dank ihres energiesparenden eigenen Mikroklimas.«

… darüber, wie Natur und Stadt auch in der Architektur zusammen­gehören:
»Wir können die Natur schützen, indem wir dichte Städte bauen. Wir können uns der Landschaft anpassen, indem wir Gebäude in sie hineinbauen oder sie darüber leichtfüßig schweben lassen. Das perfekte Modell für ökologische Architektur ist der Baum: Er atmet und reagiert auf die Jahreszeiten, er ist ein eigenes Ökosystem, er recycelt Abfall und absorbiert CO₂ .«

Elegante Bürowelten Die Headquarters von Bloomberg im Zentrum von London komponierte Foster in warmen Brauntönen mit einem zentralen Atrium.

Foster + Partners

Welt im Spiegel Für den Vieux Port in Marseille schuf Foster ein zart-elegantes Dach, das mit wenigen Mitteln viel erreicht und den Platz am Hafen zu einem besonderen Treffpunkt macht.

Foster + Partners

Runde Sache Einer seiner bekanntesten und größten Bauten: der Apple Park im kalifornischen Cupertino, entwickelt in enger Zusammen­arbeit mit Firmengründer Steve Jobs.

Foster + Partners

Gurkenglas Der offizielle Name dieses Bürogebäudes in der Londoner City ist »30 St Mary Axe« – aber alle nennen es nur »The Gherkin«, die Gurke.

Foster + Partners

... warum trotz der Hightech-Komplexität all seiner Gebäude sein wichtigstes Werkzeug bis heute die Zeichnung ist: »Zeichnen und skizzieren war für mich schon immer eine Lebensart. Wenn man mir eine Frage stellt, antworte ich mit einer Skizze. Seit 1975 habe ich immer ein A4-Notizbuch bei mir, einige davon habe ich in Paris ausgestellt. Aber was für manche wie eine blitz­artige Inspiration aussieht, resultiert aus der tiefen Konzentration auf viele Themen.«

… welche erstaunlich wichtige Rolle Geschichte und Tradition für einen Futuristen wie ihn spielen:
»Wenn man nach vorne schauen will, muss man zuerst zurückschauen. Ein bestehendes Gebäude wiederzuverwerten ist viel nachhaltiger, als neu anzufangen. Historische Bauten haben ihre eigenen Wachstumsschichten, denen man mit Sensibilität neue Schichten hinzufügen kann.«

… warum er als passionierter Pilot so von Flughäfen, Transportmitteln und Verbindungen fasziniert ist:
»Das Wachstum des Flugverkehrs hat uns die Gelegenheit gegeben, den Typus des internationalen Terminals neu zu erfinden: als symbolisches Eingangstor einer Nation, geöffnet zum Himmel. Auch Brücken haben eine heroische Dimension, die uns inspirierten, eine innovative Leichtigkeit der Konstruktion zu schaffen, die etwas mit dem Ort zu tun hat.«

… warum er in seinen Plänen für Mond und Mars die Erfüllung eines Jugendtraums sieht:
»In unseren besonders weit vorausschauenden Planungen denken wir an eine Welt, in der saubere Energiequellen im Übermaß vorhanden sind. Die Norman Foster ­Foundation arbeitet gemeinsam mit den Forscher:innen des MIT daran. Nicht nur das – gemeinsam mit der European Space Agency und der NASA haben wir mögliche Besiedlungsformen auf dem Mond und dem Mars erforscht: kuppelartige Formen, wie wir sie auch in den Entwürfen für Afrika verwendet haben. Die Science-Fiction-Fantasien meiner Jugend sind zur Realität meiner ­heutigen Arbeit geworden.«

Wüstenplanet Ganz groß gedacht: Fosters Masterplan South Sabah Al-Ahmad ist die ­Vision einer Stadt mit 280.000 Ein­wohner:innen und 145.000 Arbeits­plätzen in der kuwaitischen Wüste.

Foster + Partners

Erschienen in
RESIDENCES Nr. 02/2023

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Maik Novotny
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