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Smithsonian American Art Museum

Kunst-Trip Washington: Die Kultur hat hier so viele Gesichter wie die USA

LIVING Arty Weekend
Reisetipps

Sie hat vielleicht nicht die urbane Dichte von New York und die Lässigkeit von L.A., doch in der Kunstwelt ist die Kapitale Washington eine Welthauptstadt. Mal staatstragend, mal rebellisch, mal ganz persönlich.

Wir kennen die Stadt aus zahllosen Nachrichtensendungen. Meist sehen wir dann große weiße Gebäude auf grünem Gras, davor Reporter mit Mikrofon. Doch Washington, D.C. ist nicht nur Hauptstadt der USA und Schauplatz von Staatsbesuchen, Feuern, Wahlen, Demonstrationen und Krisen, sondern auch eine Metropole der Kunst. Hier muss sich D.C. nicht hinter N.Y. und L.A. verstecken. Denn um die breite National Mall versammeln sich nicht nur Kapitol, Kongress und Weißes Haus, sondern auch Kunstmonumente von Weltrang. Mit der 1846 vom Staat gegründeten ­Smithsonian Institution verfügt Washington über den weltgrößten Museums- und Bildungs­komplex. Andere Museen wurden, wie in den USA ­typisch, von Spendern und Mäzenen aus der Industrie gegründet, und die Gegenkultur der 1960er sorgte für eine Welle an kollektiven Künstler:innengruppen, die ihre eigenen Art Spaces etablierten. Nicht zuletzt ist Washington die US-Metropole, deren Kunstwelt sich wohl am konsequentesten der Black Community geöffnet hat und die ­maßgeblich von BIPoC-Künstler:innen und -Kurator:innen geprägt wird. So ist diese Stadt alles andere als reinweiß und statisch, sie ist dynamisch und bunt.

 

 

Freitag: Im Dreieck durch die Avenues

Zwischen Monumenten, Wohnhäusern und Galerien: Sie ist unübersehbarer Teil der stattlichen Bauten an der National Mall. Angesichts ihres Namens auch nicht überraschend. Die National Gallery of Art umfasst 150.000 Werke, die sich in zwei Bauten aufteilen: Das klassizistische West Building für Kunst und Bildhauerei vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert und das spitzwinklige East Building für Werke aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Mit über drei Millionen Besucher:innen pro Jahr steht es in dieser Hinsicht auf Platz eins der Kunstmuseen in den USA, noch dazu ist der Eintritt gratis. Schließlich hatte Präsident Roosevelt es bei der Eröffnung »der Benutzung und der Freude der Bürger« gewidmet.

Ganz im Kontrast zu dieser nationalen Gewichtigkeit steht die Phillips Collection. Idyllisch in einer baumbestandenen Wohnstraße hinter dem Dupont Circle gelegen, wurde das Kunstmuseum 1921 von Sammler Duncan Phillips in seinem eigenen Wohnhaus gegründet. Nachdem die Sammlung immer mehr anwuchs, zog die Familie aus und das Wohnhaus wurde museal. Phillips’ Witwe Marjorie prägte den inzwischen zweimal baulich erweiterten Standort als Direktorin, heute ist er ein Fixpunkt für ­zeit­genössische Kunst. Eine Veteranin der Galerienszene in D.C. ist die 1976 gegründete Touchstone Gallery an der New York Avenue. Sie wurde von Leser:innen des »Washington City Paper« mehrmals zur besten der Stadt gewählt und ist mit Ausstellungen im Monatstakt bis heute hochaktiv und engagiert. Dabei ist sie, entsprechend ihrer Gründungsphilosophie, der Stadt, der Community und ihren Künstler:innen verpflichtet.

 

Samstag: Ein Tag mit der Familie

Samstag ist ein Tag, den wir mit der Familie verbringen – ­jener der Smithsonians, die inzwischen 21 Museen umfasst. Die Amerikaner:innen lieben, wie wir wissen, ihre Akronyme. Kein Wunder, dass sie eines der größten Museen von Washington einfach SAAM nennen und einen der wichtigsten Neuzugänge NMAAHC. Aber der Reihe nach! Die 1846 ­gegründete Smithsonian Institution ist heute der größte Museen- und Bildungskomplex der Welt. Ihre Sammlungen waren und sind für die ­Identitätsfindung der Nation unerlässlich. Und man könnte eine Woche mit einer Tour durch alle Smithsonian-Häuser verbringen.

Selbstbeschau

Heute besuchen wir die drei wichtigsten. Das Smithsonian Museum of American Art, das älteste in der »Familie«, ist eine der größten Sammlungen amerikanischer Kunst und ­umfasst Werke aus drei Jahrhunderten. Ein ­unendlich reicher Nährboden für gegenwärtige Ausstellungen, die immer wieder neue Antworten finden auf die Frage: Was ist Amerika, und wer sind wir? Wie die jüngste große Rundum-Selbstbeschau, »American Voices and Visions«, zeigt, inkludiert das heute auch immer mehr BIPoC-Künstler:innen. Ein ­kleineres Smithsonian-Familienmitglied, die Renwick Gallery, ist zeitgenössischem ­Kunsthandwerk und Dekoration gewidmet. Der jüngste Neuzugang dagegen ist unübersehbar und gehört zu den meistdiskutierten Museen der letzten Jahre: Das 2016 eröffnete Smithsonian National Museum of African American History and Culture (NMAAHC) versammelt nach jahrzehntelangen Planungen und Diskussionen die Kulturgeschichte der Afroamerikaner:innen mitten im Zentrum der Nation. Entworfen von David Adjaye, ähnelt seine golden-abstrakte Form einer Krone der Yoruba.

 

Sonntag: Art Spaces und Gegen­kultur

Filialen aus Florida und stattliche Sammlungen: Washington zieht sie alle an. Die USA sind nicht nur das Land der großen Machtzentren, sondern auch das der Gegenkultur: Bürgerbewegung, Anti-Vietnam-Proteste, Nachbarschaftsinitia­tiven und Popkultur. Aus der Glanzzeit dieser Bewegungen, den 1960er- und 1970er-Jahren, ist eine Vielzahl von Art Spaces hervorgegangen. Einer davon ist Washington Projects for the Arts, gegründet 1975 (siehe Interview), eine Kunstinitiative, die sich seitdem im Spannungsfeld zwischen Community und Weltöffent­lichkeit bewegt und sich mit Events, ­Ausstellungen und einem Buchladen Inklusion, Diskus­sion und kreativer Entfaltung widmet. ­Berühmt wurde das WPA, als es 1989 eine Robert-Mapplethorpe-Ausstellung zeigte, nachdem die Corcoran Gallery of Art sich nicht getraut hatte.

Fast exakt so alt wie das WPA ist eine Institution für zeitgenössische Kunst, die heute Teil der Smithsonian-Familie ist, mit einer ­erstklassigen Adresse zwischen Kapitol und Washington Monument: das Hirshhorn ­Museum. Mit seiner ovalen Form fällt es hier baulich keck aus dem Rahmen, und im ­Inneren hat es sich zu einem weltweit anerkannten Rahmen für die Kunst der letzten 30 Jahre entwickelt, mit einer inzwischen stattlichen Sammlung. Zum Abschluss ein Neuzugang der Museumswelt, der über New York und Miami seinen Weg nach Washington gefunden hat. Das Rubell Museum, entstanden in Miami dank des millionenschweren Erbes von Steve ­Rubell, dem Besitzer des legendären »Studio 54« in Manhattan, expandierte 2019 vom Stammsitz in die Hauptstadt, wo es schon bei der ersten Ausstellung von der Kunstkritik euphorisch begrüßt wurde. Ein Zeichen für den ­Magnetismus dieser Stadt.

Interview mit  Nathalie von Veh ist Kuratorin und arbeitet als Storyteller und Regrants Manager beim Washington Project for the Arts (WPA)

Die wichtigsten Termine

  • WPA: Washington Project for the Arts
    »Mojdeh Rezaeipour: 93 Fragments«, bis 15. 2. 2025
    wpadc.org
  • Hirshhorn Museum
    »Basquiat x Banksy«, bis 26. 10. 2025
    hirshhorn.si.edu
  • Rubell Museum
    »American Vignettes«, bis Herbst 2025
    rubellmuseum.org
  • Smithsonian Museum of American Art
    »Sightlines: Chinatown and Beyond«, bis 30. 11. 2025
    americanart.si.edu
  • Smithsonian Renwick Gallery
    »Subversive, Skilled, Sublime«, bis 5. 1. 2025
    americanart.si.edu
  • Smithsonian National Museum
    of African American History and Culture
    Dauerausstellung
    nmaahc.si.edu
  • National Gallery of Art
    »Spirit & Strength: Modern Art from Haiti«,
    bis 9. 3. 2025
    nga.gov
  • The Phillips Collection
    »Where We Meet«, bis 10. 11. 2024
    phillipscollection.org
  • Touchstone Gallery
    »A Little Beach Music«, bis 27. 10. 2024
    touchstonegallery.com

Erschienen in
LIVING 08/2024

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Maik Novotny
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