Design aus Deutschland
Deutsches Design steht für Klarheit, Funktionalität und Verantwortung. Es ist aber auch vielseitig, interdisziplinär und international. Ein kurzer Exkurs in die deutsche Designgeschichte, der den Weg von der Bauhaus-Tradition bis zur nachhaltigen Eleganz der Gegenwart nachgeht.
Deutschem Design kann man sich auf vielen Wegen nähern – einer führt über Dieter Rams. Die Designlegende wird bald 93. Wer verstehen will, was »deutsches Design« ausmacht, kommt an ihm nicht vorbei – aus mehreren Gründen. Der offensichtlichste: Von 1961 bis 1995 leitete Rams die Designabteilung bei Braun und prägte mit seinem Team ein ganzes Zeitalter technischer Gestaltung. Ob Weltempfänger, Taschenrechner oder Zitruspressen – alle eint ein reduzierter Stil mit klaren Linien und funktionaler Eleganz. »Gutes Design ist möglichst wenig Design«, sagte Rams. Seine zehn Thesen für gutes Design, entstanden in den 1970er- und 1980er-Jahren, sind bis heute Leitfaden der Kreativbranche. Beispielhaft dafür: Jonathan Ive, langjähriger Chefdesigner von Apple, der sich bei iPhone und iPod von Rams inspirieren ließ. »Ohne Rams kein iPhone« ist vielleicht jetzt eine zu steile These – aber: Die Konzentration auf das Wesentliche, die Reduktion auf Funktion und Form sind zentrale Merkmale deutschen Designs und werden/wurden international geschätzt und übernommen.
Diese Merkmale wurzeln übrigens im frühen 20. Jahrhundert. Etwa im Deutschen Werkbund, der Künstler:innen, Architekt:innen und Industrie vernetzen wollte, oder im 1919 von Walter Gropius gegründeten Bauhaus. Die Kunstschule gilt als Wiege der klassischen Moderne, in der Kunst, Handwerk und Gestaltung neu gedacht wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher und Max Bill die Hochschule für Gestaltung in Ulm. Ihr Ziel: eine demokratische, sozial verantwortliche Designkultur. Obwohl nur 15 Jahre aktiv, wirkt ihr Einfluss bis heute. Und dann erzählt da auch noch das geteilte Nachkriegsdeutschland eine Designgeschichte. Eine doppelte sozusagen, denn im Westen dominierte das industrielle Produktdesign, und in der DDR lag der Fokus auf robusten, langlebigen Gebrauchsgütern mit pragmatischer Gestaltungphilosophie.

Krimskrams. Der deutsche Jungdesigner Lukas Bazle ist u. a. als In-House-Designer bei Ikea tätig. Die Ablage »HÖNSNÄT« für Kabel ist ein Bestseller.
ikea.com

Kultstück. Die farbenfrohen »Nido«-Stühle (hier in der Stilwerk-Sonderedition) wirken zart, sind aber überraschend stabil. Ein Meisterwerk mit Charakter – stabil eben.
besau-marguerre.de
Bruchstücke
Hüben wie drüben war aber das dominierende Prinzip »Form folgt Funktion« gültig. Das wurde in der BRD der 1980er-Jahren aber zunehmend in Frage gestellt. Vor allem von einer jungen Generation von Gestalter:innen, die nach neuen Ausdrucksformen suchte. Es war der Beginn einer Umbruchphase im deutschen Design, die schließlich in der Bewegung des »Neuen Deutschen Designs« (NDG) gipfelte. Möbel und Objekte dieser Strömung waren provokant, subversiv, manchmal roh und brutal. Gefertigt aus einfachen Materialien, verstanden sie sich als Träger sozialer und politischer Botschaften – und stellten sich bewusst außerhalb industrieller Produktionslogik. Die Phase war kurz, aber intensiv. Und sie wirkte nach: auch über die Wiedervereinigung hinaus.
Obgleich in den Jahren danach Gestalter wie Konstantin Grcic oder Stefan Diez wieder zur funktionalen Gestaltung zurückfanden – allerdings mit neuen ästhetischen Ansätzen. Zugleich rückten Themen wie Nachhaltigkeit und Materialbewusstsein stärker in den Fokus. Ökologische Werkstoffe und langlebige Konzepte wurden früh zum Bestandteil im deutschen Design. Und zwar lange bevor diese Werte zum Standard in der Branche wurden.

Nachhaltig schön. Designer Philipp Hainke entwickelt im Projekt »Organico« ein neues Material aus erneuerbaren Rohstoffen – mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.
philipphainke.com

Küchengeheimnis. Für J*GAST hat das Duo Relvão-Kellermann diese Küche aus Karuun, einem innovativen
Naturmaterial aus Rattan gewonnen, designt und setzt damit neue Maßstäbe in Funktionalität, Nachhaltigkeit. relvaokellermann.com

Tischgespräch. Der Coffee Table »Elli« ist ein gemütlicher Kumpane, aus solider Eiche gefertigt und von Hanne Willmann elegant in Form gebracht.
hannewillmann.com
Interdisziplinär
Heute lässt sich deutsches Design kaum noch in eine stilistische Schublade stecken. Es ist pluralistisch, interdisziplinär und individuell geprägt. Das Hamburger Duo Besau-Marguerre etwa bewegt sich souverän zwischen Produkt- und Grafikdesign, Ausstellungsgestaltung und Interior-Styling. Designerin Hanne Willmann verfolgt einen klaren, reduzierten Stil – doch ihre Entwürfe leben von Experimentierfreude und feinem Gespür fürs Detail. Und das Münchner Studio Relvãokellermann, bestehend aus Ana Relvão und Gerhardt Kellermann, vereint Produktdesign, Raumgestaltung und Fotografie zu hochgradig interdisziplinären Lösungen.
Deutsches Design hat sich seit den Tagen des Bauhauses weit entwickelt – von funktionaler Klarheit über postmoderne Brüche bis hin zu einem global relevanten Verständnis von Gestaltung, das Nachhaltigkeit, Ästhetik und gesellschaftliche Verantwortung miteinander verbindet. Zahlreiche deutsche Designer:innen sind international etabliert und arbeiten für namhafte Unternehmen quer über den Globus verteilt. Kein Wunder also, dass Deutschland als einer der weltweit wichtigsten Designstandorte gilt. Und er zeigt sich vielfältig und vielschichtig wie nie zuvor.