Der Titel reicht. Schon poppen zwei Namen auf. Wer behauptet, bei „My Fair Lady“ nicht an Audrey Hepburn und Rex Harrison zu denken, lügt. Das könnte sich für das Publikum der Volksoper nun allerdings ändern. Denn hier schicken sich Paula Nocker und Markus Meyer an, neue Maßstäbe in der Rezeption des Musicalklassikers zu setzen. Ruth Brauer-Kvam übernimmt die Neueinstudierung des Stoffs, der erst als George Bernard Shaws Theaterstück „Pygmalion“ zum Skandal und später als Musical von Frederick Loewe und Alan J. Lerner unsterblich wurde.

Anzeige
Anzeige

Die Handlung in einem Satz: Der Sprachforscher Henry Higgins wettet mit seinem Freund Pickering, dass er aus der Blumenverkäuferin Eliza Doolittle, die ausschließlich ruppiges Cockney spricht, dank seiner linguistischen Kenntnisse und konsequenten Unterrichts eine Dame machen könne. Sozialer Aufstieg durch vornehmen Ausdruck. Was zwar gelingt, hinterlässt ob der ungleichen Privilegienverteilung und patriarchalen Schemata einen galligen Nachgeschmack.

„Mit einem großartigen Ensemble wirft Ruth Brauer-Kvam einen neuen Blick auf lieb gewonnene Konventionen und lässt

My Fair Lady‘ wieder in altem, neuem Glanz erstrahlen“, verspricht die Volksoper auf ihrer Homepage zwar Aktualitätsbezüge, wie diese genau ausschauen mögen, ist zum Zeitpunkt des Interviews allerdings noch nicht klar. Die Proben haben nämlich noch gar nicht begonnen. Lediglich Paula Nocker wurde bereits zu Gesangsstunden gebeten. Markus Meyers diesbezügliche Fähigkeiten sind am Haus hingegen bekannt, überzeugte er doch schon 2012 in der Operette „Ein Walzertraum“ auch stimmlich.

Male Gaze

„Ich liebe diese Lieder und kann es kaum erwarten, sie endlich singen zu dürfen“, gerät Paula Nocker unverzüglich in vor- freudige Begeisterung. „Das ist eines der wenigen Musicals, die ich tatsächlich oft gesehen habe, was insofern ein Segen war, als das Vorsprechen sehr kurzfristig angesetzt wurde. Ein Glück also, dass ich Musik und Text kannte. Klassiker funktionieren deshalb immer, weil sie ein relevantes Thema haben. Für Eliza geht es darum, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Etwas, was für uns alle von Bedeutung ist. Manchmal können unverhoffte Begegnungen das Leben in unbekannte Bahnen lenken. Das zu erzählen, finde ich interessant.“

Anzeige
Anzeige

Markus Meyers Zugang ist ein anderer. „Für mich war ausschlaggebend, dass ich die Figur des Higgins näher kennenlernen wollte. Ich habe das Stück noch einmal gelesen und bin draufgekommen,
dass er ein richtiges Arschloch ist. Rex Harrison habe ich charmant in Erinnerung, aber Higgins ist in Wahrheit ein Egomane oder – norddeutsch gesagt – ein fieser Möpp. Er begreift Eliza als Puppe, die er nach seinen Vorstellungen formt und dann entlässt.“

Des Sprachforschers Blick auf die der Unterschicht entstammende Blumenverkäuferin ist ein zutiefst männlicher – der feministische Fachbegriff dafür lautet Male Gaze. „Ich hoffe, dass dies auch zu Diskussionen führen wird“, so Markus Meyer. „Auf der anderen Seite bin ich Anwalt meiner Figur. Higgins ist begeistert von Elizas Fortschritten und erkennt, dass sie nicht nur sprachlich, sondern auch äußerlich eine Veränderung durchmacht. Er ist stolz, dass dieses Experiment gelingt, und sieht in ihr ein großes Talent.“

Welches im Duett „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blüh’n“ gipfelt und Higgins euphorisch resümieren lässt: „Bei Gott, jetzt hat sie’s!“ Für Higgins’ Verhältnisse, so Markus Meyer, hat er es bei aller Manipulation wahrscheinlich sogar geschafft, sie relativ sympathisch zu behandeln. Man dürfe auch nicht vergessen, dass „My Fair Lady“ sehr amüsant geschrieben sei. „Es ist böse und lustig. Ganz nebenbei fallen immens schwarzhumorige Sprüche."

Markus Meyer
Markus Meyer studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und wurde 1999 an das Berliner Ensemble engagiert. Seit 2004 gehört er dem Burgtheater an, wo er aktuell in sieben Produktionen zu sehen ist. Er ist zudem Hörspielsprecher, Filmschauspieler, Musiktheaterdarsteller und Schauspielprofessor an der MUK.

Foto: Stefan Kleinowitz

Umgekehrte Metamorphose

Eliza Doolittle spricht Cockney. Paula Nocker im Stück Wienerisch. Musste sie sich diese Sprachfärbung erst aneignen – also quasi den umgekehrten Weg ihrer Figur gehen? „Bei uns zu Hause wurde hochdeutsch gesprochen, weil meine Eltern beide Deutsche sind, und auch in der Schule sprach niemand Dialekt. Aber es gibt natürlich Nuancen, die man mitbekommt. Mir persönlich fällt es nicht schwer, weil mir der Klang des Wienerischen vertraut ist, schließlich bin ich hier zur Welt gekommen. Auch von meiner Oma, die Wienerin war, habe ich viel mitbekommen.“

Eine der Hauptfragen, die „My Fair Lady“ aufwirft, ist die, ob wir uns über unsere Herkunft oder doch eher über die Sprache definieren. Haben Paula Nocker und Markus Meyer darauf eine Antwort?

„Higgins sagt im Stück einmal, dass wir im Zeitalter der Emporkömmlinge leben würden. Menschen schafften es zwar vom Tellerwäscher zum Millionär, kämen aber mit der Sprache nicht hinterher, weshalb leicht einzuordnen sei, aus welchem Stall sie eigentlich stammten“, erörtert Markus Meyer.„Und das stimmt bis heute. Es gibt Leute, die sehr viel Geld haben, Gucci oder Prada tragen, sobald sie aber den Mund aufmachen, denkt man sich: Naja ... manchmal wäre es schon vorteilhaft, wenn man auch an der Sprache feilen würde. Andererseits könnte Hochdeutsch in Berlin-Marzahn eher hinderlich sein und vielleicht dazu führen, dass man nicht ernst genommen wird. Das wäre eher ein Argument für sprachliche Anpassungsfähigkeit.“

Higgins ist in Wahrheit ein Egomane. Oder – norddeutsch gesagt – ein fieser Möpp.

Markus Meyer, Schauspieler

Dem stimmt Paula Nocker zu.„Wenn ich bei meinen Verwandten in Deutschland bin, spreche ich nach zwei Tagen ganz anders als in Wien. Und als ich noch ein Kind war, habe ich im Urlaub in meiner Empfindung perfekt Kärntnerisch gesprochen. Auf der Heimfahrt schon nicht mehr (lacht). Gerade wenn man sich mit Menschen gut versteht, will man auch sprachlich eine Einheit mit ihnen bilden.“

Könnten sich beide vorstellen, auch in einem konventionellen – und damit tanzlastigeren – Musical aufzutreten? „Ich habe in München den Conférencier in ‚Cabaret‘ gespielt – und musste tanzen. Dabei habe ich erfahren, was Tänzer wirklich leisten“, berichtet Markus Meyer.

„Tanzen? Davor fürchte ich mich am allermeisten“, meint glaubhaft schaudernd Paula Nocker.

Hier zu den Spielterminen von My Fair Lady in der Volksoper!