Wollte er ein Zimmer aus Edelmetall, müsste er sich nur seine 70 Gold- und Platinschallplatten an die Wände hängen. 1952 im südburgenländischen Rechnitz geboren, darf die Karriere von Christian Kolonovits als steil bezeichnet werden. Und das ist noch untertrieben. 

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Der Mann produzierte nicht nur die namhaftesten Interpreten des Austropop, von Ambros und Bill bis zu Hirsch und Fendrich, er arbeitete auch mit Operngrößen wie Plácido Domingo, Elīna Garanča oder dem unsterblichen Luciano Pavarotti. Zudem komponierte er Filmmusiken, schuf Werke für das Burgtheater und die Volksoper Wien, erlangte mit seinen symphonischen Projekten wie dem VSOP oder der Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern weltweite Anerkennung und wurde mit Auszeichnungen überhäuft. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt seines Schaffens. Für andere wäre das Grund genug, ein wenig abzuheben und die Mitmenschen aus der Vogelperspektive zu betrachten. Für den mit sympathischer Zurückhaltung gesegneten Christian Kolonovits ist das alles erst der Anfang. 

Auf dem Legenden-Abstellgleis dahinzuvegetieren, würde ich mir nicht erlauben.

Christian Kolonovits

Lebende Legende

Auf die Frage, wie er sich so fühlt als lebende Legende, muss er lachen. „Das ist ein Ausdruck, mit dem ich gar nichts anfangen kann. Ich sehe mich auch nicht so, sondern habe das Gefühl, dass ich gerade erst beginne, zu arbeiten und in meinem Beruf etwas zu kapieren. Auf dem Legenden-Abstellgleis dahinzuvegetieren, würde ich mir nicht erlauben, weil mein Beruf auch keine Zeit und kein Ablaufdatum kennt. Obwohl es mich natürlich freut, dass ich für viele Dinge bemerkt wurde.“ So lässt es sich auch ausdrücken. 

All die Preise kann er heute genießen und annehmen. Wobei er sagt, dass er das erst lernen musste. „Als ich in den 1970er-Jahren meine ersten Goldenen Schallplatten bekommen habe, bin ich nicht einmal zu den Verleihungen gegangen. Ich dachte, das steht mir gar nicht zu. Das hatte mit dem Nachhall meiner Internatszeit und dem daraus resultierenden geringen Selbstwertgefühl zu tun. Ich komme aus einer geistigen Umgebung, in der man keine Preise für sich in Anspruch genommen hat. Man sollte nicht auffallen, und bei einer Ehrung fällt man naturgemäß auf. Das hat sich zum Glück geändert. Wenn sich andere freuen, mich zu ehren, freue ich mich auch.“ 

Früh gefördert

Die geistige Umgebung heißt Rechnitz, eine rund 3.000 Einwohner zählende südburgenländische Marktgemeinde, die überregionale Bekanntheit erlangte, weil hier in den letzten Kriegstagen 180 jüdi­sche Zwangsarbeiter ermordet wurden. Da sich ein Mantel ängstlichen Schweigens über das Dorf legte, konnte das Verbrechen nie aufgeklärt werden, die Gräber der Opfer sind bis heute unbekannt. Ein nicht enden wollender Horror. 

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Hier wuchs Christian Kolonovits als Sohn einer ungarischen Lehrerin und eines kroatischen Installationsunternehmers auf. Wohlbehütet und auf ungewöhnliche Weise früh gefördert. „Ich hatte einen Onkel, der ungarischer Priester war und 1956 nach Österreich geflüchtet ist. Als ich vier Jahre alt war, hat er mir das Klavierspielen beigebracht. Eigentlich war er ein besserer Organist, Geiger und Chorleiter als Priester“, erinnert sich sein ehemaliger Schüler schmunzelnd. 

Klavierunterricht im Vatikan

Jener Onkel übersiedelte schließlich in den Vatikan, und als Christian Kolono­vits mit fünf Jahren lungenkrank wurde, schickten ihn seine Eltern des milderen Klimas wegen nach Rom. „Dort bin ich ein halbes Jahr geblieben, habe die ganze Stadt kennengelernt, denn mein Onkel, der mittlerweile Chorleiter der Musica Sacra im Vatikan war, arbeitete nebenher noch als Fremdenführer. (Lacht.) Er war ein typischer ungarischer Hochstapler im Sinne von Joseph Roth, ein ganz toller Mensch.“ In der Früh musste der kleine Christian ministrieren, untertags saß er im vatikanischen Garten, abends erhielt er Klavierstunden. „Und alle zwei Wochen wurde ich von Papst Pius XII. gesegnet.“ Natürlich wurde er gesund und konnte, wieder daheim, die familiären Weihnachtsgesänge am Klavier begleiten. Der klassische Grundstein war also gelegt, und dieser Weg wurde über die Matura hinaus an der Musikhochschule beim Studium der Fächer Klavier, Cello und Komposition erfolgreich fortgesetzt. 

„In allem, was ich tue, suche ich mich im Grunde selber". Findet er ein Stück von sich, empfindet er das als Glück und Ansporn zugleich. „Die Ideen wachsen aus mir heraus, Inspiration von außen ist eher selten. Was mich aber natürlich inspiriert, sind Menschen, mit denen ich zu tun habe: Freunde, Künstler, mit denen ich über Gott und die Welt, aber auch über Handwerkliches reden kann.“ Es habe in seinem Leben eine Zeit gegeben, in der er zwar erfolgreich, aber sehr allein gewesen sei. „Niemand hat mich auf Privates oder Zwischenmenschliches angesprochen, die Leute dachten wohl, dass ich in meinem damaligen Status mit niemandem reden wollte. Vielleicht habe ich das ausgestrahlt, jedenfalls bin ich froh, dass es heute anders ist.“ 

„Antonia und der Reißteufel“ erzählt in der Volksoper Wien spannend von unheimlichen Vorgängen, bei denen Kinder ihrer Stimmen beraubt werden.

Foto: Dimo Dimov

Antonia und der Reißteufel

Christian Kolonovits hat keine Genre-­Dünkel. Er hat mit José Carreras genauso gearbeitet wie mit Seiler & Speer und den Größen des Austropop. „Das hängt damit zusammen, dass ich in erster ­Linie Musikant bin. Seit ich in meiner Kindheit die ungarische Volksmusik, von Bartók bis Kodály, kennengelernt und gespielt habe, ist mir die begriffliche Unterscheidung egal. Denn es ist definitiv gute Musik. Dieser lustvolle Zugang hat sich bei mir erhalten. Ich versuche, aus jedem Stück etwas Besonderes zu machen, wofür es schon eine gewisse musikalische Intelligenz braucht.“ 

Ist Oper dennoch die Königsdisziplin? „Wenn man konzeptuell denkt, ist sie ­natürlich die Königsdisziplin. Ich habe aber irgendwann begriffen, dass jede Form eigene Regeln aufstellt. Wenn ich mich auf 30 Sekunden Werbung einlasse, kann ich das nicht nebenbei machen, sondern brauche ein Konzept dafür. Manchmal kann dahinter eine genauso große Idee stecken wie hinter einer Oper.“ 

Am 14. Dezember feiert Christian Kolonovits an der Volksoper die Wiederaufnahme seiner Kinderoper „Antonia und der Reißteufel“, die er 2009 hier zur Uraufführung gebracht hat. Das Lib­retto stammt von Angelika Messner und handelt von Antonia, einem mutigen, klugen Mädchen, das in die Fänge des Reißteufels gerät. Dieser hält auf seinem Schloss eine Reihe von Kindern gefangen, denen er die Stimmen herausreißt, um sich dadurch mit Energie zu versorgen. 

Kindern das Wort zu verbieten führt in letzter ­Konsequenz zu Stimmverlust.

Christian Kolonovits, Musiker

Kindern eine Stimme geben

„Im Grunde ist es eine Oper, die Kindern eine Stimme gibt, Lösungen sucht und Selbstbewusstsein schafft“, erklärt der Komponist. Das Werk war vor zwölf Jahren ein enormer Erfolg und dürfte erneut ein solcher werden. „Ein Kind verliert seine Stimme, wenn ihm gesagt wird: ,Kannst du jetzt einmal den Mund halten!‘ Kindern das Wort zu verbieten führt in letzter Konsequenz zu Stimmverlust.“ Antonia, gespielt von Juliette Khalil, kämpft dagegen an und gibt nicht nur den Kindern ihre Stimmen zurück, sondern hilft auch dem Reißteufel, sein Herz wiederzuerlangen. 

„Der Reißteufel ist nicht nur der Böse, sondern auch ein Opfer. Die Geschichte hat ein paar Bögen, die Kinder offenbar faszinieren.“ Beim Happy End des Stücks rappen die Kids: „Wir werden nie mehr kuschen oder ängstlich untertauchen. Wir haben eine Stimme, und wir werden sie gebrauchen!“ Für Christian Kolonovits ist das Wichtigste an der Kraft, die von den Kindern nun wieder gespürt wird, die Stimme, „denn mit ihr kann man sich ausdrücken“. 

Die Arbeit mit jungen Künstlern beschränkt sich aber nicht nur auf die Oper. Heuer hat er zum zweiten Mal mit den Elektro-Musikern Camo & Krooked kooperiert. „Als die Anfrage kam, kannte ich sie nicht einmal. Dann habe ich mir das angehört und fand es unglaublich spannend. Da kommt wieder diese musikalische Lust ins Spiel. Meine Kunst in etwas anderem wiederzufinden, sie herzuschenken und zu schauen, was dabei herauskommt.“ 

Christian Kolonovits möchte keinesfalls auf dem „Legenden-Abstellgleis dahinvegetieren".

Foto: David Payr

Zurück nach Rechnitz

Aus aktuellem Anlass, läuft Elfriede Jelineks Stück „Rechnitz“ doch gerade in der Josefstadt. Hatte er als Kind eine Ahnung, was sich in den letzten Kriegstagen in seinem Heimatdorf zugetragen hat? 

„Nein. Ich bin als Kind fast täglich am Gasthaus Portschy vorbeigegangen. Dass Tobias Portschy stellvertretender Gauleiter der Steiermark gewesen war, wusste ich nicht. Für uns Kinder war er ein lieber alter Onkel, der uns sonntags nach der Kirche öfter ein Eis geschenkt hat. Als ich etwa dreißig war, kam ich eines Tages auf Besuch zu meinen Eltern. Von unserem Haus konnte man ins Büro des Dr. Portschy sehen, und da stand Jörg Haider. Auf meine Frage, was der Haider in Rechnitz macht, hat mir mein Vater dann alles erzählt. Bis dahin wusste ich nichts von dem, was in Rechnitz los war, ich wusste nichts von den 200 Juden, die vor dem Krieg dort gelebt hatten – und von denen eine Einzige zurückkam. Erst mit dreißig habe ich das alles erfahren. Als ich ein Kind war, lag eine Glocke des Schweigens über Rechnitz. Es gab unter den alten Nazis sogar ein Gelübde, dass diejenigen, die das Schweigen brechen wollten, mit dem Tode bedroht wurden. Zwei Menschen, die auspacken wollten, wurden tatsächlich ermordet.“ Einen von ihnen kannte auch Christian Kolonovits. 

Zur Person: Christian Kolonovits

Geboren 1952 in Rechnitz, Studium Klavier, Cello und Komposition an der Musikhochschule Wien. Maßgeblicher Produzent des Austropop, weltweit tätiger Arrangeur, Produzent und Komponist, Crossover-Pionier (Vienna Symphonic ­Orchestra Project VSOP). Er schrieb u. a. „Antonia und der Reißteufel“ und „Vivaldi – Die fünfte Jahreszeit“, für das er mit dem Deutschen Musical Theater Preis ausgezeichnet wurde. Christian Kolonovits lebt in Wien und Rotheau.

Zum aktuellen Spielplan der Wiener Volksoper