Wenn Maresi Riegner etwas von den Leuten gelernt hat, die sie schauspielerisch sehr schätzt, dann dass Lautstärke nicht automatisch etwas mit Stärke zu tun hat. Wie sie das meint, wird im Gespräch mit der jungen Schauspielerin sehr schnell hör- und spürbar. Ihre Worte wählt sie mit Bedacht aus, immer wieder durchbricht ein Lachen ihre ruhige Sprachmelodie. Auf der Bühne gibt die junge Schauspielerin ihren Figuren eine Stimme, die in ihrem ständigen Wechselspiel von Stärke und Zerbrechlichkeit so einzigartig ist, dass sie selbst aus dem turbulentesten Stimmengewirr noch heraussticht.

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Vor allem dann, wenn sie ­Rollen spielt, denen aufgrund gesellschaft­licher Normen und Restriktionen keine Stimme im öffentlichen Diskurs zugesprochen wird. So spielte Riegner während ihres letzten Studienjahres im Stück „The Miracle Worker“ am Theater der Jugend die historische Figur der taubblinden Helen Keller, die zu einer Aktivistin für Minderheiten wurde. Ihre körperbetonte Herangehensweise an die Rolle brachte ihr prompt den Nestroy-Preis in der Kategorie „Bester Nachwuchs“ ein. 

Als Schauspielerin wahrgenommen und regelmäßig für Film- und Theaterrollen gebucht zu werden bedeutet jedoch nicht, dass man als junge Frau, gerade bei größeren Produktionen, nicht um Aufmerksamkeit kämpfen muss. Für die 29-jährige Schauspielerin ist es jedoch eher ein Zeichen von Stärke, wenn man anderen Menschen ihren Raum lässt und sich nicht in den Vordergrund drängen muss. „Ich sehe es als einen Appell, ­wieder mehr zuzuhören und zu versuchen, in sich zu ruhen, bevor man die ‚Klappe‘ aufmacht. Man kann auch stark sein, wenn man nicht laut ist. Auch in Zerbrech­lichkeit liegt Stärke.“

Spielraum mit klaren Vorgaben

Gerade steckt Maresi Riegner mitten in den ­Proben für August Strindbergs „Fräulein Julie“. Ob mit einer Hauptrolle in einem so bekannten Stück nicht eine ganz schön große Portion an Verantwortung und dementsprechend viel Druck einhergeht? „In unserer Version von ‚Fräulein Julie‘ gibt es keine Hauptrolle, alle sind gleich wichtig“, antwortet die Schauspielerin fröhlich, aber bestimmt. Ihr Lachen, das ihre immer größer werdende Erzähllaune begleitet, bringt ein wenig Farbe in den regnerischen Jännertag, an dem wir uns für unser Gespräch im Burgtheater getroffen haben.

Es schüchtert mich ein, wenn alles möglich ist."

Maresi Riegner, Ensemblemitglied des Burgtheaters

Hilfreich ist, wie sie erklärt, dass sie mit Mateja Koležnik, der Regisseurin des Stückes, schon zusammengearbeitet hat. „Ich weiß also, was auf mich zukommt. Und zusätzlich hilft es auch, dass wir uns einfach sympathisch sind“, erzählt sie. In klaren Inputs der Regisseurin oder des Regisseurs findet Maresi Riegner jene Freiheit, die sie braucht, um sich auszubreiten und einer Geschichte etwas hinzuzufügen. „Wenn mir jemand sagt, dass ich einfach einmal etwas probieren oder anbieten soll, finde ich das schwierig. Ich muss spüren, welches Konzept der Regisseur oder die Regisseurin verfolgt, um daran andocken zu können. Sonst fühle ich mich schnell total verloren. Es schüchtert mich ein, wenn alles möglich ist.“ Ist der Spielraum zu groß, bekommt der Begriff – selbst im Theater­kontext – für die junge Schauspielerin schnell einen bitteren Beigeschmack. 

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Alles hat seine Berechtigung

Mit seiner positiven Herangehensweise konnte auch der amerikanische Regisseur Daniel Kramer, der bei der Burgtheater-Inszenierung von Maurice Maeter­lincks „Pelléas und Mélisande“ Regie führt, die Wienerin für sich gewinnen. „Ich fand es total er­frischend, dass er so oft gesagt hat, dass er ­Dinge ‚amazing‘ findet“, erklärt sie lachend. „Er hat mir das Gefühl ge­geben, dass im Prozess der ­Suche ­alles seine Berechtigung hat und alles erst einmal toll ist. Trotzdem weiß er ganz genau, was er will.“ Die abstrakte Traumwelt Maeterlincks nutzte ­Daniel Kramer außerdem, um Maresi Riegners Figur, ein kleiner Bub namens Yniold, neu zu deuten: „In unserem Stück ist er ein Bub, der im falschen Körper geboren wurde. Zuerst war ich ein wenig unsicher, wie das in die Geschichte hineinpasst, dann fand ich es aber immer logischer.“

Energiereserven aufteilen

Seit der Spielzeit 2019/20 gehört Maresi Riegner zum Ensemble des Burgtheaters. Beworben hat sie sich damals ganz unkompliziert per E-Mail. „Ich wollte einfach unbedingt an dieses Theater“, sagt sie, und ihre braunen Locken wippen ganz leicht im Takt ihres Sprechens mit. „Nicht nur, aber auch der Sicherheit wegen.“ Außerdem findet sie es schön, in gewisse Dinge einfach hineingepflanzt zu werden, sodass man nicht umhinkommt, sich damit auseinanderzusetzen. Der Lerneffekt, der sich daraus ergibt, sei unglaublich groß. 

Ihre Tochter hilft der Schauspielerin dabei, besser zu relativieren und mit ihren Kräften gut hauszuhalten. „Es bringt uns beiden und natürlich auch meinem Partner nichts, wenn ich mich im Beruf aufgebe, was ich in früheren Produktionen vielleicht eher getan hätte.“ Auch die emotionale Achterbahnfahrt, die sie oft durchlebt, wenn sie nach Proben und Vorstellungen wieder nach Hause kommt, ist nun sehr viel weniger ausufernd. Und wenn ihre Tochter sie irgendwann einmal fragt, ob Schauspielerei nicht ein schöner Berufswunsch wäre? „Dann werde ich sie darin auf jeden Fall unter­stützen“, meint Riegner schmunzelnd. Bei ihr war es schließlich auch so, auch wenn ihr nicht sofort klar war, in welche Richtung sie genau gehen möchte. Gefunden hat sie ihren Weg schließlich selbst und dabei immer wieder Stärke gezeigt. Ohne ständig lautstark darauf hinzuweisen.