Kollektiv DARUM: Im Geisterhaus des Zweifelns
Der Spuk ist scheinbar vorbei, doch die Nachwehen der Pandemie geistern nach wie vor durch unsere Gesellschaft. In Form von Desinformation nehmen sie zwar Gestalt an, bleiben jedoch nebulös. Genau diesem Unbehagen widmet sich nun das Kollektiv DARUM.

Foto: Apollonia T. Bitzan
„Wir machen Kunst über Dinge, die uns nachts nicht schlafen lassen“, so Kai Krösche und Victoria Halper, die zum Interview nicht nur eine große Portion Redelust, sondern auch ihre im Oktober geborene Tochter mitgebracht haben.
„Nicht im didaktischen Sinne oder mit dem unbedingten Wunsch zu verstören, sondern aus dem Antrieb heraus, offene oder bohrende Fragen in den Raum zu werfen“, präzisiert Victoria Halper das künstlerische Anliegen, das die beiden mit dem von ihnen gegründeten Kunst- und Performancekollektiv DARUM verfolgen.
„Ich sage manchmal, dass ich es schön fände, wenn man, nachdem man ein Stück von uns gesehen hat, die Welt ein bisschen weniger versteht“, ergänzt Kai Krösche lachend. Damit ist eine Sache jetzt schon klar: Anders als der Name des Kollektivs vermuten lässt, geht es DARUM nicht darum, Antworten zu liefern. Viel lieber wollen Halper und Krösche aufrütteln und beim Publikum Kanäle öffnen, die zuvor verschlossen oder verstopft waren.
„We try to be bold“, bringt es Victoria Halper auf den Punkt. Die in Toronto geborene Theatermacherin arbeitete als Regieassistentin und Videokünstlerin, bevor sie sich gemeinsam mit Kai Krösche, den sie am Landestheater Niederösterreich kennenlernte, in die freie Szene stürzte. Warum? Darum. Kai Krösche möcht ein diesem Zusammenhang noch gern Franz Kafka zitieren: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“
Arbeit auf Augenhöhe
Einen sogenannten Eisbrecher braucht es beim Interview mit Halper und Krösche im Übrigen nicht. Auf sehr offene und zugängliche Weise erzählen sie von ihrem neuen Stück „Pseudorama“, das am 13. September in der Dunkelkammer des Volkstheaters uraufgeführt wird. Das Stück, das in Zusammenarbeit mit der Rechercheplattform DOSSIER entsteht, ist eine Auseinandersetzung mit Desinformationskampagnen, Fake News und der Suche nach einer neuen Wirklichkeit.
Auch das Gefühl, abgehängt worden zu sein, spiele eine wichtige Rolle, wie Kai Krösche erläutert.
Das erst kürzlich von DOSSIER herausgebrachte Heft zum Thema Propaganda sei eine wichtige Grundlage, darüber hinaus stünden ihnen die Investigativjournalist*innen bei weiterführenden Fragen und Vertiefungen zur Seite. Und natürlich auch beim wichtigen Faktencheck. „Wir arbeiten auf Augenhöhe. Die Menschen bei DOSSIER sind wahnsinnig offen – auch für experimentellere Formen“, hält Kai Krösche fest.

Marie-Luise Stockinger: Kopfüber in den Phrasensumpf
Höchstens ein „Marstheater“ könne sein Stück aufführen, so Karl Kraus über „Die letzten Tage der Menschheit“. Dušan David Pařízek nutzt den Stoff zur Befragung unserer heutigen Welt. Marie-Luise Stockinger wirft sich kopfüber – aber niemals kopflos – hinein. Weiterlesen...
Eine analoge virtuelle Realität
Wie ein Geist schwebt über alldem die Covid-19-Pandemie. „Pseudorama“ ist auch eine Untersuchung der Spuren und Risse, die sie in der Gesellschaft hinter- lassen hat. Die Beschäftigung mit Geistern und Wiedergängern ist ohnehin et- was, das sich durch die meisten Arbeiten des Kollektivs zieht. „Wir interessieren uns für Dinge, die wiederkehren und in die Gegenwart und Zukunft hineinwirken, die einen vielleicht auch schaudern lassen und ein Gefühl des Unbehagens auslösen. Das können verlorene Utopien sein, aber auch unversöhnte Dinge, die wie Geister durch die Gesellschaft spuken“, legt Halper das Interessenspektrum des Kollektivs offen. Auch bei der zum Theatertreffen eingeladenen immersiven VR-Produktion „[EOL]. End of Life“ war das der Fall.
Bei der Frage, ob bei „Pseudorama“ erneut digitale Mittel zum Einsatz kommen, schmunzeln Halper und Krösche. „Eine zu 99 Prozent analoge virtuelle Realität“, der Arbeitsuntertitel, sei augenzwinkernd gemeint, betonen sie. „Wir möchten bei dieser Produktion alle digitalen Mittel weglassen, aber trotzdem eine virtuelle Realität erschaffen. Denn virtuell bedeutet im Grunde ja nur, dass etwas als echt empfunden wird, was de facto aber gar nicht echt ist“, so Kai Krösche.
Sound, Raum und Schauspiel werden zudem gleichwertige Rollen spielen.
Arthur Fussy entwickelt ein umfassendes Soundkonzept, die Fotografin Apollonia T. Bitzan zeichnet für den Raum verantwortlich.
„Die Idee ist, mit Blitzlichtern eine Realität anzudeuten“, so die beiden. Wie auch mit den Nachbildern, die dabei entstehen und die passenderweise auch Geisterbilder genannt werden. Ihren Anspruch, groß zu denken, Grenzen auszuloten und zu verschieben, wollen Krösche und Halper auch in einem eher intimen Raum wieder Dunkelkammer weiterhin verfolgen. Geistreich wird „Pseudorama“ auf jeden Fall. Und begeisternd sicher auch.