„Ich bin keine Jetset-Sängerin.“ Michaela Schuster sitzt in einer Probenpause für die mit Spannung erwartete Neuinszenierung der „Salome“ bestens gelaunt in ihrem favorisierten Wiener Kaffeehaus und freut sich auf die intensive Vorbereitungsphase ebenso wie auf die Aufführungen und die Zeit danach, wenn sie die Tage nützen kann, um Wien – „eine Stadt, an der ich besonders hänge“ – weiter zu erkunden. „Ich reise nicht hin und her, ich bleibe in der Stadt, in der ich arbeite“, erklärt sie ihr Credo.

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Malin Byström

„Salome“ neu: Vom Sex zum Seelen-Strip

Es geht um Obsession, Inzest, Nekrophilie und Suizid. Wie diese Themen zeitgemäß verpacken? Was tun mit dem Schleiertanz? Nach 50 Jahren wird die Jugendstil-„Salome“ eingemottet und als kinematografisches Kammerspiel neu gedacht. Die Details. Weiterlesen...

Auch gehört sie nicht zu jenen internationalen Sängerinnen, die heute eine Partie in London, morgen die nächste in Mailand und übermorgen eine dritte in Berlin absolvieren. „Das würde ich seelisch gar nicht durchstehen. Ich möchte mich auf eine Rolle konzentrieren und eine Serie abschließen, ehe ich mich auf die nächste Aufgabe konzentriere.“ Diese kluge Vorgehensweise sei auch mitverantwortlich dafür, dass sie immer noch höchsten Niveau-Anforderungen genüge. „Ich singe nicht zu viel. Meine Partien erfordern viel Kraft und Kondition, mein Fach ist extrem und dramatisch. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass es langsam bergab geht – wenn es so wäre, würde ich mir das auch eingestehen, zumindest nehme ich es mir vor. (Lacht.) Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, meine Stimme entwickelt sich sogar noch weiter, sie wächst nach unten und nach oben.“

Filmreife Biografie

Dass Michaela Schuster heute zu den wichtigsten Mezzosopranistinnen der Welt zählt und international auf allen großen Bühnen steht, verdankt sie ihrer Willenskraft. Und der Sensibilität eines Hauptschullehrers, der das Fach Musik unterrichtete. „Er entdeckte mein musikalisches Talent und hat mich ohne mein Wissen am Konservatorium in Nürnberg angemeldet. Ich konnte nicht einmal einen Bassschlüssel lesen, aber vieles nur vom Hören her nachspielen.“

Man erkannte ihre Begabung und legte ihr nahe, sich ein „früher so genanntes Mangelinstrument, das damals noch nicht so viele als Hauptfach wählten“, auszusuchen, um aufgenommen zu werden. Sie entschied sich für Oboe, „obwohl ich nicht wusste, was das ist“, aber es war zumindest kleiner als das ebenfalls zur Disposition stehende Fagott.

Die Musikerin brachte es rasch zur Meisterin und wechselte ans Salzburger Mozarteum. Das Studium noch gar nicht abgeschlossen, bekam sie bereits eine Aushilfsstelle bei den Hofer Symphonikern. Glücklich wurde sie damit nicht. „Ich saß im Orchestergraben, schaute nach oben auf die Bühne und dachte, ich sollte solistisch etwas machen. Da ich schon als Kind Theater gespielt habe und ohne Musik nicht leben konnte, war Musiktheater nur logisch.“

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Ein Jahr später wurde sie erneut am Mozarteum vorstellig, dieses Mal, um die Aufnahmeprüfung für Gesang zu absolvieren. Und auf Anhieb zu bestehen. Die Oboe musste sie indes aufgeben, da sich die unterschiedlichen Atemtechniken nicht miteinander vereinbaren ließen. Michaela Schuster studierte unter anderem bei der von ihr verehrten und kürzlich verstorbenen Helena Łazarska und schloss ihr Studium in Berlin mit Auszeichnung ab.

Dennoch fand sie zwei Jahre lang kein Engagement, lebte paradoxerweise von den Preisgeldern der Wettbewerbe, die sie reihum gewann, unterrichtete erfolgreich – und war ratlos. „Ich wollte schon aufhören und habe mir noch ein einziges Vorsingen zugestanden.“ Selbiges fand an der Oper Stuttgart unter der Intendanz von Klaus Zehelein für „Der Ring des Nibelungen“ statt. Michaela Schuster startete ihre Karriere 2002 in dieser legendär gewordenen, von vier Regisseuren realisierten Inszenierung als Fricka in „Das Rheingold“ und wurde danach mit Angeboten überhäuft.

Heute ist sie in Wagner-Partien als Kundry („Parsifal“), Sieglinde („Die Walküre“), Ortrud („Lohengrin“) oder Brangäne („Tristan und Isolde“) weltweit gefragt und lässt Richard Strauss etwa als Klytämnestra in „Elektra“ oder Amme in „Die Frau ohne Schatten“ – neben der Kundry nach eigenem Bekunden ihre persönlich und beruflich prägendste Rolle – glänzen. Sie beherrscht das italienische und französische Fach ebenso, wie ihr vielschichtiges Repertoire eindrucksvoll bestätigt, und ist als Lied- und Konzertsängerin international erfolgreich.

Ambivalente Muttergefühle

Die von ihr an der Wiener Staatsoper gesungene Herodias in „Salome“ kennt Michaela Schuster seit vielen Jahren gut. „Oft wird sie als Biest dargestellt, als kalte Frau, die nur auf Macht aus ist. Ich sehe sie aber auch als Figur, die große Angst hat, ihre Position zu verlieren. Sie ist voller Komplexe und zutiefst gekränkt vom Fanatismus, mit dem ihr Ehemann Herodes ihrer Tochter Salome nachstellt. Herodias ist eine verletzte Frau, die nicht die Stärke hatte, ihre Tochter vor Herodes zu schützen. Und das schlechte Gewissen, den Missbrauch nicht verhindert zu haben, nagt an ihr. Mir ist es wichtig, all das in der Rolle auch darzustellen. Dazu kommt noch, dass sie Probleme mit dem Älterwerden hat und Herodes keine Minute auslässt, ihr zu zeigen, wie sehr er die Jugend liebt.“

Ein zutiefst menschliches Drama im großen Ganzen dieses destruktiven Beziehungskomplexes. Richard Strauss bezeichnete die Figuren seiner kontroversiell aufgenommenen und in Wien anfänglich verbotenen Oper als „lauter perverse Leute“. Michaela Schuster findet: „Da ist etwas dran. Bei ‚Salome‘ sind alle Borderliner, das macht die Rollen auch so spannend. Man muss nur aufpassen, sie nicht als Karikaturen zu überzeichnen.“ Die sängerische Herausforderung sei einfach erklärt. „Die Kürze der Partie ist schwierig. Ich singe lieber 90 Minuten durch, da man dann stimmlich und schauspielerisch viel mehr in eine Partie eintauchen kann. Als Herodias hat man dazu nur wenige Chancen, zugleich gibt es bei ihr keine entspannten Gesangsphrasen, bei denen man sich aufwärmen kann. Man muss immer auf dem Punkt sein, weil es teilweise richtig aggressiv komponiert ist.“

Was kommt für Michaela Schuster nach „Salome“? „Zunächst in Baden-Baden die Amme in ‚Die Frau ohne Schatten‘. Dann bin ich aber auch schon wieder in Wien, um im Mai meine neue Lieblingsrolle in ‚Dialogues des Carmélites‘ an der Wiener Staatsoper zu singen.“ Das Publikum freut sich längst vor.

Zur Person: Michaela Schuster

Geboren in Fürth/Bayern, studierte sie zunächst Oboe, später Gesang, unter anderem am Mozarteum Salzburg. Heute gilt die Mezzosopranistin als herausragende Wagner- und Strauss-Interpretin, beherrscht das italienische und französische Repertoire, ist als Lied- und Konzertsängerin weltweit erfolgreich und leitet internationale Meisterklassen, wo sie Studierenden vor allem eines beibringt: „Authentizität“.

Zu den Spielterminen von „Salome“ in der Wiener Staatsoper!