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BÜHNE: Gemeinsam mit Uršulė Barto wurdest du aus 120 Bewerber*innen für Worx ausgewählt. Wie hast du reagiert?

Fritzi Wartenberg: Ich war im Zug zurück nach Wien, als ich noch am selben Tag den Anruf bekam. Das war schon eine äußerst absurde Situation. Es fiel mir unglaublich schwer, meinen Jubel zwischen schlafenden Babies und Tupperdosen-Omis zu unterdrücken. Schließlich entschied ich mich, mir im Bordbistro einen Sekt zu gönnen und die DB-Angestellte – ihrerseits zunächst eher unfreiwillig – bis nach Wien an meiner Euphorie teilhaben zu lassen.

Was schätzt du an dieser Möglichkeit besonders?

Ich empfinde es als riesiges Geschenk, mich im Rahmen dieser Residency künstlerisch ausprobieren zu dürfen. Es geht mir in diesem Jahr nicht darum, perfekte Endergebnisse zu präsentieren, sondern der eigenen kreativen Intuition nachzugehen. Immer der Nase nach! Wann hat man schon die Möglichkeit dazu? Und das auch noch mit einem hochtalentierten Team und Ensemble an meiner Seite.

Hattest du „The Writer“ schon länger am Schirm? Wie kam es dazu, dass du genau dieses Stück im Rahmen von Worx auf die Bühne bringst?

Um ehrlich zu sein, ist „The Writer“ erstmal ganz und gar durch mein Raster gefallen. Die Dramaturgie-Abteilung des BE schlug das Stück gleich zu Beginn der Residency vor, denn sie konnten es sich unter meiner Regie gut vorstellen, so hieß es. Wahrscheinlich wollte ich mich gerade deshalb zunächst Stoffen widmen, die sich um 180 Grad von „The Writer“ unterschieden. Ich befand mich sozusagen gerade in der künstlerischen Pubertät à la „Ihr könnt doch nicht wissen, was zu mir passt!“

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Schließlich musste ich mir eingestehen, dass sie mit ihrer Einschätzung goldrichtig lagen und dass dieses Stück alles mit sich bringt, wonach ich über Wochen gesucht hatte. Ein großartiger Text!

Ich denke, Kunst kann nur dort entstehen, wo nicht im Vorhinein auf ein vermarktbares Endprodukt abgezielt wird.

Fritzi Wartenberg, Regisseurin

Was findest du inhaltlich besonders reizvoll?

Die eine Hälfte meiner Antwort steckt schon in der Frage. Das symbiotische Verhältnis zwischen Inhalt und Form ist bei „The Writer“ hochbrisant. Es geht um eine Autorin, die sich an den patriarchalen und kapitalistischen Strukturen des Theaters abarbeitet. Im Zuge dessen erkennt sie, dass sie keinen revolutionär feministischen Inhalt auf die Bühne bringen kann, solange sie dabei althergebrachte Theater-Formen nutzt, die intrinsisch auf dem Prinzip von „Macht“ und „Machtlosigkeit“ basieren. Die radikale Suche nach einer neuartigen Form wird zum Inhalt ihres Stücks selbst – ja, ihres ganzen Lebens!

Das Stück erzählt viel über Machtverhältnisse am Theater. Inwiefern siehst du die aktuelle Theaterlandschaft darin widergespiegelt?

Ich denke, Kunst kann nur dort entstehen, wo nicht im Vorhinein auf ein vermarktbares Endprodukt abgezielt wird. Leider zwingen sich die perfiden Tentakel des kapitalistischen Systems immer tiefer in den Kulturbetrieb, was zu halsbrecherischen Probezeiten, unfairen Arbeitsbedingungen, Konkurrenzkampf und Leistungsdruck führt. Das ist ein wahrer Nährboden für Machtmissbrauch. In „The Writer“ geht es um eine Autorin, die sich der Frage stellen muss: Ist es überhaupt möglich, Kunst zu machen, die oppositionell ist oder subversive Gedanken zulässt, solange sie sich kapitalistischer Mechanismen bedient? Lassen sich Kunst und Kapitalismus vereinbaren? Wird Letzterer nicht immer einen Weg finden, jede Form des Widerstands zu kommerzialisieren und für seine Zwecke zu nutzen? Was sollte sich dringend noch ändern? Im Stück antwortet die Autorin auf diese Frage so: „Den Kapitalismus abschaffen und das Patriarchat stürzen.“

Das denke ich auch – nur ist das leider alles andere als leicht. Denn beides sind Systeme, die so tief in unserer Gesellschaft verankert sind, dass man sie nicht einfach aus unserer kulturellen DNA reißen kann, ohne dabei ein Trümmerfeld zu hinterlassen. Es fehlt uns nicht der Wille zu einer besseren Welt, sondern der Weg dorthin. Ich denke, wichtig ist es, offen zu bleiben und sich nicht von pauschalierenden Weltsichten hinreißen zu lassen. Ambivalenz aushalten.

Dass ein Theaterabend unterhaltsam ist, spricht ihm keineswegs seine politische und philosophische Sprengkraft ab.

Fritzi Wartenberg, Regisseurin

Ich kann mich noch gut an „Gib mir ein F“ erinnern – und die sehr undogmatische und lustige Art, wie ihr darin mit dem Thema Feminismus umgegangen seid. Inwiefern ist diese Herangehensweise für deinen Feminismus kennzeichnend?

In meiner Erfahrung hat nur diese Art, Feminismus auf die Bühne zu bringen, eine Überlebenschance. Natürlich bin auch ich oft wütend und frustriert über die Verhältnisse, aber meine Betroffenheit kommt beim Publikum nicht an. Im Gegenteil – sie wirkt meistens als Turnoff. Humor ist eine Möglichkeit, die Herzen zu öffnen und sie empfänglich zu machen. Dass ein Theaterabend unterhaltsam ist, spricht ihm keineswegs seine politische und philosophische Sprengkraft ab.

Welche Rolle spielt Humor in Ella Hicksons Stück bzw. in deiner Inszenierung?

„The Writer“ ist voller Humor. Ein sehr trockener, englischer Humor, der dem Thema Feminismus eine unglaublich komische und selbstentlarvende Ironie verleiht. Das Stück lebt vom gestochen scharfen Schlagabtausch – da müsste ich mich schon sehr blöd anstellen, wenn das nicht humorvoll wird!

Gibt es so etwas wie einen roten Faden, der sich durch deine Arbeiten zieht?

Ich beschäftige mich in meiner künstlerischen Arbeit viel mit Feminismus und Queerness. Dafür interessiere ich mich aber nicht vorrangig, weil ich eine Frau bin und queer. Sondern weil ich denke, dass hier ein Potenzial liegt – ein Werkzeug, das als Alternative zum Altbekannten dienen kann. Audre Lorde schrieb: „You cannot dismantle the master’s house with the master’s tools.“ Ich denke, sie hat recht – und „the master’s house“ ist absolut sinnbildlich für den aktuellen Zustand der allermeisten Theater.

Wann hat sich bei dir abgezeichnet, dass du Regisseurin werden möchtest?

Als ich begriffen habe, dass ich nicht unbedingt auf der Bühne stehen muss, um mich im Theater auszudrücken. Ich hatte vor meinem Studium wenig Referenzpunkte für Frauen in der Regie. Das verändert sich zum Glück gerade (und ich hoffentlich mit).

Fühlst du dich in Berlin bisher gut aufgehoben?

Berlin ist wirklich sehr gut zu mir. Ich habe mir ein kleines, aber feines Nest gebaut, in dem es sich super überwintern lässt, das Theater hat mich mit offenen Armen empfangen und meine Kolleg*innen sind inspirierende Menschen. Besser geht’s nicht.

Ein typisches „Wiener Ding“, das du in Berlin vermisst?

Soda Zitron! Die Leute wissen einfach nicht, was sie verpassen! 

Fritzi Wartenberg inszeniert am BE

Foto: Anna Breit

Zur Person: Fritzi Wartenberg

Fritzi Wartenberg wurde 1997 in Köln geboren und wuchs in Salzburg auf, wo sie das musische Gymnasium besuchte. Sowohl dort wie auch am Salzburger Landestheater und der freien Szene sammelte sie erste Bühnen- und Regieerfahrungen. Bis 2022 studierte sie Schauspielregie am Max Reinhardt Seminar. Im Rahmen von „Worx“ inszeniert sie in der Spielzeit 2022/23 am Berliner Ensemble.