Aktueller geht nicht. Wie weit kommt man mit der Kunst des Scheins? Wie beeindruckend wird charmant und eloquent zur Schau getragenes Halbwissen, wenn der, der es darbietet, in einem schönen Anzug steckt und mit seinem Charme alles und jeden umarmt? Weit, wie uns der Blick ins Jetzt beweist. Aber es ist keine Erfindung unserer Zeit, dass wir es lieben, belogen zu werden.

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Thomas Mann hat sein Werk zwischen 1910 und 1913 und 1950 bis 1954 geschrieben. Bleibt also die Erkenntnis: Blender haben immer Hochsaison. Folke Braband, ein Meister der Komödie, wird „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ für die Josefstadt inszenieren.Wie er das machen wird, hat er uns in einem Gespräch verraten.

Wer ist Felix Krull?

Ein hochtalentierter, charmanter Hochstapler. Ein Sonntagskind, das glaubt, was Besseres zu sein. Einer, der alles sein möchte, nur nicht er selbst. Einer, der hoch hinaus will und dabei der Sonne zu nahe kommt.

In welcher Zeit wird „Felix Krull“ spielen?

Es beginnt im Hier und Jetzt – das Ensemble taucht im Lauf der Inszenierung in die Geschichte, das Buch ein und damit in die Zeit, in der Thomas Mann sie angesiedelt hat. Da Thomas Mann von den ersten Ideen bis zur Fertigstellung 1954 fast fünfzig Jahre daran geschrieben hat, ist es gar nicht so einfach, diese Zeit zu fixieren. Bei uns werden es die 1920er-Jahre sein.

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Was ist das Geheimnis des Erfolgs des Stücks?

Das Geheimnis des Romans ist zum einen die sehr besondere Sprache Thomas Manns, das Verschnörkelte, Detaillierte, das Komisch-Parodistische – zum anderen natürlich die charismatische Titelfigur selbst. Man verliert sich in diesem Roman, er löst Schwindel aus, man identifiziert sich, verliebt sich in die Hauptfigur, in die Täuschung, liebt es, von ihr getäuscht zu werden.

Was reizt Sie an dem Stück?

Eben genau das – die Täuschung! Das Thema Schein und Sein, der Zauber des Theaters, das Vorspielen, das „So tun, als ob“. Das Ensemble behauptet Wahrheiten und verführt dabei das Publikum, eben wie Felix Krull. Ein Publikum, das in den meisten Fällen genau das will – verführt werden, eintauchen in eine Scheinwelt. Außerdem die Zusammenarbeit mit dem wunderbaren Ensemble der Josefstadt. Ich trat mit diesem Wunsch an die Direktion heran, und mein Wunsch wurde erhört.

Inwieweit wird das Stück neu bearbeitet?

Die Fassung stammt von Georg Schmiedleitner und der Dramaturgin Sophie Püschel, die es für das Theater Heilbronn entwickelt haben. Ich habe Georgs Inszenierung dort gesehen und mich in die Fassung, die Spielform verliebt. Sechs Krulls spielen Felix Krull und alle anderen Figuren des Romans. Das Ensemble entwickelt die Geschichte aus dem Nichts, aus dem Stand-up und taucht immer tiefer ein in die Welt des Romans. Das ziemlich unvermittelte, lapidare Ende des Buches – das ja eigentlich als Fortsetzungsgeschichte geplant war – haben die Verfasser dahingehend bearbeitet, dass es im Theaterstück auf einen Höhepunkt hinausläuft. Ob diesen auch Krull, der ja nach den Sternen greifen will, erlebt – oder eher einen tiefen Fall, werde ich hier nicht spoilern.

Alle wissen, dass es Täuschung ist, aber alle spielen das Spiel mit.

Folke Braband, Regisseur

Wie aktuell ist das Stück?

Getäuscht, gelogen und getrickst wird nach wie vor – wenn man sich die politische Landschaft anschaut, wohl mehr denn je. Wir brauchen nur selbst in den Spiegel zu schauen oder auf unsere Accounts in den üblichen verdächtigen Social-Media-Plattformen. Wir bearbeiten und botoxen unsere Profile, täuschen und blenden, zeigen uns stets glücklich und erfolgreich, dabei wissen wir alle, dass es dahinter in der Regel etwas anders aussieht.

Wann beginnt die Lüge?

Eine gute Frage. Ich unterscheide Täuschen und Lügen. Ersteres besetze ich eher positiv, Letzteres eher negativ. Solange es Täuschung ist, Vortäuschung, und niemandem schadet, ist es für mich okay, weil es etwas Spielerisches, Leichtes, Unbeschwertes hat. Es gibt Täuschungen, die ich für moralisch absolut vertretbar halte – zum Beispiel, wenn ein Arzt einem todgeweihten Patienten Hoffnung macht, obwohl er weiß, dass es keine gibt.

Aber sobald durch Lügen Verletzung hinzukommt, sobald ich mir damit einen Vorteil verschaffe und gleichzeitig anderen schade, hört für mich der Spaß auf. Eine sehr komplexe Frage, denn wer weiß, ob ich unter Folter nicht auch lügen würde, um mein eigenes Leben zu retten und ein anderes dafür zu opfern. Aber die Frage war ja zum Glück nicht, ob eine Lüge okay ist, sondern wann diese beginnt. Kurz gesagt: wenn ich anderen damit ernsthaft schade.

Muss man immer die Wahrheit sagen?

Ein hehrer Anspruch. Das wäre natürlich schön, wenn wir das täten. Die Welt sähe sicher anders aus – nur, befürchte ich, nicht wirklich besser. Zum Wahrheit-Sagen gehört auch, dass mein Gegenüber die Wahrheit aushalten kann. Die Wahrheit ist nicht immer schön, im Gegenteil – sie kann brutal und sehr verletzend sein.

Man sollte aber aufrichtig sein, Probleme, die einen bewegen, persönlich klären und nicht über Dritte. Bei der Gelegenheit: Es wäre schön, wenn wir alle, unsere Gesellschaft, nicht ganz so dünnhäutig, sondern wieder ein wenig resilienter werden könnten. Wieder mehr miteinander reden, andere Meinungen zulassen. Trotz aller Differenzen weniger Mauern bauen – ein größeres Miteinander wagen. Ich hoffe sehr, dass wir diese Chance nicht schon verpasst haben.

Geht persönliche Strahlkraft ohne die eine oder andere Lüge?

Es gibt Menschen, die haben es einfach, das gewisse Etwas. Die Atmosphäre verändert sich, sobald dieser Mensch den Raum betritt. Alle Augenpaare richten sich nur auf diese eine auratische Person. Das hat natürlich auch etwas mit dem Aussehen zu tun, aber in erster Linie mit Charme und Ausstrahlung, mit Esprit.

Lügner sind selten charmant, Täuscher, Hochstapler schon eher. Sobald ich die Lüge hinter der Person erkenne, hat diese Person für mich schon an Ausstrahlung verloren. Felix Krull ist für mich kein notorischer Lügner. Oft genug trifft er auf Menschen, denen er die Wahrheit sagt, die sich aber trotzdem von ihm täuschen lassen wollen.

Claudius von Stolzmann
Claudius von Stolzmann ist Felix Krull. Mit ihm auf der Bühne: Roman Schmelzer, Susa Meyer, Martin Niedermair, Markus Kofler. Ein Traum-Ensemble, wie Regisseur Braband sagt.

Foto: Lukas Gansterer

Ist Lüge nicht viel sexyer als die fade Wahrheit? Oder anders gesagt: Kann man ohne Lüge überhaupt erfolgreich sein?

Lüge ist überhaupt nicht sexy, Charme ist sexy. Und was das Thema Erfolg ohne Lüge angeht, müssen wir uns doch nur die erfolgreichsten, mächtigsten Männer der Welt ansehen. Lügen scheint zu helfen, um ganz nach oben zu kommen. Ich glaube zwar, dass man auch ohne Lüge erfolgreich sein kann – allerdings wird man ohne diese nicht ganz, ganz oben mitspielen können, mit den Jungs, die für ihren Erfolg, ihre Macht über Leichen gehen. Aber wer will das schon?

Gibt es überhaupt Wahrheit im Zusammenleben, oder wollen wir nicht lieber die Lüge leben und hören, weil sie spannender ist?

Wahrheit im Sinne von Aufrichtigkeit macht für mich ein funktionierendes Zusammenleben überhaupt erst aus. Das heißt nicht, dass ich jede Kleinigkeit, jedes Problem brühwarm auf den Tisch packen muss. Ich bin ein Befürworter der Notlüge. Viele Dinge lösen sich auch unausgesprochen auf. In einer Lüge leben funktioniert nur, wenn alle Beteiligten wissen, dass es eine Lüge ist. Im Theater und im Kino lassen wir uns nur zu gerne täuschen. Wir lieben es, in Geschichten einzutauchen, von denen wir wissen, dass diese nur „künstlich“ sind. Diese Kunst muss allerdings sehr gut gemacht sein – sobald ich die Absicht erkenne, bin ich verstimmt.

Wie viel ist Komödie und wie viel ist Tragödie an dem Stück?

„Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ sind vor allem verdammt gute Unterhaltung. Und das ist auch mein Anspruch an die Inszenierung. Zu einer guten Geschichte, zumal zu einer Lebensgeschichte, gehört immer beides, Komödie und Tragödie. Und natürlich erlebt auch Felix Krull seine Schicksalsschläge. Die Art und Weise, wie er mit diesen umgeht, ist sicher weniger tieftraurig als positiv nach vorne denkend. Er ist ein Sonnenschein, ein Optimist mit sehr viel Esprit – und das soll sich auch in der Inszenierung zeigen.

Musical VBW

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Was kann Thomas Mann, was andere nicht können?

Was er sicher sehr viel besser kann als andere, ist der Umgang mit Sprache. Niemand schreibt solche kunstvollen Sätze, beschreibt Dinge so präzise wie Thomas Mann. Und auch in der Vortäuschung seiner echten Gefühle muss er ja ein wahrer Meister gewesen sein – ein immer wiederkehrendes Thema in seinen Romanen. Womit wir wieder beim Stichwort Täuschung bei Felix Krull wären.

Wenn man gut und empathisch lügt, kann man alles erreichen – stimmt das?

Ich glaube, gut und empathisch zu lügen, schließt sich gegenseitig aus. Wer gut lügt, ist meistens nicht empathisch. Wer empathisch ist, wird in den seltensten Fällen ein guter Lügner sein. Ich hoffe allerdings, dass der oben erwähnte empathische Arzt gegenüber dem todgeweihten Patienten gut gelogen hat ...

Sie gelten als Meister der Komödie – wie wichtig sind bei Felix Krull diese Werkzeuge?

Sprechen wir von der Person oder von der Inszenierung? Für die Inszenierung gilt, dass die bewährten Werkzeuge Timing, Tempo, Präzision, Musikalität und Darsteller, die ihr Handwerk verstehen, greifen. Dafür habe ich ein großartiges Ensemble: Claudius von Stolzmann, Silvia Meisterle, Roman Schmelzer, Susa Meyer, Martin Niedermair und Markus Kofler, mit denen allen ich schon erfolgreich zusammengearbeitet habe.

Ich habe ein riesiges Vertrauen in dieses großartige Team und sie, glaube ich, auch in mich. Dieses gegenseitige Vertrauen ist essenziell für die Arbeit am „Krull“. Da wird viel erfunden, ausprobiert, weggeschmissen, neu gefunden, wieder ausprobiert. Der „Krull“ verlangt nach einer sehr eigenen Form. Alle müssen blitzschnell von der einen Figur in die nächste wechseln, egal welchen Alters oder Geschlechts.

Dafür braucht man ein virtuoses, spielfreudiges, integres Team, das gemeinsam an einem Strang zieht und Bock auf dieses Abenteuer hat–und das haben wir! Was die Person Felix Krull betrifft, so ist auch er ein Meister der Komödie. Ein guter Komödiant muss mit seinem Charme, seiner Eleganz, seinem virtuosen Spiel die Herzen des Publikums gewinnen. Nichts anderes macht Felix Krull.

Für die Inszenierung gilt: Timing, Tempo, Präzision und großartige Darsteller.

Folke Braband, Regisseur

Ist Felix Krull ein Narzisst?

Ich sag mal ja. Er ist auf jeden Fall jemand, der von sich und seiner Ausstrahlung sehr überzeugt ist. Im Roman entdeckt er schon sehr früh „... dass ich aus edlerem Stoffe gebildet oder, wie man zu sagen pflegt, aus feinerem Holz geschnitzt war als meinesgleichen“. Für mich ist er aber vor allem ein Spieler, ein Träumer, einer, der vor der Realität flieht, indem er eigene Realitäten erfindet. Einer, der, wie Max Reinhardt über sich selbst sagt, sein ganzes Leben damit verbringt, seine Träume zu verwirklichen.

Liegt die Lüge, seine manipulativen Fähigkeiten, sein Charme, begründet in seinem schwachen Selbstbild?

Felix,„der Glückliche“,der Name ist schon mal Programm. Er ist die Projektion dessen, was die anderen in ihm sehen. Felix wird von klein auf mit der Täuschung konfrontiert und nimmt sich dieser selbst an. „Er hat einen Kostümkopf“, ruft ihm sein Pate Schimmelpreester entgegen. Obwohl der Bankrott vor der Tür steht, feiert seine Familie rauschende Feste. Felix wird Zeuge dieses Schauspiels und wird selbst ein begnadeter Schauspieler. Alle wissen, dass es Täuschung ist, aber sie alle spielen das Spiel mit. Er ist eine Art Heilsbringer, der sich schon früh von seinem wahren Ich verabschiedet, um ganz viele und sehr unterschiedliche Rollen zu spielen. Ich denke, er mag seine Figuren lieber als sich selbst.

Felix Krull entwickelt sich im Lauf des Stücks nicht. Er bleibt in seiner Selbstzufriedenheit immer er selbst, weder der Familienbankrott noch der Selbstmord des Vaters verändern ihn. Das ist doch ein zutiefst glücklicher Charakterzug – ein Vorbild, oder?

Ich finde schon, dass er sich entwickelt. Jeder Rückschlag spornt ihn an. Er strebt nach Höherem und benutzt dafür jede Bühne, jede Rolle, die sich ihm bietet. Er scheint mit sich und seinen multiplen Persönlichkeiten glücklich zu sein.Wenn er unglücklich wäre, würde er es sicher nicht zeigen.

Auch wenn ich als Regisseur und Autor mich ebenfalls liebend gerne in meinen Geschichten verliere und mich der oft grauen Realität entziehe, vorbildlich finde ich sein Verhalten eher nicht. Ich mag ihn, er unterhält mich blendend, aber ich möchte nicht mit ihm tauschen. Ich finde es eher bedauernswert, so wenig bei sich selbst zu sein – bin mir aber sicher, dass irgendeine der vielen Persönlichkeiten Felix Krulls das ganz anders sieht.

Felix Krull ist blind gegenüber Veränderungen in der Welt außerhalb seines Radius – ist das nicht etwas, was ihn sehr heutig macht?

Großes Thema. Was ist heutig? Es gibt so viele Bewegungen, Gruppen oder, um im Thema zu bleiben, „Bubbles“, die heutig sind, sich für heutig halten. Natürlich auch die, die sich mit den Veränderungen in der Welt, sei es politischer, gesellschaftlicher oder umweltschützender Art, auseinandersetzen. Felix Krull ist das alles nicht. Er gehört zu denen, die vor allem Wert auf das eigene Ich, auf Selbstoptimierung legen – und diese Blase ist ja nun auch nicht gerade klein.

Hier zu den Spielterminen von Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull im Theater in der Josefstadt!