Es sei ein Stück, bei dem einem hin und wieder das Lachen im Hals stecken bleibt, sagt Jan Philipp Gloger über die Tragikomödie „Die Nebenwirkungen“, die er als deutschsprachige Erstaufführung am Burgtheater inszeniert. Es ist sein Debüt im großen Theatertanker am Ring. Das offene Lachen, das seine Ausführungen über den Text des US-amerikanischen Autors begleitet, lässt jedoch Zweifel darüber aufkommen, dass der Theatermacher weiß, wie es sich anfühlt, wenn es einem herzhaften Lacher nicht gelingt, sich den Weg nach draußen zu bahnen.

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Natürlich ist die Sache jedoch viel komplexer und Jonathan Spectors Stück – wie Gloger mit der für ihn typischen Eloquenz erklärt – definitiv eines, das einen ebenso humorvollen wie kritischen Blick auf unsere Gegenwart wirft. „Am wichtigsten ist mir, dass ein Stück Relevanz besitzt. Ich möchte keine Geschichten erzählen, die nicht mit unserer gegenwärtigen Gesellschaft in Berührung kommen“, findet der Regisseur klare Worte.

Womit wir schon mitten in Spectors 2018 in Berkeley uraufgeführtem Stück sind, das in einer progressiven Privatschule spielt, deren oberstes Ziel es ist, dass sich alle Schüler*innen gleichermaßen gehört und gesehen fühlen. Als es nach dem Ausbruch einer Mumps-Epidemie zu einer Impfpflicht kommt, bekommt das basisdemokratische Fundament der Schule jedoch plötzlich erhebliche Risse.

„Mir ist es wichtig, zu betonen, dass es kein Stück über Corona ist. Die kollektiven Erfahrungen der letzten Jahre haben einige Themen im Stück zwar verschärft, im Grunde geht es jedoch um Fragen wie: Wie funktioniert Demokratie? Wie gelingt es uns, in unserer immer sensibler und wacher werdenden Gesellschaft gemeinsam Entscheidungen zu treffen? Aber auch: Haben wir diesen reflektierten Umgang miteinander, den ich sehr begrüßenswert finde, schon verinnerlicht, oder werden wir unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht?“, so der Regisseur, der zum Zeitpunkt unseres Gesprächs mitten in den Proben steckt – mit einem Ensemble, das er sich, wie er voller Tatendrang anmerkt, „besser nicht vorstellen könnte“.

Nach einer kurzen Pause setzt er nach: „Ich finde, dass die Figuren in dem Stück ihren Ansprüchen auf grandiose Weise nicht gerecht werden. Man ist zwar sehr berührt von ihnen, sieht ihnen aber auch dabei zu, wie sie glorios scheitern – und das macht immer total viel Spaß.“

Alle haben recht

Jedoch auf eine Art und Weise, die nachdenklich macht, ohne dass sich diese Gedankengänge wie ein zu heiß gewaschener Rollkragenpulli um die eigene Kehle legen. „Dieses Stück weist zwei wichtige Tugenden eines well-made play auf: Die eine ist, dass nicht die Figuren lustig sind, sondern die Situationen. Und die andere ist, dass im Grunde alle recht haben. Von Dieter Dorn habe ich gelernt, dass es ein großes Qualitätsmerkmal eines Stückes ist, wenn man sich auf keine Seite schlagen kann“, bringt es Gloger auf den Punkt.

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Eine klare Haltung zu haben sei als Theatermacher dennoch unerlässlich, ergänzt er. „Ich unterstütze es total, dass wir als Gesellschaft sensibler mit bestimmten Themen umgehen wollen – darauf achte ich auch in meinen Positionen als Regisseur und Schauspieldirektor –, glaube aber, dass diese Prozesse gut gemanagt werden müssen, damit weder Druck noch Angst entstehen.“

Mit einer gewissen Selbstironie und Distanz zu sich selbst in die Inszenierung zu kommen sei gut, sagt Jan Philipp Gloger lachend. Weil das im Theater immer gut ist. „Theater ist nicht immer nur Nähe. Für mich ist es eher ein ständiges Oszillieren zwischen Auslieferung, Identifikation und Distanz. Allerdings halte ich es für wichtig, dabei stets berührbar zu bleiben und nicht im eigenen Zynismus zu erstarren“, erläutert Gloger, der nicht nur Sprechtheater, sondern auch Opern inszeniert.

Jan Philipp Gloger Nebenwirkungen

Foto: Lukas Gansterer

An der Volksoper zum Beispiel, wo er die Operette „Die Dubarry“ auf die Bühne brachte, die auch in dieser Spielzeit wieder zu sehen sein wird. Von Komponisten wie Mozart, Richard Strauss und Rossini – „von den guten Theatermachern unter den Komponisten“ –, die für ihn auch radikale Erneuerer waren, hat er viel fürs Sprechtheater gelernt.

Über Gießen, eine der Städte, in der er studiert hat, sagte er einmal: „Gießen ist eine Stadt zum Sterben.“ Ein Satz, den man aufgrund ihrer vielbetonten Morbidität eher der österreichischen Hauptstadt zuordnen würde. Doch Jan Philipp Gloger winkt ab. „Wien ist schon seit Jahren eine meiner Lieblingsstädte. Die Stadt hat eine permanent anwesende Seele und eine Gemütlichkeit, die mir sehr zusagt.“

Wie auch eine besondere Fähigkeit, über die eigenen Abgründe zu lachen. Womit wir wieder bei dem Stück „Die Nebenwirkungen“ wären.