BÜHNE: Wie sind Sie auf Fronte Vacuo aufmerksam geworden?

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Kay Voges: Marco Donnarumma und ich sind uns erstmals 2019 auf der Veranstaltungsreihe „Staging the Digital Age“ des Goethe-­Instituts in Peking begegnet. Er war nicht nur Teil der Performance „Alia: Zu tài“, sondern sprach auch über das Aufeinandertreffen von Körpern, Robotik und Machine Learning in den performativen Künsten. Wir sind in Kontakt geblieben, er hat dann beim „Enjoy Complexity“-Festival anlässlich der Gründung der Akademie für Theater und Digitalität seine Arbeit „Amygdala“ in Dortmund gezeigt – später kam der gemeinsame Wunsch auf, auch in Wien am Volkstheater zusammenzuarbeiten.

In welcher Weise ist so eine zweijährige Zusammenarbeit auch für das Haus und das Ensemble eine Bereicherung?

Die langfristige Zusammenarbeit mit Künstlerkollektiven wie Fronte Vacuo ermöglicht es uns, unseren theatralen Horizont zu erweitern, voneinander zu lernen und gemeinsam zu wachsen. Fronte Vacuo als Künstler*innen am Haus zu haben ist ein ganz besonderes Geschenk. Ihre „Humane Methods“-Saga eröffnet unserem Publikum neue, intensive und immersive Welten, die direkt das Herz unserer Zeit treffen.

Die Residency von Fronte Vacuo verstehe ich auch als Bekenntnis zu einem Theater, das keine Lust mehr auf strikte Grenzen zwischen den einzelnen Kunst­formen hat. Liege ich damit richtig?

Theater lebt als zeitgenössische Kunstform, in der Abend für Abend Künstler*innen und Zuschauer*innen Erlebnisräume miteinander teilen, Zeitgenoss*innen für Zeitgenoss*innen Welten kreieren. Der theatrale Baukasten an Mitteln und Möglichkeiten befindet sich dabei in ständiger Erweiterung – sowohl was Narrationen, Techniken, Technologien als auch Mitwirkende betrifft. Schon in Dortmund haben wir mit Software-Ingenieur*innen, Journalist*innen und Expert*innen aus verschiedenen performativen und wissenschaftlichen Bereichen zusammengearbeitet. In Wien bringen Fronte Vacuo nun sehr viele verschiedene Expertisen in die Welt des Volkstheaters, was sie als Kollektiv sehr besonders macht. Sie arbeiten mit Robotik, Machine Learning und KI-Algorithmen, interaktiven Sound- und Videosystemen, aber auch mit lebenden Organismen wie Zellen, Bakterien und Pflanzen, untersuchen algo­rithmische Gesellschaften, erforschen Körper, Technologien und Politik, denken Live-Kunst und soziales Experiment zusammen.

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Das Theater ist ja die Live-Kunst schlechthin. Warum ist eine Allianz von Mensch und Maschine für das Theater trotzdem sinnvoll?

Die Interaktion mit Algorithmen ist – wissentlich oder unwissentlich – für ­viele Menschen längst stetiger Teil des Alltags. Algorithmen schlagen uns beispielsweise den kürzesten Weg von A nach B vor, Produkte zum Kaufen, Filme zum Schauen und Artikel zum Lesen – und sie sammeln Daten, unter anderem, um unsere Vorlieben herauszufinden und diese zu nutzen. Viele Informationen aus dem Teil der Welt, an dem wir durch unsere Smartphones und Computer teilnehmen, sind von Algorithmen vorgefiltert. Das kann man hilfreich-gut oder beängstigend-manipulativ finden – oder beides. Wenn wir über das Mensch-Sein im 21. Jahrhundert nachdenken – und hier über das Ich im digitalen Zeitalter –, kann eine der möglichen theatralen Metho­diken sein, performativ die Schnittstellen von Mensch und Maschine zu untersuchen und das Unsichtbare sichtbarer zu machen, indem man zum Beispiel Algorithmen und Technologie zu Mitwirkenden auf der Bühne macht.

Zur Person: Kay Voges

ist seit der Spielzeit ’20/21 Künstlerischer Direktor des Volkstheaters. Zuvor war er zehn Jahre lang Intendant des Schauspiels Dortmund. Er ist für sein genreüber­greifendes Theaterverständnis bekannt.