Am Ende ist alles immer ganz einfach.

Maria Happel ist mit Andrea Sawatzki befreundet (sie haben ein paar Filme miteinander gedreht), die wiederum ist mit Christian Berkel verheiratet, und so kam es, dass Happel und Berkel zusammensaßen und plauderten.

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Happel (liebevoll lächelnd): Glaubst du, dass man Wedekinds „Frühlings Erwachen“ heute noch machen kann?

Berkel (nachdenklich): Ja, das denke ich schon ...

Happel (Lächeln wird breiter): Hättest du Lust, Regie zu führen?

Berkel (ungläubig, aber freudig überrascht): Vorsicht, ich bin auf der Ebene verführbar.

Happel (schaut Berkel direkt in die Augen): Ich meine es wirklich ernst!

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Wenn Sie denken, wir leiden an überbordender Fantasie – nebbich. So (oder fast so) soll es sich laut Christian Berkel zugetragen haben. „Ich habe dann um zwei Tage Bedenkzeit gebeten, um das Stück wirklich nochmals zu lesen, und dabei habe ich Feuer gefangen und gesagt: Das mache ich sehr, sehr gerne. Zu dem Zeitpunkt war ich mir noch gar nicht bewusst, dass es sich um Reichenau handelt, sondern ich habe geglaubt, Maria will, dass ich mit Reinhardt-Seminarist*innen arbeiten soll.“ Christian Berkel lächelt. Jetzt kommt also der Charakterkopf des deutschen Kinos und Fernsehens in das 2.573 Einwohner*innen zählende Reichenau – dank der Spontaneität und Schläue der neuen Prinzipalin. Jener Mann, der seinen ersten Film unter der Regie von Ingmar Bergman gedreht hat und bei einem Dutzend richtig großer internationaler Kinoproduktionen vor der Kamera gestanden ist.

Ein bisserl Muffensausen

Wedekinds Drama über Pubertät, Sexualität, starre bürgerliche Moralvorstellungen und eine Erwachsenenwelt, die Jugendliche nicht ernst nimmt und das 130 Jahre nach seinem Entstehen noch immer aktuell ist. „Ja, in dem Werk ist wirklich alles drinnen. Wedekind hat all diese Themen wahnsinnig gut beobachtet. Der junge Mensch kann im Gegensatz zu späteren Lebenskrisen auf keine Erfahrungen zurückgreifen, die einen durch diese Tiefen bringen. Wenn dann Erwachsene kommen und sagen: „Das überlebst du schon“, dann glaubt man denen nicht.

Dazu die Schamgefühle, die daraus resultierende Todesangst. Das sind alles dermaßen heftige Emotionen, und das Ganze ist in ein heute noch immer existierendes Schweigen verpackt. Das Furchtbare ist, dass wir, was den Umgang mit Emotionen betrifft, eigentlich noch immer Analphabeten sind.“ Ist das so? Sexualität ist doch mittlerweile immer und überall abrufbar? Christian Berkel: „Sexualität findet sehr früh statt. Aber es ist kein Thema, denn die Gefühle, die dazugehören, wer- den eher vermieden. Die Reizüberflutung führt – so glaube ich – zu einem Verdrängungsmechanismus. Es gibt 14-Jährige, die sagen, wenn man sie fragt, ob sie in ihre Sexpartner verliebt sind: ‚Wieso? Nein. War aber schön, macht doch Spaß.‘“

Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, schicke ihm deine Pläne.

Christian Berkel

Es ist eine Freude, Teil von Berkels Überlegungen zu sein. Die Produktion wird übrigens sein spätes Regiedebüt. Kriegt man Muffensausen, wenn man als Regieneuling mit so einem Knüller konfrontiert ist – immerhin hat bei der Uraufführung Max Reinhardt Regie geführt?

„Na ja, seit Reinhardt gab es ja auch noch ein paar andere Kapazunder (lacht). Ich habe immer Ängste im Vorfeld einer Produktion, aber in dem Moment, in dem ich die Bühne oder den Drehort betrete, ist die Angst weg. Ich habe bislang einen Riesenspaß an der Vorbereitung: die Gespräche über Kostüme, Bühnenbild und mit allen Schauspieler*innen. Das fühlt sich alles, sehr, sehr gut an.“

Intensiv hat Berkel sich mit dem Text auseinandergesetzt. Er hat Gesprächsprotokolle von Freud und Wedekind gefunden. Vielleicht werden diese eingearbeitet in das Stück. Er überlegt noch. Die Premiere ist ja noch weit. Aber man darf sich jetzt schon freuen, denn trotz der schweren Themen des Stücks wird Berkel Wedekinds Humor am Leben erhalten. „Er war vom französischen Kabarett beeinflusst, der Zirkuswelt. Daher werden wir in dieser Traum- und Albtraumwelt suchen, und die Arena-Situation in Reichenau kommt dieser Idee sehr entgegen.“

Berkel ist ein kluger, gebildeter und auch launiger Gesprächspartner. Als wir wollen, dass er uns mehr verrät, sagt er nur: „Sie kennen doch den jüdischen Satz: Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann schick ihm deine Pläne. Aber eine Kleinigkeit sage ich: Wir werden die Zirkussituation nutzen.“ Viele Interviews hat Berkel in seiner langen Kino- und TV-Karriere gegeben. In einem hat er erzählt, dass sein Bett im Badezimmer steht.

Echt jetzt?

Berkel lacht: „Es ist ein Bett, nicht unseres. Der Raum war einfach so groß, da haben wir ein Bett hineingestellt, und seither ist es für mich nicht nur ein Bad, sondern auch ein Ort zum Textlernen und Träumen und der Raum, in dem ich mich am meisten aufhalte.“

Zu den Spielterminen der Festspiele in Reichenau!