Also sprach George Bernard Shaw: „Wenn etwas witzig ist, untersuche ich es sorgfältig auf die verborgene Wahrheit.“ Mit Political Correctness ist jedenfalls nicht zu spaßen. Schreiben Sie es keinem Lockdown-Lagerkoller zu, wenn ich mich dem Thema dennoch nicht ganz humorfrei zuwende; betrachten Sie es als experimentelle Umkehrung von Shaws Satz. „Wenn etwas wahr ist, untersuche ich es sorgfältig auf den verborgenen Witz.“

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Dass mein Name von der Bühne des Burgtheaters erscholl, verdanke ich ­Michael Niavarani. Ob ich ihm wirklich zu Dank verpflichtet bin? Ich glaube, er wollte sich eher von einer überaus unkorrekten Pointe reinigen, indem er sie mir zuschrieb: „Diesen Witz hat mir der Christoph Wagner-Trenkwitz erzählt: Was ist der Unterschied zwischen Asiaten und Rassismus? Der Rassismus hat viele Gesichter.“

Koloniale „Traditionen“ kritisch hinterfragen

Nein, Rassismus ist kein Spaß, „Black­facing“ zu Recht tabu (was sich nur noch nicht bis zu unseren lieben kleinen Sternsingern durchgesprochen hat), „Yellow­facing“ zur Darstellung von Asiaten ebenso unerfreulich. Kreative Regisseure und Regisseurinnen (wie unlängst Lotte de Beer in ihrer Pariser „Aida“-Inszenierung) finden Wege, um koloniale „Traditionen“ nicht unkritisch weiterzugeben.

Doch erinnere ich mich an Zeiten, als ein Othello selbstverständlich durch intensive Gesichtsschminke kenntlich gemacht wurde. Gert Voss in George Taboris legendärer Inszenierung von Shakespeares Tragödie am Akademietheater gab die Farbe sogar an Jago (Ignaz Kirchner) weiter – welch krasses Bild dafür, dass der Außenseiter seinen Peiniger „ansteckt“. Und Elisabeth Sobotka, damals Chef­disponentin der Wie­ner Staatsoper, gab, als Plácido Domingo während einer „Otello“-Vorstellung schwächelte, den Maskenbildnern den Befehl, die Zweitbesetzung bühnenreif zu machen: „Malts eam an!“

Gert Voss, der Gigant des Theaters, mit intensiver Gesichtsschminke in der Rolle des Othello in der Inszenierung von George Tabori am Wiener ­Akademietheater 1990.

Foto: SZ Foto

Helmuth Lohners spannende Lösung

Nicht nur Verdi, auch Gioachino ­Rossini hat einen „Otello“ komponiert. In der Rossini-Biografie von Herbert Weinstock findet sich der prägnante Satz: „Sowohl Giuditta Pasta als auch Maria Malibran haben sich an der Rolle des Otello versucht, da sie Desdemona zu blass fanden.“

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„People of Color“ haben unseligerweise oft Personen zweifelhaften Charakters vorzustellen, wie etwa in Mozarts „Zauber­flöte“. Helmuth Lohner fand in seiner Volksopern-Inszenierung aber eine spannende Lösung: Er ließ Sarastro von dem südafrikanischen Bass Kaiser Nkosi singen; der „böse Mohr“ Mono­statos versuchte, sich durch Blackfacing beim Chef beliebt zu machen.

Political Correctness und Hinterfragen von Sprache

In den 1950er-Jahren kannte die Wie­ner Staatsoper noch keine Jahresspielpläne, Besetzungen wurden wöchentlich angeschlagen. Karl Terkal bangte jeder „Zauberflöten“-Vorstellung entgegen. Ob er wohl endlich den Prinzen Tamino singen dürfte? Überliefert ist Terkals wütender Aufschrei, als er sich wieder als Monostatos aufgeschrieben sah: „Na geh, i mog net scho wieder den N**** spün!“ Diese Reaktion war allerdings gewiss nicht rassistisch, sondern nur durch Ehrgeiz nach der männlichen Hauptrolle motiviert.

Auch der Begriff „Zigeuner“ ist längst verpönt und durch „Sinti“ bzw. „Roma“ ersetzt. Wenn wir es genau nehmen (und dazu hält uns die Political Correctness ja an), haben wir aber auch die Verpflichtung, die Bezeichnungen zu gendern: Sinti und Sintize (Einzahl: Sinto und Sintiza) sowie Roma und Romnija (Einzahl: Rom und Romni).

Ich wollte einmal den genauen Wortlaut von Antonin Dvořáks berühmtem Lied „Když mne stará matka“ ergründen. So, wie die alte Mutter stets weinen musste, als sie ihrem Kindlein das Lied vortrug, ist die nunmehr erwachsene Frau ihrerseits in Tränen, wenn sie Roma­kinder („cigánské děti“) das Stück singen hört. Ein Übersetzungsprogramm erkühnte sich, „cigánské děti“ als „cigar kids“ auszugeben. Rauchen ist Minderjährigen jedenfalls untersagt, mindestens so sehr wie Z**** sagen …

Volksgruppe als Bühnen­kolorit

Allzu viele Musiktheaterwerke präsentieren uns die Volksgruppe als singen­den oder tanzenden Teil des Bühnen­kolorits („La traviata“ und „Carmen“ sind die populärsten Beispiele). In einigen ­Operetten ist der Name sogar Titelbestandteil, etwa im Johann Strauss’schen „Zigeunerbaron“, der trotz herrlicher Musik eher selten auf den Spielplänen aufscheint. Im Gespräch mit einem Regisseur, der meinte: „Das kann man heute nicht mehr spielen, ‚Zigeuner‘ ist einfach verboten“, replizierte der kaufmännische Geschäftsführer der Volksoper: „Bei uns ist der Baron verboten.“

Weitere (musikalisch prachtvolle, allerdings sprachlich prekäre) Beispiele sind Kálmáns „Zigeunerprimas“ und Lehárs „Zigeunerliebe“. Bei einer Produktion der Letzteren durfte ich vor einigen Jahren in der Sommerarena Baden mitwirken. Und war bass erstaunt, als mir ein Kolle­ge als Toi-toi-toi-Präsent ein ­Packerl … „Zigeunerräder“ auf den Garderobentisch legte – er hatte sie rechtmäßig im Supermarkt erworben …

Christoph Wagner-Trenkwitz
Zur Person: Christoph Wagner-Trenkwitz ist Dramaturg, Musikwissenschafter, Buchautor und legendärer Opernball-Kommentator. Er war Intendant in Haag und ist seit 2009 Chefdramaturg an der Volksoper in Wien. Für die Bühne schreibt er monatlich eine Kolumne.

Foto: Peter Strobl

Zur Person: Christoph Wagner-Trenkwitz

Alter: 58 Jahre
Wohnort: Wien 
Biografie: Dramaturg, Musik­wissenschaftler, ­Buchautor (und legendärer Opernball-Kommentator). Er ist Intendant der Operette Langenlois und seit 2009 Chefdramaturg an der Volksoper in Wien.

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