Der Weg nach oben dauert

In der Wiener Staatsoper sind die Lifte Bummelzüge. Zu klein, sehr langsam, und sie bleiben brav in jedem Stockwerk stehen. Die Tür öffnet sich. Menschen schauen rein. Sehen, es ist voll, man grüßt kurz und zuckelt weiter. Wenn man also in den sechsten Stock zum Orgelsaal fährt, in dem gerade die neue „Verkaufte Braut“ geprobt wird, geht sich ein längeres Gespräch über die ganz persönlichen Zugänge zu Smetanas Meisterwerk entspannt aus.

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Die Oper als Gamechanger

„Die ‚Verkaufte Braut‘ war die erste Oper, für die ich mich freiwillig angestellt habe. Camilla Nylund hat damals in Hannover die Mařenka gesungen. Ich hatte ein Schülerticket, saß in der ersten Reihe und hatte nach der Ouvertüre einen Puls von 180 – und seitdem hat mich das Stück nicht mehr losgelassen“, sagt Dirk Schmeding, der Regisseur des Stücks.

„Ich war sechzehn oder siebzehn Jahre alt, noch nie in der Oper gewesen und hatte vor, Ärztin zu werden. Aber dann sah ich im slowakischen Nationaltheater ‚Die verkaufte Braut‘, und schon bei den ersten Takten war etwas in mir, das ich nie vergessen werde: Es hat mich tief berührt – gesanglich und musikalisch. Dieses Theater, die Komik, das Spiel. Ich werde mein ganzes Leben lang dieses Gefühl nicht mehr vergessen!

Es war auch der Moment, in dem ich beschlossen habe, Sängerin zu werden. Es war der Moment, in dem ich verstanden habe, wie schön es sein kann, etwas darzustellen und dazu Musik zu machen. Ich war angetan davon, wie man sich einerseits als Sänger in alles verwandeln und andererseits ein Publikum mit Musik begeistern kann. Plötzlich wusste ich: So wie die Mitwirkenden an diesem Abend mich innerlich berührten, wollte ich ebenso einem Publikum große Gefühle vermitteln“, sagt Slávka Zámečníková, die die Rolle der Mařenka singen wird.

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Sie lacht und setzt nach: „Wenn ich diese Oper höre, habe ich das Gefühl, dass ich wieder in meiner Kindheit bin. Ich höre die Melodien der Filme, der Volksmusik. Smetanas Musik hat ihren ganz eigenen Zauber, nach zwei Sekunden spüre ich diesen Geschmack, der mich an meine Heimat erinnert.“

Slávka Zámečníková
Lasst die Sopranistin einfach mal machen. Slávka Zámečníková ist eine der schönsten Stimmen der Jetztzeit und ein Publikumsliebling in Wien. Sie singt die Hauptrolle in „Die verkaufte Braut“. Für die BÜHNE haben wir sie mit den Requisiten der Oper spielen lassen.

Foto: Lukas Gansterer

Wenn der Lift „bing“ macht

Wir sind nun endlich im sechsten Stock angelangt. „Jööö“, ruft Fotograf Lukas Gansterer, als er die Requisiten sieht. Lauter Bubenträume: eine Puch Maxi, das Moped, mit dem in den 1980er-Jahren halb Österreich herumgefahren ist; eine riesige Krentube, die vermutlich jeder in seinem Kühlschrank hat; überdimensionale Kuscheltiere.

Alles und alle werden Teil der Neuinszenierung (den Inhalt finden Sie rechts oben). Regisseur Dirk Schmeding:

„Diese Geschichte, die im Mikrokosmos des Dorfes spielt, ist im Grunde nur ein Vergrößerungsglas – ein Biotop für menschliche Schwächen und Bösartigkeiten. Gleichzeitig ist sie aber auch eine Komödie, die uns etwas beibringen kann: aus der Distanz des Lachens und der Leichtigkeit heraus auf die Schlechtigkeit der Menschen zu schauen. Ja, das ist der Witz.“

Sturzbetankung am Dorf

Und schon sind wir wieder bei der Ouvertüre. Regisseur Schmeding rückt sein Kapperl zurecht und nickt: „Es wird im Vorspiel ja schon fast alles gesagt. Es beschreibt die Hoffnung im Ausnahmezustand, im Rausch, im Taumeln. Die Routine des täglichen Lebens wird aufgebrochen. Es wird Kirchweih gefeiert. Es fließt Alkohol – es ist eine Sturzbetankung. Und in diesem Taumel und in dieser ganzen Wildheit und Dynamik des Festes gehen die Figuren teilweise verloren – das ist das Erste, was uns aufgefallen ist. Natürlich kennt in dem Dorf jeder jeden und weiß, wer gerade mit wem ins Bett steigt – aber dennoch hat man das Gefühl, diese Figuren verpassen sich. Suchen sich. Es werden viele Menschen auf der Bühne sein – es wird wild und sehr dynamisch.“

Dirk Schmeding lacht und erklärt: „Smetana war ein sehr schlauer und weiser Menschenbeobachter und hat all das brillant musikalisch verarbeitet. Wer die Augen schließt, erkennt sofort, welcher Charakter auf der Bühne steht – so genau ist die Instrumentalisierung gesetzt.“

Dirk Schmeding
Einmal Vollgas ohne Gas. Das Moped ist eine Legende. Regisseur Dirk Schmeding auf der alten Puch, die auch fährt, wenn man nur tritt. Sie wird Teil der Inszenierung – „eines Dorfes, das irgendwo zwischen den Zeiten hängengeblieben ist, abgeschnitten von den Trends“.

Foto: Lukas Gansterer

Die Sache mit der Sprache

Gesungen wird übrigens in Deutsch. Die Namen der handelnden Personen bleiben tschechisch. Es gibt eine bis ins kleinste Details ausufernde Diskussion unter Opernfreunden, was denn die bessere Version sei. Wir kürzen etwas ab. Im Fall der aktuellen Produktion hat Susanne Felicitas Wolf die Bühnenfassung von Carl Riha und Winfried Höntsch, die in den 1960er-Jahren in der DDR entstanden ist, ein wenig geputzt. Das ist eine exzellente Nachricht. Denn Wolf kann nahezu alles, und das auch immer erfolgreich: Theaterstücke, Dramatisierungen, Libretti, Lieder. Vom Sommertheater bis hin zu Soloprojekten – Wolf liefert.

Schmeding: „Das ist genau unser Spektrum, in dem sich das Stück bewegt. Vom leichtesten, fluffigsten, fast nichtigen Sommertheater bis hin zur wirklich großen, echten Dramatik.“

Schmeding macht eine Pause, trinkt aus seiner Wasserflasche und ergänzt:

„Es war keine Entscheidung gegen das Tschechische, sondern vielmehr eine für eine bessere Verständlichkeit. Dazu kommt: Smetana hatte ja eine komplett deutsche Schulbildung genossen, und seine ganze Korrespondenz war auf Deutsch.

Die Oper war der Versuch, die tschechische Sprache zu feiern. Aber man merkt am Original, dass im Tschechischen sehr oft Sand im Getriebe war. Unter anderem aus diesem Grund haben wir uns für unsere Zugangsweise entschieden. Es geht wie gesagt auch ums Verstehen. Das ist gerade bei einem komödiantischen Text besonders wichtig, weil er sich so besser aufs Publikum überträgt, und wir wollten diesen schlichten, direkten Ton des Originals möglichst sauber erzeugen. Damit knüpfen wir auch ein wenig an die Haustradition an.“

Denn erst in Wien wurde „Die verkaufte Braut“ zum Welthit. Die Premiere war es nicht – und das war nicht zuletzt am Wetter gelegen.

Slávka Zámečníková
Slávka Zámečníková und eine Tube Kren. Wir befinden uns hier im Orgelsaal der Wiener Staatsoper im sechsten Stock. Die Orgel sehen Sie im Hintergrund.

Foto: Lukas Gansterer

Hitzewelle killt Smetana-Premiere

Die Uraufführung der „Verkauften Braut“ fand am 30. Mai 1866 im Prager Interimstheater statt. Komödienlaune hatte damals kaum jemand, denn der Krieg zwischen Preußen und Österreich stand kurz bevor. Zudem herrschte eine Hitzewelle. Keine guten Voraussetzungen für den Start von Smetanas komischer Oper in drei Akten, nach dem Libretto von Karel Sabina. Letzterer soll später gesagt haben: „Hätte ich gewusst, wie erfolgreich die Oper wird, hätte ich mich mehr angestrengt.“

Die ersten Aufführungsserien in Prag waren nicht gerade erfolgreich und auch schlecht besucht. Smetana veränderte später immer wieder einige Strukturen im Werk, bis schließlich vier Fassungen existierten. Die deutsche Übersetzung aus dem Tschechischen besorgte Max Kalbeck.

In dieser stellenweise sehr freien Fassung hatte „Die verkaufte Braut“ 1893 in Wien schließlich Erfolg. Die Oper trat einen internationalen Siegeszug an und wurde auch ins Englische, Italienische und Russische übersetzt. Und damit sind wir wieder im Heute.

Publikumsliebling Slávka Zámečníková, die bekanntlich die Hauptrolle verkörpert, startet als gebürtige Slowakin mittlerweile auch international durch – obwohl sie erst 2021 aus dem Opernstudio in Berlin ins Ensemble der Wiener Staatsoper engagiert wurde. Von da an ging es aber Schlag auf Schlag.

Alex Balga

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Die Frau – das Bühnenbild

Jetzt wird sie eine Frau spielen, die man verkaufen will und die sich doch nicht verkaufen lässt.

Zámečníková lacht: „Wir befinden uns gerade am dritten Probentag, und es ist ein Rollendebüt. Ich lasse mir bei neuen Rollen immer viel Weißraum und fülle diesen dann nach und nach, je mehr ich in den Proben von dem Charakter erfahre. Wenn ich die Noten lese, dann ist Mařenka einerseits stur, sehr stark, sehr selbstbewusst, aber dann auch wieder sehr verloren. Ich freue mich gerade sehr auf den Probenprozess, wo ich das herausfinden darf.“

Eine Aussage, die auch dem Regisseur sehr zu gefallen scheint.

Dirk Schmeding dreht jetzt auf dem Puch-Moped seine Runden. Man kann das Ding auch ohne Motor, nur mit Pedalantrieb fahren. „Mařenka ist eine junge Frau, die sich in den verschiedensten Rollen ausprobiert. Sie kennt sich noch nicht, sie hat noch kein inneres Zentrum. Sie hat einen Trotzkopf, den sie von ihrer Mutter geerbt hat. Und sie ist eine totale Kämpferin“, sagt er.

„Das ist ein Punkt, den wir herausarbeiten werden. Aber Mařenka darf in vielen Momenten alles Mögliche sein: sehr offen und sehr verletzlich, vor allem in ihrer großen Arie im dritten Akt.“

Komödie ist, aus der Distanz des Lachens auf die Schlechtigkeit der Menschen zu schauen.

Dirk Schmeding, Regisseur

Die Sache mit dem Kren

Im Plaudern hätten wir jetzt fast drauf vergessen: Warum eigentlich das Puch-Moped und die Krentube? Schmeding lacht: „Wir wollten keinen nasenbohrenden Bauernrealismus, sondern liebevoll-ironisch auf diese Dorfgesellschaft schauen, inklusive einiger traumhafter Ausflüge, in denen die Theaterzeichen ein wenig zu irrlichtern beginnen.“

Hier zu den Spielterminen von "Die verkaufte Braut" in der Staatsoper!