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Zehn Spitzen zur Kunst

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Kunst
Kultur

Rang- und Bestenlisten sind ein beliebtes Spiel auf dem Kunstmarkt. Ein praktisches Bewertungsinstrument und Richtungsmesser in Sachen Preise und Trends. Solches bleibt diesmal außen vor. Von Gerhard Richter, Brigitte Kowanz, Alex Katz oder Maria Lassnig: Bei unseren zehn besten Kreativen der letzten zehn Jahre soll die Kunst ganz Kunst bleiben, ohne Quote, dafür mit Bedeutung und Qualität.

Kunst wird erst sichtbar, wenn es Licht gibt. Licht war das elementare Instrument von Brigitte Kowanz. In ihren Lichtspuren, in ihren raumgreifenden Lichtinstallationen kodierte sie ihre -Botschaften und faszinierte, berührte sinnlich, erweiterte das Bewusstsein vielfältig. Dem neu gestalteten Parlament setzt die Arbeit »Die Ausrufung der Republik 12. 11. 1918« ein Kunstlicht auf, bei der Biennale in Venedig 2017 war sie im Österreich-Pavillon präsent.

Klar wie ein Schlagschatten sind die Umrisse, die die Gemälde von Alex Katz prägen. Cool ist das Licht, das sie ausleuchtet. Vor allem seine Porträts von Künstler:innen, Freund:innen, Familie, in denen er die Atmosphäre von Kunstszene, Freizeit, wohlsitu-ierter Unbeschwertheit einfängt, aber auch seine breitformatigen Landschaften machten ihn zu einem der prägendsten und konsequentesten Maler der letzten Jahrzehnte. 

Protest und Aufarbeitung

»FUCK« hingegen hing 2022 in Leuchtlettern in der Albertina-Modern-Retrospektive für Ai Weiwei. Bekannt wurde er, als er gegen das chinesische Regime protestierte, das ihn prompt einsperren und erst nach Jahren -ausreisen ließ. Ai Weiwei arbeitet mit starken Bildern, mit Farbe, installativ, assembliert Vorgefundenes. Was harmlos scheint, hat meist ernsten Hintergrund, hinterfragt -Systeme, setzt sich für Menschenrechte ein, behält Haltung, selbst wenn Ai Weiwei längst Kunstsuperstar ist. 

Die Magierin des Lichts Brigitte Kowanz (1957–2022), in Wien geboren, durchleuchtete kunstvoll die Welt, ließ Licht-fontänen von Turmspitzen stürzen oder übersetze Morsezeichen in Licht (Bild).

© Trend W. Wolak/ News Verlagsgruppe

Der Purist des Schönen  Alex Katz, 1927 in New York geboren, ging mit seiner gegenständlichen Kunst einen kompromisslosen, nicht immer leichten Weg. Heute zählt er zu den wichtigsten US-Künstlern und begeistert mit Großformaten zwischen Modern Realism und Pop Art.

© Ali Smith/ picturedesk

Der Kunst-Dissident Ai Weiwei, 1957 in Peking geboren, wurde als Kind mit seinem Vater aus der Heimat verbannt, kehrte später nach China zurück, wurde jahrelang eingesperrt und konnte 2015 ausreisen. Für Rom, wo er »Turandot« inszenierte, schuf er 2022 »The Human Comedy« (Bild). 

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Die Spinnenfrau Louise Bourgeois, 1911 in Paris geboren, ging 1938 nach New York und war eine der ersten Frauen, die installativ arbeiteten. Sie wurde erst wenige Jahrzehnte vor ihrem Tod (2010) erkannt. Ruhm erlangte sie für ihre Zellen und riesigen Spinnen.

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Für Louise Bourgeois wiederum war die Aufarbeitung ihrer Gefühle aus Kindheit und Pubertät großes Lebensthema. Neben klaustro­phobischen »Zellen« ist es vor allem die »Maman« genannte Spinne, die ihr Werk motivisch beherrscht. Sie erinnert an ihre Mutter, die einer Spinnerin gleich als Restauratorin die Gewebe von Tapisserien erneuerte. Zugleich ist das unermüdliche Spinnen auch tröstliches Signal, das Leben fortzuschreiben. 

Inspiration für alle sinne

Das Leben in all seinen Facetten und vor allem mit allen Sinnen feiert die Kunst von Hermann Nitsch. Schon früh entwickelte er das »Orgien Mysterien Theater«, das Zen­trum seines sich bis zu seinem Tod im April letzten Jahres immer weiterentwickelnden Schaffens. Ein letztes theatrales Zeichen ­setzte er mit Wagners »Walküre« 2021 für die Bayreuther Festspiele. Die imposante Ausstellung auf der Giudecca in Venedig im ­letzten Sommer erlebte er nicht mehr. 

Himmel, Sterne und Mond sind Themen, die Fotograf Wolfgang Tillmans in seinem Repertoire zeigt. Aber bei Weitem nicht nur. Tillmans, der auch selbst Musik macht, wurde mit seinen Bildern aus Club- und Jugendkultur berühmt. Immer noch fotografiert er am Puls der Zeit, ohne sich selbst ins Spiel zu drängen, und bleibt dennoch erkennbar.

Cindy Sherman ist nicht immer zu identi­fizieren, wenn sie sich auf ihren Fotos selbst inszeniert. Sie switcht durch Identitäten und Geschlechter und Rollen, aufgedrängt durch Vorbilder und Klischees aus Social ­Media, Film, TV und Printmedien. In ihrer kritischen Hinterfragung stellt Sherman diese medialen Pervertierungen humorvoll bloß. 

Das Finale gilt der Malerei. Während auf der Biennale 2022 rührig an einer Frauenkunstgeschichte der Welt gestrickt wurde, zeigte Marlene Dumas mit famosem Pinselstrich in Venedigs Palazzo Grassi souverän auf. In ihren kraftvollen, drallen, doch auch lyrisch grundgestimmten Gemälden dekliniert Dumas das pralle Leben durch, Liebe, Erotik, Sex, Gewalt, Tod, Politik. Das Selbst, das eigene Körpergefühl war wiederum Zentrum im Werk der Maria ­Lassnig. Aus ihrem Ich kommunizierte sie malerisch nach außen, mit Themen wie Tod, Liebe, Vergänglichkeit, Krieg, kurz: »Ich male die Summe meiner Zustände.« 

Gerhard Richter ist dann der Grandseigneur der Malerzunft, seit stolzen 19 Jahren an der Spitze des »Kunstkompass«-Rankings. Zu Recht: Er ist Meister aller Klassen, aller Stile, von gegenständlich bis abstrakt, höchstbezahlt und doch immer bescheiden. »Irgendwann ist eben Ende«, hat er 2020 seinen Pinsel weggelegt. Doch Sätze wie dieser bleiben: »Kunst ist die höchste Form von Hoffnung.«

Der große Aktionist Hermann Nitsch (1938–2022) zählt zu den Mitbegründern des Wiener Aktionismus. Berühmt wurde er für sein »Orgien Mysterien Theater« und seine Schüttbilder, die in dem ihm gewidmeten Museum in Mistelbach im Weinviertel ausgestellt werden.

© Nitsch Museum

Der scharfe Blick  Wolfgang Tillmans, Jahrgang 1968, stammt aus Remscheid, lebt in London und zählt zu den wichtigsten Fotokünstlern. 2000 erhielt er den Turner-Preis, hatte Ausstellungen in der Tate Modern genauso wie im New Yorker MoMA – und 2021 im Wiener mumok.

© Maureen Paley

Die Rollenbildnerin  Cynthia »Cindy« Morris Sherman, 1954 in New Jersey geboren, ist ein wahres Kunst-Chamäleon. Für ihre Fotoserien schlüpft sie in die verschiedensten Masken und Rollen, um Identitäten zu hinterfragen.

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Der große Pinselstrich Marlene Dumas wurde 1953 in Kapstadt geboren und ging 1977 nach Amsterdam. Von hier aus eroberte sie die Kunstwelt. Sie begeisterte etwa mit Ausstellungen im Stedelijk Museum, Amsterdam, in der Tate Modern, London, der Fondation Beyeler und zuletzt im Palazzo Grassi in Venedig.

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Die Grande Dame der Malerei Maria Lassnig wurde 1919 in Kappel, Kärnten, geboren. An der Seite von Arnulf Rainer war sie Mitbegründerin des österreichischen Informel. Erst spät wurde sie selbst als eine der bedeutendsten -Malerinnen der Gegenwart gewürdigt. Im Jahr ihres Todes, 2014, widmete ihr das MoMA in New York eine Einzelausstellung.

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Der Weltmeister Gerhard Richter wurde 1932 in Dresden, in der späteren DDR, geboren. 1961 floh er nach Westberlin, wo er zur großen Leitfigur der zeitgenössischen Malerei wurde. Von 1971 bis 1993 lehrte er an der Kunstakademie Düsseldorf. Inzwischen hat er zu malen aufgehört, aber seine Arbeiten erzielen immer noch Höchstpreise.

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Erschienen in
LIVING Jubiläumsausgabe

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Stefan Musil
Print-Redakteur
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