Glanz und Gloria: Wie Designer:innen Licht neu denken
Neues Lichtdesign sprengt Grenzen, wird zur Skulptur und verändert Räume radikal. Formen, Materialien und Technologien verschmelzen zu leuchtenden Statements einer neuen Wohnästhetik. Wie renommierte Designer:innen das Licht denken und was unsere Räume künftig erhellen wird.
Wenn sich Glas, Metall und Textilien im Raum versammeln und das Licht die Regie übernimmt, stellt sich Lampenfieber im besten Sinne ein. Aus Leuchten werden Charakterdarsteller, die das Schauspiel aus Hell und Dunkel, aus Form und Funktion zu einer präzise inszenierten Aufführung machen. Zwischen Schatten und Glanz entscheidet sich dann, wie ein Raum empfunden wird: Ein einziger Lichtstrahl kann eine kühle Fläche in eine warme Offenbarung verwandeln, eine Form zum Leben erwecken oder einen Teil des Raumes ins Nichts zurückfallen lassen. Für die international renommierte niederländische Designerin Sabine Marcelis ist Licht weit mehr als ein technisches Mittel: »Licht ist für mich zu einem ›immateriellen Material‹ im Design geworden. Es ist ein Medium, das, obwohl physisch nicht greifbar, eine enorme Kraft besitzt, unsere Wahrnehmung und das Erleben von Räumen zu prägen.« Bei ihren Entwürfen sucht sie geradezu nach solchen Augenblicken des Staunens, die nur durch Licht möglich werden. »Ohne Licht gibt es nichts. Es ist der Auslöser, der mir erlaubt, mit Materialien zu spielen – mit Diffusion, Brechung, Transparenz und Schatten.« Ob Glas, Harz, Marmor, Metall oder Textilien – Marcelis erforscht, wie sich das Licht darin finden und hervorlocken lässt, »durch Lampen, Blitze oder Reflexionen«. Besonders fasziniert ist sie von Neon: »Es ist Licht, das seine eigene Form hat. Nicht etwas, das man verstecken muss, sondern das man als eigenständige, schöne Erscheinung inszenieren kann.«

Sein und Schein
Mit »Mirage Inverted« verwandelt Designerin Sabine Marcelis Milchglas, Spiegel und LED in ein schwebendes Spiel aus Reflexion und Licht – halb Objekt, halb Illusion. sabinemarcelis.com
»Licht löst Momente des Staunens aus. Es lässt mich mit Materialien –mit Diffusion, Transparenz und Schatten –spielen.«
Auch Andreas Klug, Co-Gründer des Designbüros von Vasku & Klug sowie Kreativdirektor beim Leuchtenhersteller Preciosa, denkt in solchen Dimensionen: »Licht besitzt eine ganz besondere, fast poetische Qualität, weil es mehr ist als reine Beleuchtung – es erzeugt Atmosphäre und verleiht Räumen eine eigene Stimmung.« Licht habe die Kraft, Räume zu verändern: »Es kann architektonische Strukturen hervorheben, Weite schaffen oder intime Bereiche definieren. Darüber hinaus spricht es uns emotional an – es weckt Erinnerungen, beeinflusst unsere Stimmung und schafft eine unmittelbare Verbindung zum Raum.«
Seine Arbeit bewegt sich zwischen Tradition und Hightech. Preciosa verbindet jahrhundertealtes böhmisches Glashandwerk mit digitaler Lichttechnik. »Dazu gehören dynamische Lichtsteuerungen, die Verknüpfung mit Sensoren sowie die Kombination von Licht und anderen Technologien. Oft bilden menschlich-soziale Momente die Grundlage, an die wir anknüpfen, zum Beispiel Umarmungen, Bewegungen, das Synchronisieren von Musik mit Licht oder das Erfassen von Tönen und Geräuschen, wie etwa das Anstoßen von Gläsern.« Ziel sei es, »auf spielerisch-explorative Weise Menschen zu inspirieren, zu berühren und zum Mitmachen zu animieren«.

Leuchtende Manifeste
Preciosa Lighting verwandelt in Crystal Valley böhmisches Glashandwerk in zeitgenössische Designkunst und schafft einzigartige Skulpturen aus Licht.
preciosa.com
»Gelingt es uns, den Betrachter emotional zu erreichen, werden Lichterlebnisse durch Gefühle zu bleibenden Erinnerungen.«
Skulpturales im Trend
Ein Schlüsselbegriff bei Klug ist Skulpturalität, also genau das, was den derzeitigen Trend im Beleuchtungssektor markiert. Zwischen funktionaler Beleuchtung und dekorativer Gestaltung erstreckt sich ein breites Feld, in dem beides ineinanderfließt: »Kronleuchter waren schon immer Symbole dekorativer Gestaltung, für reine Ausleuchtung hätte ein Kerzenhalter gereicht. Daran hat sich wenig geändert, lediglich Techniken und Stile haben sich gewandelt. Menschen wollen nicht in kargen, perfekt ausgeleuchteten Umgebungen leben, sondern suchen das Persönliche, Verspielte, Dekorierte – etwas, das natürlicher wirkt und eine warme Atmosphäre schaff«, so Klug. Diese Betrachtungsweise spiegelt sich in vielen Neuheiten wider und prägt aktuell jüngste Debatten und Präsentationen in der Fachwelt. Leuchten werden zunehmend als autonome Kunstwerke entworfen, als skulpturale Objekte, die auch im ausgeschalteten Zustand wirken. Technische Innovationen und neue Materialien erweitern dabei die Ausdrucksmöglichkeiten: Glas wird stärker strukturiert, Metall plastischer geformt, Textilien transluzent verflochten. Naturstoffe wie Holz oder Stein treten hinzu, oft mit Fokus auf Nachhaltigkeit und in Kombination mit Hightech-Lichtquellen, um Wärme und Modernität zugleich zu erzeugen.
Räumliche Wahrnehmung
Auf der Euroluce 2025 wurde diese Entwicklung greifbar. Sou Fujimotos »The Forest of Space« schuf mit vertikal gestaffelten Kiefernholz-Elementen eine Bühne für biophiles Design. Kaoru Mende zeigte, wie der Wechsel von Licht und Schatten die räumliche Wahrnehmung vertieft, Patrick Rimoux verwandelte mit fließenden Farbtemperaturen die Fassaden historischer Bauten in lebendige Oberflächen.
Besonders eindrücklich sind kinetische Installationen wie die von DRIFT, bei denen Bewegung und Licht verschmelzen, um Räume zu rhythmisieren und Energien fühlbar zu machen. Marjan van Aubels solarbetriebenes »Sunne« wiederum veranschaulicht, wie sich Tageslichtverläufe technisch präzise und zugleich poetisch einfangen lassen.
Aber auch abseits von Euroluce setzt man im skulpturalen Segment neue Maßstäbe: Barovier bringt venezianische Glastradition in fast organische Leuchtenkörper, die wie in Bewegung wirken. Mit »Webb« wurde ein modulares System aus hexagonalen Kristallelementen mit Rugiada (»Tau«-)Textur erschaffen, die das Licht streuen und frei konfigurierbar wie Sterne durch den Raum wandern lassen. Occhio schärft seine skulpturale Präsenz mit »colors by Occhio« in 18 Farbtönen und verleiht mit Dark-Chrome seiner ikonischen »Mito«-Serie erstmals ein High-Gloss-Finish. Orion beeindruckt durch filigrane Metallstrukturen, die den Raum grafisch gliedern, und Tom Dixon markiert das zehnjährige Jubiläum von »MELT« mit neuen Ausführungen in Bronze und Dichroic – reflektierende, amorphe Schirme als Statement zwischen Kunstobjekt und Lichtquelle.

»Melt« in Feierlaune
Zum zehnjährigen Jubiläum schuf Tom Dixon neue Varianten in Bronze und Dichroic als glanzvolle, amorphe Schirme zwischen Kunstobjekt und Lichtquelle.
tomdixon.net

Supernova-Effekt
Mit »Lunanova« lässt Occhio Licht wie Sterne schweben und verwandelt den Kronleuchter in ein magisches Spektakel.
occhio.com
Neue Dimensionen
Massimo Brigandì, General Manager von Contardi Lighting, beschreibt den Paradigmenwechsel so: »Der Beleuchtungssektor hat durch LEDs und smarte Systeme die Art, Licht zu denken, revolutioniert. Es ist nicht mehr vorrangig funktional, sondern integraler Teil von Architektur und Interior.« Ein gutes Projekt sei jenes, »das Funktionalität, Atmosphäre und Ästhetik ins Gleichgewicht bringt, das den Raum optimiert, die Architektur begleitet und visuelle Identität schafft«.
Klug sieht darin auch eine ökologische Dimension: »Materialentwicklungen entstehen stets aus zwei Richtungen: Einerseits aus den Stilen und Wünschen der Märkte und Kund:innen, andererseits aus ökologisch-nachhaltigen Bestrebungen. Unser Team investiert viel Zeit und Energie in die Erprobung neuer, umweltschonender Materialien und Technologien.«
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass skulpturales Lichtdesign heute eine eigenständige Disziplin ist – zwischen Kunst, Handwerk und Technologie. »Licht kann jedes Projekt zum Leben erwecken«, so Marcelis. Vermutlich liegt darin das Geheimnis seiner Faszination: Licht macht Gewünschtes sichtbar, während es anderes verbergen kann. Es kreiert emotionale Momente, wird zum Ausdruck einer Haltung und oft zum Kunstwerk. Aber, wie Klug es entsprechend klug formuliert: »Mit Licht und Design können wir nur Anregungen geben und Suggestionen schaffen. Zum eigentlichen Erlebnis wird es erst durch den Betrachter selbst.«

Aus Glas wird Poesie
Mit »Hanami« erschafft Barovier & Toso ein schwebendes Lichtkunstwerk aus Murano-Glas, das dem Raum skulpturale Strahlkraft verleiht.
barovier.com

Im Goldfieber
Funktionaler Chic: Die 120 Zenti-meter lange »Carrara« von Orion kombiniert dimmbares LED-Down- und Uplight mit höhenverstellbarem Ring.
orionleuchten.at