Renaissance der Atriumhäuser: Diese Projekte zeigen, wie man traditionelle Konzepte neu interpretiert
Sie schaffen ein Spiel aus Licht und Schatten, aus Offenheit und Intimität, das die Sinne anspricht und Ruhe in den Alltag bringt. Atriumhäuser gab es schon in der Antike. Heute werden sie von den Architekt:innen wiederentdeckt – als erbauliche Interpretationen von Tradition im zeitgenössischen Design.
Als eine Art wohnliche Introvertiertheit beschreibt Architekt Marek Štěpán das von ihm konzipierte Atriumhaus. »Es schafft eine geschützte innere Wohnlandschaft mit viel Licht und frischer Luft, gleichzeitig ermöglicht es Durchblicke in die Umgebung.« Den Schwerpunkt des kürzlich ausgezeichneten Architekturjuwels bildet das Atrium – eine Bauform, die ihren Ursprung bereits in der Antike hat. »Angelehnt an die Historie wollte ich eine innere Anordnung schaffen, in der sich Menschen natürlich bewegen können, in der sie wie Fische im Wasser schwimmen. Ein rundum entspanntes Wohnen, bei dem man unterbewusst weiß, wo sich alles befindet.« Was moderne Atriumhäuser von ihren architektonischen Ahnen unterscheidet, sind die Säulen. Denn die fehlen heute. Und auch die Nutzung der Räume ist eine andere. Während im alten Rom, in Griechenland oder Ägypten gerade die Innenhöfe repräsentative Empfangsorte und gesellschaftliche Treffpunkte waren, dienen sie nun als private Rückzugsorte, abgeschirmt vom umliegenden Trubel. »Atriumhäuser gruppieren ihre Wohn- und Aufenthaltsräume sowie Nebenräume um einen Hof«, skizziert Gabriele Hochholdinger-Knauer von Knauer Architekten ZT das Wesentliche der Gebäudestruktur.
Dieser Hof, das Atrium, ist zum Himmel hin offen oder verglast, bietet jedenfalls natürlichen Lichteinfall. »Die Planung eines Atriumhauses ergibt sich aus den Anforderungen der Kund:innen, aus der vorhandenen Topografie und Typologie«, ergänzt Architekt Franz Knauer. Das Büro hat im niederösterreichischen Unterolberndorf auf einem Grundstück, wo zuvor ein altes Bauernhaus stand und das an die stark befahrene Ortsstraße grenzt, ein typisches Atriumhaus errichtet. »Bei diesem Open-Air-Konzept bietet das Atrium als erweiterter Wohnraum ideale Sichtbeziehungen zwischen den einzelnen Bereichen sowie eine begrünte Oase mit altem Wasserbecken zur Kühlung – ein Raum der Ruhe, uneinsehbar von den Nachbarn.« Wasser spielte übrigens auch im Atrium der Antike eine tragende Rolle – meist als sogenanntes Impluvium, also ein Regenwassersammelbecken.
Das visuelle Herz
Die Vorteile eines Atriumhauses sprechen heute wie einst für sich: Vor allem im Herbst, Winter und Frühling bietet der Innenhof ein mildes Klima, das ganze Jahr über Sicht- und Lärmschutz. Neben dem hohen Intimitätsfaktor punktet es mit der guten ökologischen Steuerung zwischen den offenen und geschlossenen Räumen. »Durch das visuelle Herz des Objekts kann jeder Raum mindestens von zwei Seiten belichtet und belüftet werden«, so Michael Aigner von Steinkogler Aigner Architekten. »Zusätzlich gewährt das Atrium einen Sonnen- und Windschutz.« Alles gute Argumente, weshalb erst kürzlich auch im Salzkammergut nach den Plänen von Architekt Albert Wimmer ein radikal-modernes Atriumhaus errichtet wurde. Als Nahtstelle im Zentrum befindet sich neben einem Grünbereich ein Pool, der für das Verschwimmen der In- und Outdoor-Grenze sorgt. Die umliegenden Berge holte Wimmer optisch ebenfalls in die Wohnräume – ganz nach dem Motto »architecture catches nature«.

»Der Auftraggeber wünschte sich viel Leben im Freien, was auf dem städtebaulich komplexen Grundstück kaum möglich war. Ein Atriumhaus war die Lösung.« Marek Štěpán Atelier Štěpán

Natürlicher Lichtfluss: Das zweistöckige Atriumhaus in Nový Jičín, entworfen von Atelier Štěpán, befindet sich auf einem abfallenden Gelände, was sich im Konzept widerspiegelt. Den Schwerpunkt bildet ein Innenhof, die Wohnbereiche sind aus Holz und orthogonal zueinander angeordnet. Der natürliche Fluss des Tageslichts ist hier essenziell: Das Licht strömt sowohl durch große Fenster als auch durch kreisförmige Öffnungen im Dach. atelier-stepan.cz
Freilich haben auch Atriumhäuser den einen oder anderen Nachteil: »Ein freistehendes Atriumhaus braucht mehr bebaute Fläche als ein normales Einfamilienhaus. Es hat lange Erschließungswege und ist meist teurer«, weiß Diplomingenieurin für Architektur und Wohnpsychologin Christine Braun. Einer der Gründe: »Die ausgedehnte Gebäudehülle, die im Verhältnis zum Volumen einen energetisch ungünstigen Wert hat«, so Michael Aigner. »Dem muss man in der Planung entgegenwirken, etwa durch eine gute Dämmung der einzelnen Bauteile.« Abgesehen von freistehenden Atriumhäusern gibt es auch jene in Siedlungsstruktur. Ein solches revitalisiertes Gebäude bewohnt Braun privat in Purbach am Neusiedler See: »Die Siedlungsstruktur erinnert an die alten Winkelhöfe als moderne Interpretation. Hier benötigt das Haus weniger Fläche – Stichwort Bodenversiegelung –, hat geringere Anschaffungskosten und man wohnt nicht Wand an Wand wie im Reihenhaus«. Und noch ein Punkt ist der Wohnpsychologin wichtig: »Der ruhige Innenhof wirkt auf den Menschen ausgleichend. In vielen Klöstern hat man diese Struktur als Symbol der Stille und des inneren Friedens genutzt«. Laut Studien erleben unsere Sinne beim Blick in die Grünoase einen Mini-Urlaub, so Braun: »Die Regeneration verbessert sich, das Herz schlägt langsamer, die Atmung wird tiefer. All das spiegelt sich in unserem Wohlbefinden wider«.