Peter Marino im Porträt: Von Lack und Leder zu Glitzer und Glamour
Er ist nicht nur eine auffällige Figur in der New Yorker Architekturszene, sondern auch der Urheber und Gestalter vieler Luxusboutiquen in aller Welt. Ob Gucci, Dior, Tiffany oder Louis Vuitton: Das Handwerk von Illusion und Inszenierung versteht der Architekt und Kunstsammler perfekt.
Auf den ersten Blick glaubt man, sich in der Tür geirrt zu haben. Ein Jahrestreffen des Harley-Davidson-Clubs? Ein Geburtstag mit gebuchtem Male-Stripper? Ein zum Leben erweckter Muskelprotz à la Tom of Finland? »Früher war ich ein langweiliger Geschäftsmann mit Armani-Sakko, Armani-Krawatte und braver Kurzhaarfrisur, eine Katastrophe«, sagt er beim Interview in seinem Büro in der East 58th Street, Manhattan. »In jungen Jahren kleidet man sich halt so, wie man glaubt, dass die Kunden einen gerne sehen würden. Im Alter ändert sich das. Heute muss ich keine Rücksicht mehr nehmen auf die Etiketten der feinen Gesellschaft. Ich bin endlich frei.«
Glamour und gespaltene Persönlichkeit?
Peter Marino, 75 Jahre alt, ist so etwas wie ein wandelndes Gesamtkunstwerk, ein Stararchitekt, der diesem von Medien und Society gemachten Begriff in der Tat alle Ehre erweist. Er entwirft Villen, Penthäuser und Luxushotels, vor allem aber Shops, Flagship-Stores und innovative Retail-Konzepte für Fashion-Brands in aller Welt, ob das nun Chanel, Gucci, Prada, Fendi, Hublot, Bulgari, Tiffany, Christian Dior, Louis Vuitton, Karl Lagerfeld, Giorgio Armani, Ermenegildo Zegna oder Yves Saint Laurent ist. Zu seinen wichtigsten Werkzeugen zählen Licht, Chrom, Messing, Stein, Samt, Leder, edle Stoffe, gediegene Kontraste, immer aber auch ein Hauch von Glamour und Bling-Bling. Allein, dem Haute-Couture-Kleidungsstil, den seine Kund:innen und Auftraggeber:innen promoten, erteilt er mit inszeniertem Genuss eine Absage. Seine zweite Haut ist schwar zes Leder von oben bis unten, mit schweren Boots und Sonnenbrille, unabhängig von Wetter und Dämmerung, als krönender Abschluss ein Leder-Chap, ein Verschnitt aus Polizeikontrolle und spätnächtlicher Gay Bar. Und die Medien lieben ihn dafür. Unzählige Male schon war er am Cover von »Nuvo«, »L’Uomo« und »Cultured« zu sehen. Er trägt den Orden »Officer of the Order of Arts and Letters« des Staates Frankreich. Und erst Anfang des Jahres wurde er mit dem renommierten Andrew Markopoulos Award ausgezeichnet.
»Ich fahre regelmäßig mit dem Motorrad in die Arbeit, das ist so etwas wie ein kleines Urlaubsabenteuer im Alltag, Freiheit auf Rädern, Fahrtwind im Gesicht, körperlicher Genuss«, sagt Marino. An den Wänden in seinem Büro hängen Fotos, Magazincover und High-Society-Schnappschüsse sonder Zahl. »Früher habe ich mich immer im Büro umgezogen, aber das wird fad mit der Zeit. Also habe ich beschlossen, mich gar nicht mehr umzuziehen, sondern die Biker-Klamotten anzubehalten.« Wie sich der eigene Stil mit den von ihm entworfenen Luxusboutiquen in gedämpften Tönen und Farben verträgt? »Gar nicht. Ich bin Zwilling im Horoskop. Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit.«
Hochwertige Visitenkarten
Die perfekte Gestaltung eines Flagship-Stores diene nicht so sehr dem Verkauf, als vielmehr der Image-Wirkung der Brand. Und während die Präsentation des einzelnen Produkts mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt wird, richtet sich der Fokus auf den Raum, auf den Wow-Faktor, auf ein unvergessliches emotionales Erleben. »Sie müssen wissen, dass die Luxusboutiquen an den besten Adressen der Welt – sei es nun Prada, Gucci oder Louis Vuitton – nicht dazu da sind, große Umsätze zu machen, sondern in erster Linie als Werbemittel und Visitenkarten fungieren«, sagt Marino. »Für den Architekten heißt das: Der Besucher muss das Geschäft mit einem höherwertigen Bild verlassenen, als er es betreten hat. Wenn das der Fall ist, dann ist das Konzept geglückt.« Bluffen und Oberflächlichkeit, sagt Marino, der mittlerweile sogar eine eigene Peter Marino Art Foundation ins Leben gerufen hat, seien eine Sackgasse. »Es geht um Authentizität, denn die Konsumentinnen und Konsumenten sind brutal, vor allem im Bereich Mode. Jeder kleinste Fehler in der Modebranche ist unverzeihlich. Wer eine Marke in diesem Premium-Segment, wo die Luft schon sehr dünn ist, nicht sorgfältig, behutsam und mit einer Kontinuität über viele Jahre und Jahrzehnte pflegt, der hat verloren.« Ein visueller Zugewinn jedenfalls sind seine visuell fulminanten Boutiquen in aller Welt – Meisterinnen einer Gratwanderung zwischen Sein und Schein.