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(c) Damiano Cao

Nicolò Castellini Baldissera im LIVING-Talk

Architektur
Design
Designer

Schon als Kind rückte er Möbel, und das Schöne begeistert ihn noch heute: Nicolò Castellini Baldissera, Urenkel des italienischen Star-Architekten Piero Portaluppi, erzählt im LIVING-Interview von seiner Liebe für historische Gebäude und den Zauber von Mailänder Traditionen mit marokkanischer Opulenz.  

Titelbild: Vollzeit-Ästhet: Nicolò Castellini Baldissera schreibt Bücher, restauriert Prachtbauten und entwirft für Gucci, Pictalab Studio und sein eigenes Label Casa Tosca. nicolocastellinibaldissera.it

Das Besondere in Objekten zu erkennen, die ernsthafte Auseinandersetzung mit altem Handwerk  pflegen, die Mixtur der schönen Dinge auf die Spitze zu treiben – das alles gehört zum Kern der Arbeit von Nicolò Castellini Baldissera. Er zählt zu den bekanntesten Interiordesignern Italiens, realisierte zuletzt exklusive Wohnprojekte in Tangier, Mailand und London, schreibt regelmäßig Design-Bestseller (»Inside Milan« und »Inside Tangier«, Thames & Hudson Verlag) und arbeitet mit wichtigen Brands wie Gucci, Rubelli oder Pictalab zusammen. Eine nahezu verspielte, erzählerische Formensprache trifft bei Baldissera dabei auf besonders luxuriöse Verarbeitung. Eine Vorliebe für Pflanzen-formen und kräftige Farben auf geübtes, ästhetisches Empfinden. Dabei hatte Baldissera im Grunde gar keine andere Option, als seine Auseinandersetzung mit dem Thema Design zum Beruf zu machen. Schließlich wurde er in eine Familie aus lauter Kreativen hineingeboren. So bestehen u. a. familiäre Verbindungen zu Gio Ponti, dem Architekten, Künstler und Gründer des Designmagazin »Domus«, und das kreative Erbe seines Urgroßvaters Piero Portaluppi hält Baldissera noch heute aktiv hoch. »Ich mag es, warme Umgebungen zu schaffen, die die Gedanken schweifen lassen«, erzählt der Designer im LIVING Talk etwa und spricht dabei über den Einfluss Marokkos auf sein Designempfinden, die Anziehungskraft historischer Gebäude und sein eigenes Label Casa Tosca.

LIVING Sie haben eine enge Beziehung zu Marokko, wo Innenarchitektur generell eine große Rolle spielt. Kann man diesen Einfluss in Ihrer Arbeit sehen?

Nicolò Castellini Baldissera Ich war schon als Kind oft mit meiner Mutter in Marokko. Gerade in Tangier war ich so beeindruckt von der Schönheit und Dekadenz der Gebäude. Ich glaube, es ist die Mischung aus Opulenz und Verfall, die mich am meisten anzieht, die Farben und natürlich die Handwerkskunst. So wie ich werden viele Designer und Innenarchitekten von der magischen Atmosphäre der Medina angezogen. Sie ziehen dorthin, kaufen und restaurieren alte Gebäude und fügen diesem Schmelztiegel des Designs so wieder ganz neue Elemente zu.

Was bedeutet das ästhetische Erbe Ihrer italienischen Familie für Sie?

Wenn ich meine Kollektionen beschreibe, formuliere ich es oft als »Mailänder Erbe mit marokkanischem Einfluss«. Den stärksten Einfluss haben dabei definitiv meine Mailänder Wurzeln. Dort bin ich in einer Familie bekannter Architekten und Dekorateure aufgewachsen. Ich war von Schönheit und Menschen umgeben, die mir von klein auf beigebracht haben, die feinsten Details zu schätzen. Man erzählt sich, dass ich bei einem Besuch bei meinen Großeltern in der Casa degli Atellani schon mit sechs Jahren die Möbel umgestellt habe!

Handarbeit: Die zeitlosen Rattanmöbel aus Baldisseras Kollektion für Casa Tosca werden in traditionellen Betrieben in Tangier gefertigt.

(c) Damiano Cao

Florale Erinnerungen: Baldissera gestaltete das Palazzo Atellani in Mailand mit Bedacht um, mit seinen Tapeten »Portaluppi Herbarium« nimmt er Bezug auf seinen Urgroßvater und dessen berühmten Garten.

(c) Max Pescio

Wie kommen diese verschiedenen Einflüsse nun in Ihrer Arbeit zusammen?

Ich mag es, warme Umgebungen zu schaffen, die die Gedanken schweifen lassen, indem ich tropische Pflanzen mit antiken Möbeln und manchmal mit moderneren Kunstwerken mische. Kräftige Farben sind mein Markenzeichen, und das richtige Gleichgewicht zwischen sehr unterschiedlichen Objekten zu finden, ist meine besondere Fähigkeit. Wenn Sie sich meine Interieurs ansehen, werden Sie immer eine Mischung aus Tradition und Exotik finden.

Wussten Sie schon immer, dass Sie mit Design arbeiten wollen?

Ich habe mich jedenfalls schon früh zu schönen Objekten hingezogen gefühlt. Als ich mit 16 Jahren zum ersten Mal nach Indien reiste, bekam ich etwas Geld, um Souvenirs zu kaufen, und ich erinnere mich, dass ich alles für ein Miniaturmodell des Taj Mahal aus Elfenbein ausgab. Dieses Modell hüte ich noch heute.

Ob Tangier oder Mailand – Sie legen den Fokus auf die Restaurierung von prachtvollen, historischen Gebäuden und realisieren dort luxuriöse Interiorprojekte. Wie entscheiden Sie, was von der alten Substanz bleibt und
was geht?

Ich glaube, dass es darauf ankommt, die empfindliche Schönheit historischer Gebäude zu verstehen. In Tangier habe ich mit Umberto Pasti zusammengearbeitet, um meinen Garten zu gestalten, einer meiner Lieblingsorte im Haus. Die Zusammenarbeit mit lokalen Handwerkern ermöglicht es mir, den kulturellen Kontext, in dem ich arbeite, zu respektieren und die lokale Geschichte hervorzuheben.

Sie haben gerade Tapeten in Zusammenarbeit mit Pictalab Milano gestaltet. Inwiefern spielte das Erbe Ihres Urgroßvaters Piero Portaluppi dabei eine Rolle?

Ich arbeite schon lange mit dem Studio Pictalab zusammen, sie haben für die meisten meiner Projekte wunderschöne Wanddekorationen entworfen. Als sie mir vorschlugen, einige der wichtigsten Portaluppi-Geometrien auf Tapeten zu übertragen, war ich sofort dabei. Wir haben alle berühmten Gebäude meines Urgroßvaters studiert und einige Schlüsselmotive identifiziert, die er gerne auf Bögen, Eisentore, Marmorböden und Treppen angewendet hat. So entstand die ursprüngliche Kollektion »Portaluppi Pattern Project«.

Jetzt arbeiten Sie an den passenden Textilien.

Die nächste Serie von P.P.P. wird auf Teppichen von CC Tapis gewebt. Dabei sind die Muster in ganz neuen Farbkombinationen zu sehen. Durch die kostbaren, handgeknüpften Materi­alien erhalten sie eine besondere Textur. Einen dieser Teppiche haben wir in limitierter Auflage für Gucci produziert.

Modernes Erbe: Für Gucci gestaltete Baldissera eine Teppich-Kollektion, die im Herbst erscheinen wird. Einen ersten Vorgeschmack gab es bei der Mailänder Design Week.

(c) beigestellt

Alcova: Prächtige Geometrien. Für die »P.P.P.«-Kollektion reproduzierte Nicolò Castellini Baldissera typische Portaluppi-Muster für die Wand.

(c) Max Pescio courtesy Pictalab

Erschienen in
LIVING 05/2024

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Marlene Mayer
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