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Mid-century trifft Space Age

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Macht ein bisschen Platz, Italien und Dänemark: Die Portugies:innen kommen und mit ihnen eine Designphilosophie, die nonchalant und gekonnt auf Traditionen aufbaut, ohne diese überzustrapazieren. Denken Sie an Keramik, Textil und Kork – am besten mit einem Augenzwinkern.

Künstlerin Joana Vasconcelos hatte den letzten Dior-Catwalk fest im Griff. Beziehungsweise ihre an einen Kraken erinnernde Textilskulptur, deren Tentakel den ganzen Raum durchbrachen. Ein buntes, ein gewaltiges Ding, das die Portugiesin da geschaffen hat, und das nicht zum ersten Mal, Vasconcelos ist durch ihre raumgreifenden Skulpturen schon seit den 1990er-Jahren eine fixe Größe der Kunst-branche. Ihre monumentalen Objekte sollen die Vielschichtigkeit der Menschen repräsentieren und wohl auch des Teams, mit dem Vasconcelos arbeitet. Die Maximalistin sucht sich die Besten eines jeden Handwerks, ob nun Sticken oder Häkeln – oder auch Ingenieurskunst – und holt sie an Bord. Traditionsreiche Fertigkeiten, transformiert in etwas Neues, etwas Zeitgenössisches. Vasconcelos hat den Boden geebnet für eine Generation an Künstler:innen und Designer:innen, die der Welt ein neues Portugal zeigen, das weit mehr ist als der kleine Bruder Spaniens. Der Seitenblick lohnt, und nicht nur das: Man bleibt vermutlich hängen, dafür sorgen die Kreativen der iberischen Halbinsel schon, wie auch Tiago Gonçalves, Brand-Manager des Labels Sentta, anmerkt: »Wir Portugies:innen sind sehr kompetitiv – insbesondere in Branchen, die eine Bedeutung für unsere Kultur und unser nationales Erbe haben.« Das wären -neben den Textilien (wie bei Vasconcelos) insbesondere auch Kork und Keramik. Wenn es um ihre Azulejos geht, die Keramikfliesen mit den typischen portugiesischen Mustern, sind die Locals besonders heikel, vor allem da sie viel zu oft gestohlen werden. Das Projekt »SOS Azulejo« (eine Polizeieinheit!) soll den Fliesendieb:innen auf die Spur kommen bzw. vermutlich sie in erster Instanz abschrecken. Denn: Die blauen Kacheln sind touristisches Gold. Instagram ist beispielsweise voll von Urlauber:innen-Fotos vor blau-weißen Fassaden, ein Klassiker: die Capela das Almas in Porto. Der Hashtag Azujeos zählt auf -Instagram knapp eine Million Beiträge. Es gibt Workshops für Tourist:innen, Neuinterpretationen und Möbelentwürfe, wie den »Cascais Coffee Table« von Pátria Lusa. So eine klassische Variante (die Tischplatte -besteht aus Azulejos) ist aber eher selten und den meisten Designer:innen wohl zu sehr »no na«. Die Kooperation von Toni Grilo mit Blackcork punktet definitiv in -Sachen Nachhaltigkeit, passt aber sicher nicht in jedes Setting. Das eingangs erwähnte Augenzwinkern findet man dann beim
Side-table »Celeste« von DAM, wenn Kork auf Marmor trifft. Ein kaltes auf ein warmes Material, das sind Kontraste, die wir lieben! Auch Brands wie dooq oder Mambo Unlimited -haben noch Newcomer-Potenzial.

Louboutin in town

Irgendwie wirkt es, als würden die Portugies:in-nen Dimensionen, Strukturen und vermeintliche Gegebenheiten nicht ganz so ernst nehmen. Zwar sieht man viele Reminiszenzen an das Mid-Century, aber irgendwie eben doch anders. So quasi Mid-Century trifft Space Age. Da bekommt der Polsterstuhl plötzlich lange Beine und wird zum Barhocker (»Odisseia« von dooq) oder der »Essex Armchair« von -Sentta, dessen Armlehne irgendwie höher -gerutscht ist. Man lächelt, wenn man die Kataloge durchblättert. »Das ist ein gutes Zeichen«, freut sich Gonçalves. »Anders zu sein, ist zumindest für uns etwas Gutes«, so der Brand-Manager. Beim Unternehmen mit Sitz in Porto betont man die portugiesischen Wurzeln, insbesondere wenn es um das Holzhandwerk geht, aber ist stolz darauf, mit internationalen Designer:innen zu kooperieren. Man spreche viele Sprachen, sagt Gonçalves schmunzelnd. Und das muss eine recht kleine Designnation vermutlich auch – noch mehr als andere. Die Portugies:innen mögen das Rad nicht neu erfunden haben, aber es rollt hier irgendwie anders. Leiser vielleicht, aber dafür hinterlässt es stärkere Spuren. Sehr schön sichtbar wird das auch in der Designhotellerie des Landes, die den Slow Tourism zelebriert. Man möchte Overtourism verhindern, heißt es vonseiten der Tourismusverbände. Eine nicht ganz leichte Übung, 2023 eröffnet alle fünf Tage ein neues Hotel in Portugal. Die höchsten Wellen wird eventuell das Hotel »Vermelho« von Christian Louboutin schlagen, Eröffnung ist im April. Hier gilt definitiv, mehr ist mehr, was durchaus eine Abwechselung zu den sonst oft wie mit Sand gepuderten Hoteldesigns der Region Alentejo ist. Das »Vermelho« steht in Melides, einem kleinen Ort, der 2023 als Trend gehypt wird. Louboutin dürfte damit zu tun haben, aber nicht nur er. Auch Philippe Starck und Vincent Van Duysen haben hier Ferienhäuser. Es sei ruhiger als im nahe gelegenen Comporta, so heißt es. Aber nicht minder schön. Auch Gonçalves huldigt Melides. »Das beste Geheimnis der Alentejo-Region. Zumindest noch.«

Erschienen in
LIVING Nr. 02/2023

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Nicola Afchar-Negad
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