ICONOMY: Design-Icons unter 100 mit Patricia Urquiola
Patricia Urquiola lässt Drachen nicht fliegen, sondern schweben – als Regal. Ihr »Kite Shelf« für Kartell ist Poesie aus Plastik: leicht, geometrisch, radikal reduziert. Eine modulare Skulptur, die Räume neu denkt.
Will man einen Drachen verlässlich steigen lassen, braucht es üblicherweise ordentlich Wind – oder eben Patricia Urquiola, die das Kunststück vollbringt, ihre Drachen nicht in die Luft, sondern an die Wand zu bringen. »Kite Shelf«, Drachen-Regal, nennt die Stardesignerin das Ergebnis, das sie für Kartell entworfen hat. Und dieses »Kite Shelf« ist, man darf es ungestraft behaupten, ein kleines Meisterwerk poetischen Designs geworden. Mit einem Höchstmaß an Reduktion, das nichts dem Zufall überlässt, hat Urquiola ein Objekt geschaffen, das eine überraschende, fast schwerelose Präsenz im Raum entwickelt. Trotz – oder gerade wegen – seiner klaren Geometrie wirkt das Regal wie ein schwebendes Fragment, beinahe wie ein Gedankenfetzen, der sich materialisiert hat. Ob transparent oder durchgefärbt – das Regal interagiert mit Licht und Perspektive und scheint sich dabei je nach Blickwinkel zu verändern. Es entsteht ein subtiles Spiel mit der Wahrnehmung, mit Fläche und Raum. Nicht zuletzt, da das geometrische Gittermuster – ein wiederkehrendes Motiv in Urquiolas Werk – durch Lichtbrechungen dynamische Schattenspiele erzeugt. Die Form des Regals basiert dabei auf dem oberen Teil eines rechtwinkligen Deltoids und wird von Urquiola zu einer Art Mini-Skulptur aus widerstandsfähigem Polycarbonat und thermoplastischem Technopolymer transformiert. Das sorgt bei aller Leichtigkeit des Entwurfs für strukturelle Stabilität und verleiht dem Regal jene unverwechselbare Aura zwischen Funktion und Poesie.

Drachen für die Wand Mit dem »Kite Shelf« zeigt Patricia Urquiola, wie poetisch Transparenz und Reduktion sein können.
kartell.com
Das strenge und reduzierte geometrische Grundmuster lädt zudem zum Neu-Denken von Räumen ein – zur spielerischen Neuordnung des Alltags, wenn man so will. Die Regale lassen sich einzeln, in Reihen oder zu lebendigen Gruppen arrangieren und fordern geradezu dazu auf, mit Farben, Kombinationen und Raumverhältnissen zu experimentieren. Dabei erweisen sie sich als erstaunlich anpassungsfähig: Ob im Wohnzimmer oder im Flur, im Büro oder sogar im Badezimmer – das »Kite Shelf« fühlt sich überall zuhause und unterstreicht eine zeitgemäße, modulare Wohnkultur, die sich flexibel an Lebensumstände anpasst. Nicht zuletzt steht dieses Objekt auch für gelebte Designdemokratie: Hergestellt aus 100 % recycelten Materialien, die aus Produktionsabfällen gewonnen werden, und dank industrieller Fertigung bleibt das Regal für viele erschwinglich – ganz im Sinne von Kartell. Der italienische Hersteller, ein Pionier auf dem Gebiet der Kunststoffverarbeitung, hat dem Werkstoff längst sein billiges Image genommen und zeigt immer wieder, dass auch Plastik Seele haben kann. Und Leichtigkeit. Fast so, als würde man einen Drachen steigen lassen – an der Wand.
Über die Designerin
Patricia Urquiola, im spanischen Oviedo geboren, lebt und arbeitet die Künstlerin seit vielen Jahren in Mailand, wo sie 2001 ihr eigenes Studio gründete. Die 64-jährige Stardesignerin zählt zu den prägendsten Gestalterinnen der Gegenwart: Als Creative Director von Cassina und durch Arbeiten für B&B Italia, Moroso, Flos, Kartell, Louis Vuitton oder Haworth beeinflusste sie die internationale Designszene. Die vielfach preisgekrönte Kreative setzt in ihren Arbeiten Schwerpunkte auf innovative Materialkombinationen, die Verbindung von Handwerk und Hightech und sucht immer Wege, emotionale Tiefe zu finden.