Hotspot Polen: Bauen zwischen Schmäh und Propaganda
Die polnische Architekturszene hat in den letzten Jahren stark unter dem Einfluss der rechtskonservativen Politik gelitten. Und dennoch hat es das Land geschafft, einen eigenen Kanon zu entwickeln. Eine Reise zu großen Kisten und kleinen, fröhlichen Schmuckstücken.
Es ist, als würde sich der Beton samtig, streichelweich anfühlen, als wäre er mit rötlich brauner Erde eingerieben, als wäre das gesamte Haus in eine -dicke, flauschige Fischgrät-Strickdecke gehüllt. »Genau das war unser Ziel«, sagt Krzysztof Budzisz, Partner im Warschauer Architekturbüro WXCA. »Vor vielen Jahren schon hatten wir die Idee, die Fassade als monolithisches Relief in diesem warmen, haptisch ansprechenden Ornament abzugießen. Es war ein langer Weg dahin, mit vielen Modellen und vielen, vielen unterschiedlichen Betonrezepturen, die wir ausprobiert haben. Doch die Arbeit hat sich gelohnt. Es ist das wahrscheinlich sinnlichste und zugleich technisch exakteste -Projekt, das wir je realisiert haben.«
Doch so sinnlich die architektonische Hülle, die in Zusammenarbeit mit dem englischen Ingenieurspezialisten Buro Happold entwickelt wurde, hineingegossen in acht Meter hohe Schalungstafeln mit eigens angefertigten Silikonmatrizen, so martialisch und kriegerisch sind die dargestellten Exponate darin. Denn das Muzeum Wojska Polskiego – in deutschen Worten Museum der polnischen Armee – ist ein Hort von Bomben und Granaten, von Rüstungen und Speeren, von polnischen Flaggen und sowjetischen Panzern, Modell T-34 mit 76-Millimeter-Rohrkanone, Baujahr 1943. In Auftrag gegeben wurde das Museum, Resultat eines internationalen Architekturwettbewerbs, von der polnischen, damals noch rechts-konservativen Regierung, die sich mit dem Neubau auf der Zitadelle ein zeitgenössisches Militärdenkmal setzen wollte.
Megalomanische Dimensionen
»Solange die nationalistische Partei PiS an der Macht war, dienten viele Architekturprojekte als nonverbale, dreidimensionale Propagandamaschinen«, sagt der Warschauer Architekt, Kulturtheoretiker und Universitätsprofessor Jakub Szczęsny. »Für die Architekturschaffenden war dies eine spannende, durchaus konfliktreiche Zeit, denn sie mussten es schaffen, Konzepte zu entwickeln, die die rechte Ära überdauern und in einer künftigen, liberaleren Legislaturperiode nicht minder existenz-berechtigt sein würden.« Damit erkläre sich auch, so Szczęsny, warum viele Projekte, die in den letzten Jahren in Warschau wie auch in anderen polnischen Großstädten entstanden sind, solch gigan-tische, megalomanische Dimensionen aufweisen.
In diese Kategorie fällt auch das kürzlich eröffnete Museum moderner Kunst zwischen der viel befahrenen Ulica Marszałkowska und dem 237 Meter hohen, stalinistischen Kulturpalast im Warschauer Zentrum. Der New Yorker Architekt Thomas Phifer, der den 2014 ausgelobten Wettbewerb für sich entscheiden konnte, errichtete neben der Straße eine strahlend weiße White Box mit 100 Metern Länge, 40 Metern Breite und 23 Metern Höhe. Feine, zierliche Details im Kleinen sucht man vergeblich, ganz im Gegenteil, wie eine überdimensionale -»iPhone 16«-Verpackung aus weißem, matt cellophaniertem Karton mit harten, eckigen Kanten legt sich der neue XXL-Museums-Klotz direkt vor die Warschauer Skyline.

Katowice: Scheinbar immer schon da gewesen, aber dennoch neu: Der Wohnblock Unikato von KWK Promes orientiert sich an den typischen Wohnhäusern Schlesiens und nimmt sogar die dunkelgraue Fassadenfarbe an. Wie Schubladen ragen die langen Balkone weit über die Straße. kwkpromes.pl
(c) Juliusz Sokolowski/www.juliuszsokolowski.pl
Bałtyk Tower, Poznań: MVRDV ist bekannt für seine verspielten Morphologien. Der 2017 errichtete Bałtyk Tower ist eine abgetreppte, terrassierte Büroskulptur, die an der Straßenecke geradezu umzukippen scheint. Im letzten Stock gibt es ein 750 Quadratmeter großes Panoramarestaurant. baltykpoznan.pl, mvrdv.com
(c) Baltyk_Ossip
Museum der polnischen Armee, Warschau: Mit dem neuen Bau auf der historischen Zitadelle hat sich Polen ein militärisches Denkmal gesetzt. Abseits der politischen Propaganda jedoch überzeugt vor allem die samtig weiche Betonoberfläche, die WXCA in Kooperation mit Buro Happold entwickelt hat. muzeumwp.pl, wxca.pl, burohappold.com
(c) Marcin-Czechowicz
Chorzów-Park, Schlesien: Was einst militärisches Sperrgebiet war, präsentiert sich nun als fröhlicher, verspielter Teil der Stadt: SLAS architekci haben die alten Baracken entfernt und stattdessen einen Spielplatz mit Grün- und Sportflächen geschaffen. Das Projekt wurde für den europäischen Mies van der Rohe Award 2022 nominiert. slas.com.pl, miesarch.com
(c) Michał Kopaniszyn
Museum moderner Kunst, Warschau: Am 25. Oktober 2024 fand die feierliche Eröffnung statt: Der 100 Meter lange Museumsneubau des New Yorker Architekten Thomas Phifer sprengt alle Maßstäbe und positioniert sich als selbstbewusste White Box im Zentrum der Stadt. Die Baukosten: 700 Millionen Złoty, rund 162 Millionen Euro. artmuseum.pl, thomasphifer.com
»Warschau ist reich an urbanistischer, stadtpolitischer Geschichte, daher wollte ich ganz bewusst ein großes Volumen ins Herz dieser Stadt hineinsetzen«, sagt der Architekt, »eine Art Kunstmasse, die in der Lage ist, eine visuelle Permanenz zu erzeugen und gegen die umliegende kommunistische Nachkriegsarchitektur anzukämpfen.« -Möglich wird dies – abermals – mit Beton, in diesem Fall mit gebleichtem Sichtbeton aus Weißzement, weißen Zuschlagstoffen und fein gemahlenem Titan, angemischt und durchgerüttelt in allerhöchster Güte. Um eine möglichst hohe Ausführungsqualität zu gewährleisten, wurde auf dem Grundstück nebenan eine temporäre Feldwerkstatt errichtet, sodass Tischler:innen und Handwer-ker:innen die Betonschalungselemente direkt vor Ort anfertigen und in Millimeterarbeit anpassen konnten.
Allein, nicht alles in Polen ist geprägt von riesigen Maßstäben und humorloser Ernsthaftigkeit. Im Abseits der politischen Kulturbauten entstehen immer wieder auch charmante, witzige Implantate – ob das nun Bürotürme, Wohnbauten oder neu gestaltete öffentliche Räume sind. MVRDV hat in Poznań den 17-stöckigen Bałtyk Tower gebaut, der je nach Perspektive aussieht, als würde er aufgrund seines Schwerpunkts jeden Moment umkippen. KWK Promes hat in Katowice ein dunkelgraues, fast schwarzes Apartmenthaus errichtet, ganz so, als sei es immer schon da gestanden – mit Ausnahme der langen Balkone, die wie offene Schubladen aus dem Block hinausragen. Und sogar Farbe spielt eine wichtige Rolle in der polnischen Architektur: In einer ehemaligen Mühle in Bydgoszcz entstand eine Bar in Blau und Orange. Und in Chorzów, Schlesien, wurde ein ehemaliges Militärgelände mit Farbe, Sport und Spiel zu neuem, fröhlichem Leben erweckt.
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