Formafantasma: »Design ist immer politisch«
Formafantasma gilt als eines der wichtigsten Designstudios unserer Zeit. LIVING bat Andrea Trimarchi, die eine Hälfte des erfolgreichen Duos, zum Gespräch über den Stellenwert von Forschung im Design, Sinnsuche in einer überkomplexen Welt und die Kraft der steten Veränderung.
Titelbild: Auf der Suche nach Möglichkeiten: Für Andrea Trimarchi (re.) und Simone Farresin (li.) vom Designstudio Formafantasma bedeutet Design, Dinge zu hinterfragen. formafantasma.com
Formafantasma – die gespenstische Form. Schon bei der Wahl ihres Namens haben sich Andrea Trimarchi und Simone Farresin für das Ungewöhnliche, das etwas Abwegige entschieden. Wobei »abwegig« für die beiden Italiener, die nicht nur von der »New York Times« als interessanteste Designer der Gegenwart bezeichnet wurden, in erster Linie bedeutet, abseits der üblichen Bahnen zu denken. Ihr Designansatz ist forschungsintensiv – es wird also hinterfragt, bevor gestaltet wird. In unserer unruhigen und unvorhersehbaren Welt trifft dieser Zugang einen Nerv. Dementsprechend gut gebucht ist Formafantasma – ob als Guest of Honour bei der Stockholm Design Week (LIVNG berichtete >>), in der Zusammenarbeit mit Herstellern wie Flos, Rubelli oder Artek oder im Rahmen des multidisziplinären Symposiums »Prada Frames« (LIVING berichtete>>). »Wir sind stets damit beschäftigt, die Gründe für unser Handeln als Designer zu hinterfragen, dabei setzen wir unser Handeln in einen größeren Zusammenhang mit der Menschheit als Ganzes«, beschreibt Trimarchi die Grundlage für die Arbeit von Formafantasma.
LIVING Sie sind dafür bekannt, Design stets aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu betrachten. Welchen Dienst erweist die Forschung der Gestaltung?
Andrea Trimarchi Forschung ist uns sehr wichtig. Alles, was wir tun, ist kritisch und forschungsintensiv, aber es ist nicht unbedingt wissenschaftlich, denn wir sind ein kommer-zielles Designbüro. Es geht uns darum, Aspekte des Designprozesses besser zu verstehen, die normalerweise nicht angesprochen werden. Das sind vor allem infrastrukturelle Fragen, etwa: Woher kommen die Materialien? Wie werden sie gewonnen? Welche Menschen sind beteiligt? Welche Rolle spielt die Politik? Welchen Bezug haben diese Praktiken zum Kolonialismus? Welche Rolle spielt das Design in diesem Zusammenhang? Bietet es Lösungen an?

Lichtinstallation: Für Flos entwarf Formafantasma zuletzt »Superwire«, ein modulares Leuchtensystem. flos.com
(c) FLOSWenden Sie diese Herangehensweise auch in der Zusammenarbeit mit kommerziellen Partner:innen an?
Immer, wenn wir können, ja. Erst kürzlich ist ein gemeinsames Projekt mit Artek gestartet, bei dem wir Hölzer für die Produktion der Klassiker von Alvar Aalto ausgewählt haben, um die Beziehung der Produkte zu den Wäldern stärker hervorzuheben. Wir haben uns gefragt, ob die Auswirkungen, die das Design auf die Umwelt hat, abgemildert werden können, und haben neue Kriterien für die Auswahl des Holzes festgelegt. Nun werden mehr Teile jedes einzelnen Baumes für die Produktion verwendet, Merkmale wie Äste, Insektenspuren oder Farbvariationen des Holzes beziehen wir auf der Designebene mit ein. So werden die Defekte – die keine Defekte sind, sondern Eigenschaften des Holzes – zu einem Teil des Endprodukts.
In Ihren Entwürfen geht es auch um Emotionen, darum, wie Design Gefühle auslösen kann. Inwiefern passt das mit Ihrem forschungsbasierten Ansatz zusammen?
Ich denke, es geht immer darum, Intuition und Rationalität zu verbinden. Beides ist gleichermaßen wichtig. Rationalität dient dazu, Informationen zu sammeln und Voreingenommenheit zu vermeiden. Also versuchen wir, rationaler zu sein. Die Intuition hilft
uns, kreativere Sprünge zu machen und Verbindungen zwischen Dingen zu erkennen, die vielleicht nicht sichtbar sind. Beides ist miteinander verwoben.
Würden Sie sagen, Ihr Designansatz hat auch eine philosophische Komponente?
Es gibt eine philosophische Dimension in dem, was wir tun, weil wir stets damit beschäftigt sind, die Gründe für unser Handeln als Designer zu hinterfragen. Wir setzen unser Handeln in einen größeren Zusammenhang mit der Menschheit als Ganzes, mit Wirtschaft und Ökologie. Wir schaffen Neues, indem wir uns mit dem auseinandersetzen, was bereits existiert. Dabei geht es uns aber nicht um das Neue, es geht uns um das Sinnvolle.
Sie arbeiten regelmäßig mit großen Luxusmarken zusammen. Wie lässt sich das mit einer kritischen Haltung vereinbaren? Welche Erwartungen haben Marken wie Prada oder Rubelli an Sie?
Das ist von Marke zu Marke sehr unterschiedlich, auch abhängig von der Rolle, die wir einnehmen. Wir arbeiten etwa schon seit Jahren mit Prada zusammen. Miuccia Prada wollte einen sinnvollen Beitrag zum Salone leisten, in einer Art Pingpongspiel zwischen uns, dem Team von Prada und ihr entstand dabei schließlich die Reihe »Prada Frames«, ein kulturelles und aufklärerisches Projekt. Bei Rubelli besetzen wir eher die Rolle von Kreativdirektoren. Dort müssen wir uns auch mit kommerziellen Fragen beschäftigen. Indem wir hier Vermittlungsarbeit leisten, können auch Veränderungen und Verschiebungen in den Produktionsprozessen stattfinden.
Sie sagen, Design ist immer politisch.
Design ist immer politisch, aber das liegt daran, dass alles, was wir als Menschen tun, besonders wenn wir einen Beruf ausüben, politisch ist. Journalismus ist auch eindeutig politisch. Queer zu sein, ein schwules Paar zu sein – auch unsere Sexualität ist unweigerlich politisch, ob es uns gefällt oder nicht. Design hat letzten Endes mit der Gestaltung der Welt zu tun. Und politischer kann es doch gar nicht mehr werden, oder?