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© ANNA STATHAKI

Ein Maximum an Minimalismus: Der Yūgen-Trend

Interior Design
Trend

Hygge war gestern: »Yūgen« nennt sich der achtsame Interior-Trend, der Ruhe, Funktionalität und Atmosphäre verbindet. Es gilt, der täglichen Reizüberflutung entgegenzuwirken und subtile Räume zu schaffen, in denen man sich rundum wohl fühlt.

Wohntrends kommen und gehen, oft ist es schwer, den Überblick zu behalten. Zuletzt machte »Intentional Clutter« die Runde, eine Gegenbewegung zur seelenlosen Hotelästhetik. Das Chaos daheim wurde gefeiert. Das Kredo dieses Trends: Man darf einer Wohnung ansehen, dass jemand in ihr wohnt. Es muss nicht immer perfekt aufgeräumt sein, Tassen können unterschiedlich sein, angeschlagene Möbel müssen nicht sofort aussortiert werden. Räume haben eine persönliche Note, die im Laufe eines Lebens zusammengetragenen Dinge ihr Eigenleben.

Oase in Tokio. Eine Eigentumswohnung inmitten einer Metropole, die dennoch Ruhe und Entspannung ausstrahlt.
karimoku-case.com

© TOMOOKI KENGAKU

Perfekt unperfekt

Auf den ersten Blick wirkt »Yūgen«, ein japanisches Ästhetikkonzept, das die Schönheit im Subtilen und Unfassbaren sucht, wie das genaue Gegenteil. Aber man sollte sich nicht von der perfekten Oberfläche täuschen lassen. Der Begriff kommt aus dem Chinesischen und bedeutet »verschwommene Schönheit« oder »subtile Tiefe«. Es geht also um mehr als bloß Minimalismus. Bei »Yūgen« hat auch das Nichtperfekte seinen Platz. Man selbst muss sich wohl fühlen. Deshalb ist es wichtig, Dinge anzuschaffen, die nicht nur klare Formen haben, sondern auch eine Geschichte erzählen: etwa Vintage-Stühle, deren Risse und Unregelmäßigkeiten sie zu etwas Individuellem machen. Nachhaltig ist, dass man nicht alles sofort aussortiert, wenn es Gebrauchsspuren zeigt. Das Paradoxon, das es zu leben gilt, lautet: Man feiert die Unvollkommenheit, die gerade dadurch vollkommen wird. Zentral für die aufhellende Stimmung ist natürliches Licht, das in den Raum fällt – und wenn möglich eine Aussicht ins beruhigende Grün.

Maximale Heimeligkeit. Der »Puffy Lounge Chair« ist ein gemütliches It-Piece für die Wohnung.
t-o-o-g-o-o-d.com

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Perfekte Welle. Die organischen Formen des »Spontini Sofas« von Jacques Doucet sorgen für Wohlfühleffekte.
theinvisiblecollection.com

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Skandi-Einfluss. Die »Tangāli Bench« der in -Bangalore beheimateten Designer:innen Phantom Hands lässt sich als Bank und als Tisch verwenden.
phantomhands.in

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Oase der Entspannung

»Yūgen« legt einen starken Akzent auf Funktionalität. Raffinierte Schiebekonstruktionen können Räume gliedern und verändert. Die Interior-Designerin Yoko Kloeden hat für ein Haus in Westlondon sehr japanisch wirkende Schiebetüren entworfen, mittels derer Bereiche abgeschirmt werden können. Auch die Londoner Innenarchitektin Laura Logan zeigt in ihrem privaten Wohnhaus vor, wie »Yūgen« geht: Ihr historisches Haus aus dem Jahr 1867 wirkt modern und minimalistisch – und ist zugleich bunt zusammengewürfelt, was den Einrichtungsstil betrifft. Einheitlich wirkt hingegen die »Azabu Hills Collection« inmitten von Tokio von Keiji Ashizawa Design, eine luxuriöse Eigentumswohnung, die mit weichem Licht überflutet wird. Die ruhige, von Holz und hellen Farben unterstützte Stimmung würde nicht vermuten lassen, dass man mitten in einer Metropole ist. Rundungen und organische Formen passen perfekt zu diesem Stil, der Oasen der Entspannung schaffen möchte, um der Reizüberflutung der Gegenwart zu entkommen. Das »Spontini Sofa« von Jacques Doucet schmiegt sich sanft in den Raum. Perfekt ist auch der »Puffy Lounge Chair« von Studio Toogood, in dem man sofort versinken möchte. Er strahlt maximale Heimeligkeit aus.

Schöne Helligkeit. Ein Ferienhaus im Umland von Berlin verbindet historische Wurzeln mit modernem Minimalismus.
camaberlin.de

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Designklassiker. Der Loungesessel »Little Petra« des Architekten Viggo Boesen wurde 1938 vorgestellt – und ist zeitlos.
andtradition.com

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Kreativer Stilmix. Die Londoner Innenarchitektin Laura Logan zeigt in ihrem privaten Wohnhaus vor, wie »Yūgen« geht.
houseoflogan.co.uk

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Hochwertiges Handwerk

Der Skandi-Trend »Hygge« ist gar nicht so unähnlich: Es geht um formschöne, funktionale Möbelstücke, die zeitlos und hochwertig sind. So verbindet die »Tangāli Bench« der in Bangalore beheimateten Designer:innen Phantom Hands klassische Skandi-Ästhetik mit indischer Handwerkskunst: Das Möbelstück lässt sich als Bank und als Tisch verwenden und passt so perfekt in Räume, in denen nichts zu viel ist. Auch der kuschelige, niedrige Loungesessel »Little Petra« des Architekten Viggo Boesen ist ein Designklassiker, der zum »Yūgen«-Trend passt. Er wurde 1938 vorgestellt – und ist zeitlos. Weniger ist mehr, das trifft vor allem auf Zweitwohnsitze zu, in denen man abschalten und möglichst naturnah sein möchte. Ein kleines Ferienhaus aus den 1920er-Jahren am Ziestsee, in der Umgebung von Berlin, wurde vom Architekturstudio Cama A modernisiert. Man verbindet die historischen Wurzeln mit modernem Minimalismus. Das helle Holz sorgt für Wärme und unterstreicht die Verbindung zur umliegenden Natur. Gebrauchte Möbelstücke und Lampen schlagen Brücken zur Vergangenheit. Das Haus macht nicht viel Aufhebens von sich – und ist doch perfekt in seinem Understatement.

Erschienen in
LIVING 03/2025

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Karin Cerny
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