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Stijn Nagels, Beate Lubitz-Prohaska und Klaus Reisinger © Johannes Kernmayer

Drei Bau-und Nachhaltigkeits-Expert:innen im Interview: »Wie können wir den ökologischen Fußabdruck reduzieren?«

Architektur
Nachhaltigkeit
Interview

Ob Verkehr, Bauen, Konsumgüter, Landwirtschaft oder Energie-verbrauch: In hoch entwickelten Ländern wie etwa Österreich verursachen wir alle ziemlich viel CO2. Doch wie kann dieser Fußabdruck im privaten wie auch beruflichen Milieu verringert werden? Ein Gespräch mit Architekt Stijn Nagels, CO2-Berater Klaus Reisinger und Nachhaltigkeitsexpertin Beate Lubitz-Prohaska.

Haben Sie sich schon einmal Ihren eigenen ökologischen Fußabdruck ausgerechnet? Im Interview sprechen drei Experten – Beate Lubitz-Prohaska, Klaus Reisinger und Stijn Nagels – über ihre persönlichen Erfahrungen mit dem CO2-Verbrauch und wie sie es schaffen, in manchen Bereichen besonders nachhaltig zu leben, welche Ansätze es gibt und wie mit einem Umdenken viel erreicht werden kann.

Haben Sie sich schon einmal Ihren ökologischen Fußabdruck ausgerechnet?

Beate Lubitz-Prohaska: Ich habe mir einmal den ökolo­gischen Fußabdruck meines Wohnhauses ausgerechnet, und da liegen wir ehrlich gesagt ziemlich weit unter dem Durchschnitt – dank guter Dämmung und kontrollierter Wohnraumlüftung.

Klaus Reisinger: Wir haben auf unserer Website ein Online-Tool, auf dem jeder seinen eigenen CO2-Fußabdruck berechnen kann. Mein Fußabdruck 2023 liegt bei etwa 5,4 Tonnen Kohlendioxyd, das ist immerhin deutlich unter dem österreichischen Schnitt von neun Tonnen CO2. Die Chinesen verursachen sieben Tonnen CO2 pro Kopf, die Deutschen zehn, die Amerikaner 16.

Stijn Nagels: Ich habe mir das mal bei Ihnen auf der Website ausgerechnet. Ich liege bei 8,4 Tonnen CO2-Verbrauch. Da ist also noch Luft nach oben! Wenn ich höre, dass Herr Reisinger bei 5,4 Tonnen liegt, dann macht mich das schon neidisch.

Reisinger: Das globale Ziel müsste sein, den eigenen CO2-Fußabdruck auf circa eine Tonne zu reduzieren. Das ist aber de facto unmöglich. Allein aufgrund der Tatsache, dass wir in einem hochentwickelten, infrastrukturell perfekt erschlossenen Land mit Industrie, Bauwirtschaft und Autobahnen leben, verursachen wir schon drei Tonnen CO2 pro Kopf.

Worin sind Sie ein Vorbild?

Nagels: Ich ernähre mich zu 99 Prozent vegetarisch.

Lubitz-Prohaska: Ich kaufe Bio-Produkte, nutze vor allem den öffentlichen Verkehr und mache mit meiner Familie meist Urlaub in geografischer Nähe.

Reisinger: Ich habe vor ein paar Jahren mein Leben komplett umgestellt. Es ist nicht leicht, es ist ein ziemliches Umdenken, aber es geht!

Und wo, in welchem Punkt sind Sie ein richtiger Anti-Öko?

Reisinger: Ich war lange Jahre in der Bau­industrie tätig, war Projektleiter bei einigen riesigen Bauprojekten und war bis zu meinem 50. Lebensjahr Fleischfresser. Das ist heute anders.

Nagels: Ich selbst komme aus Belgien, meine Frau stammt aus der Türkei, allein dadurch kommen schon einige Flugreisen zustande. Und ich könnte auch weniger lange duschen!

Lubitz-Prohaska: Ab und zu kommt die Hedonistin in mir durch. Ab und zu will auch ich mir Lebensgenuss und schöne Momente gönnen, ob das nun Konsum, ein schönes Candlelight-Dinner oder ab und zu einmal eine Fernreise ist. Das alles geht auf Kosten des CO2-Kontos.

Ich würde mit Ihnen gerne einen geschichtlichen Rückblick machen. Seit wann gibt es denn so etwas wie ein Bewusstsein für einen ökologischen und umweltbewussten Lebensstil?

Reisinger: Schon lange! Ich sage nur Club of Rome in den 1960er-Jahren, Zwentendorf in den 1970ern, die Hainburger Au in den 1980ern. Das sind wichtige soziale Kipppunkte in der Gesellschaft.

Lubitz-Prohaska: Ich denke beispielsweise an die Ölkrise in den Siebzigerjahren, an die Geburtsstunde der Grünen in den Achtzigern, an die Gründung des Österreichischen Ökologie-Instituts.

Schon vor 40, 50 Jahren haben Forscherinnen und Wissenschaftler ernsthafte Drohungen ausgesprochen. Warum hat man die damals ignoriert?

Reisinger: Weil man die Drohungen nicht gesehen hat. Die Welt ist ein so träges System, die Erde eine so große speicherfähige Masse, dass die Konsequenzen erst Jahrzehnte später in Erscheinung treten.

Nagels: Heute sind die Konsequenzen sichtbar: Sommerhitze, Waldbrände, Dürreperioden oder etwa Überschwemmungen wie aktuell in Ostösterreich, Süddeutschland und Belgien.

Lubitz-Prohaska: Und dennoch habe ich das Gefühl, dass das Bewusstsein in der breiten Bevölkerung noch immer nicht da ist! Es reicht schon ein Blick auf die EU-Wahlen. Die beiden stärksten Parteien in Österreich leugnen die Klimakrise oder propagieren Österreich als Auto- und Verbrennungsmotorland.

Wo stehen wir heute? Wer sind die größten CO2-Emittenten?

Lubitz-Prohaska: Die größten Verursacher sind Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft, wobei der Sektor Verkehr nach wie vor stark wächst. Oder, um es anders aus­zudrücken Alles, was wir in all den anderen Sektoren in den letzten Jahren bereits erfolgreich einsparen konnten, wird mit der Zunahme im Bereich Verkehr wieder kompensiert. Unterm Strich sind wir wieder auf null.

Reisinger: Und wir fördern noch immer den Verkehr im Sinne von Pendlerpauschalen und Dieselprivileg – und da sprechen wir von einigen Milliarden Euro pro Jahr!

Wo liegen wir im Bereich Bauen und Wohnen?

Reisinger: Unterschiedliche Länder haben hier unterschiedliche Grundlagen und Berechnungsmethoden. Aber grob kann man sagen: Der Bereich Bauen und Wohnen mitsamt Betrieb und Baustoffgewinnung und Herstellung von Bauprodukten nimmt rund 37 Prozent ein – also ein gutes Drittel.

Nagels: Zum Wohnen gehören auch das Verlegen von Leitungen und Installationen, der Anschluss an Gas, Wasser, Kanalisation und Fernwärme und natürlich auch das Versiegeln von Land. Das alles ist enorm! Wir müssen uns in Zukunft darauf konzentrieren, den Bereich Bauen und Wohnen zu überdenken und die bestehenden Ressourcen zu nutzen.

Genau das haben Sie ja auch gemacht! Ihr Wohnprojekt in der Friedrich-Inhauser-Straße wurde kürzlich mit dem Österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit 2024 ausgezeichnet.

Nagels: Das freut uns enorm! Der Staatspreis ist eine schöne Bestätigung für unsere Arbeit. Es handelt sich dabei um eine Wohnhausanlage aus den Achtzigerjahren, mit morschen Holzbalkonen und undichten Fenstern, die Gasetagenheizung war ein Energiefresser, und die Grundrisse waren veraltet und längst nicht mehr den Anforderungen an heutiges Wohnen entsprechend. Der Bauträger Heimat Österreich hat sich entschieden, das Haus nicht abzureißen, sondern zu erhalten, innen neu zu strukturieren, aufzustocken und mit nachhaltigen Baustoffen aufzuwerten. So kamen wir ins Spiel.

Was genau haben Sie gemacht?

Nagels: In Zusammenarbeit mit cs architektur haben wir das Haus komplett entkernt, haben einen Holzhybridbau aufgesetzt und haben eine neue Heizversorgung installiert. 70 Prozent der Wärme stammen aus der Abluft und dem Abwasser, denn wir alle emittieren in unserem Wohnen sehr viel Wärme, die normalerweise in die Atmosphäre verpufft, sobald wir die Fenster aufreißen und lüften. Wir fangen diese Ab­wärme ein – ob das nun Abluft vom Kochen, vom Computer, vom Ausatmen oder auch Abwasser aus der Dusche oder von der Waschmaschine ist – und führen sie über Wärme­tauscher zurück in den Kreislauf.

Frau Lubitz-Prohaska, Ihr Unternehmen, die pulswerk GmbH, hat den Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik im Auftrag des Klimaschutz­ministeriums ausgelobt.

Lubitz-Prohaska: Wir hatten heuer 83 Einreichungen, und die thematische und technisch nachhaltige Bandbreite war wirklich enorm. Die Jury hat sich entschieden, die Wohnhausanlage in Salzburg mit dem Staatspreis auszuzeichnen, weil hier gleich mehrere innovative Ansätze auf einmal verfolgt wurden. Die Kombination ist sehr überraschend!

Nagels: Gleichzeitig aber schockiert es mich, dass das alles nicht längst Standard ist. Wir wissen bereits, wie es geht, nur werden die neuen Technologien noch viel zu selten angewandt. Wir haben bereits rechtliche Rahmenbedingungen wie etwa ESG-Kriterien, EU-Taxonomie, Lieferkettengesetz oder die Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung.

 

Beate Lubitz-Prohaska (51) studierte Architektur in München und Berlin und machte eine Ausbildung zur Baubiologin. Sie ist Gesellschafterin und Geschäfts­führerin des Ingenieurbüros pulswerk GmbH, zertifizierte u. a. die Sanierung des Öster­reichischen Parlaments und wirkt bei der Initiative klimaaktiv des Klimaschutzministeriums mit. Außerdem ist sie Mitglied des Österreichischen Ökologie-Instituts und Vorstandsvorsitzende der ÖGNB.

© Johannes Kernmayer

Warum geht’s nicht schneller?

Lubitz-Prohaska: Die Gesetzgebung in Österreich verläuft leider ein bisschen schleppend, daher sind wir auf Gesetzgebungen aus der EU angewiesen. Die ESG-Berichte und die Verpflichtung zur Offenlegung der eigenen Nachhaltigkeitsarbeit sind bereits ein großer Hebel für Unternehmen. Und was die EU-Taxonomie betrifft: Das ist ein riesengroßer Schritt, denn erstmals in der Geschichte der Bauwirtschaft wird grünes Bauen an das Bankwesen geknüpft und wirkt sich 1:1 auf die Kreditvergabe und die Finanzierungskonditionen aus. Wer nicht grün baut, wird in Zukunft nur noch schwer an Fremdkapital kommen.

ClimatePartner und pulswerk - haben Sie schon mal zusammengearbeitet?

Lubitz-Prohaska: Es gibt durchaus viele Überschneidungspunkte, und eine Zusammenarbeit würde in einigen Punkten Sinn machen, aber nein, bislang leider noch nicht! Herr Reisinger, als ClimatePartner beraten Sie Firmen, Unternehmen und internationale Konzerne in deren ökologischem Verhalten.

Wer sind Ihre Kunden?

Reisinger: Bislang waren Unternehmen dazu verpflichtet, ihre Bilanzen und ihre ökonomische Performance offenzulegen, nun bezieht sich die Offenlegungspflicht – abhängig von der Unternehmensgröße – auch auf den nichtfinanziellen Bereich. Meine Spezialität ist die Berechnung und Optimierung des ökologischen Fußabdrucks. Wir haben insgesamt 6.000 Kund:innen, darunter etwa EVN, Lenzing, Mondi, das Kosmetikunternehmen Ringana, aber auch Banken und zunehmend auch Unternehmen in der Bauindustrie und Bauzulieferindustrie.

Banken? Wie darf man sich das vorstellen?

Reisinger: Eine Bank kann noch so grün aufgestellt sein, aber wenn sie die falschen Projekte finanziert und mit dem Geld klima­unverantwortlich haushaltet, dann sind alle internen Mühen umsonst. Unsere Berechnungen haben gezeigt: Im Bankwesen sind die externen Finanzierungen 700-mal wichtiger als die internen CO2-Reduktionen. Jetzt haben wir vor allem über die Wirtschaft und Bauwirtschaft gesprochen.

Wie schaut es denn im kleineren Maßstab aus? Was können wir alle tun, um unseren eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren?

Lubitz-Prohaska: Raus aus Öl und Gas! Gebäude dämmen, die Heizung umstellen und den Energiebedarf reduzieren.

Reisinger: Weg vom Verbrennungsmotor! Und so viel wie möglich elektrifizieren!

Lubitz-Prohaska: Wir haben in Österreich in der Tat einen sehr vorbildlichen Strommix, allein schon aufgrund der Wasserkraft, aber auch dank Windkraft und Photovoltaik.

Reisinger: Die Windkraft kann noch mehr werden. In Salzburg, Tirol und Vorarlberg gibt es kein einziges Windrad!

Nagels: Im Bauen und Wohnen kann ich jedem nur empfehlen, sich ganz genau zu überlegen, wie man wohnen möchte und welche Funktionen das eigene Wohnen abdecken soll.

Stijn Nagels (43) studierte Architektur in Antwerpen und arbeitete zunächst für diverse Architekturbüros in Belgien, Frankreich und Österreich. Seit 2010 lebt er in Österreich, 2018 machte er sich mit seinem eigenen Büro in Salzburg selbstständig. Zudem ist er Vorstand in der Initiative Architektur. Die Sanierung der Wohnhausanlage Friedrich-Inhauser-Straße (mit cs architektur) wurde kürzlich mit dem Österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

© Johannes Kernmayer

Inwiefern?

Nagels: Ein ganz wichtiger Punkt ist der Standort: Lebe ich in einem verkehrstechnisch und infrastrukturell gut erschlossenen Gebiet? Mit Supermärkten, Bildungseinrichtungen und öffentlichem Verkehr? Kann ich zu Fuß gehen und die alltäglichen Wege mit dem Rad zurücklegen? Oder wohne ich im Speckgürtel und muss mich wegen jedem einzelnen Milchpackerl ins Auto setzen? Daher mein Appell an alle Leserinnen und Leser: Bitte überlegen Sie sich gut, wie und wo Sie wohnen möchten!

Lubitz-Prohaska: Ich persönlich würde mir ein größeres Bekenntnis zum Reparieren und zum Weiternutzen alter Kleidungs- und Konsumgüter wünschen. Leider deckt sich dieser Wunsch weder mit dem politischen Commitment noch mit den Versprechen und Kaufanreizen der Konsumgüterindustrie.

Reisinger: Und endlich die Versiegelung reduzieren! In der IG Lebenszyklus Bau, wo ich als Vorstand tätig bin, fordern wir, die Neuversiegelung auf netto null zu senken.

Haben Sie ein persönliches Vorbild?

Reisinger: Mein Vorbild ist Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der BOKU in Wien.

Nagels: Stadtverwaltungen wie etwa Utrecht, Amsterdam und Kopenhagen, die das Fahrrad zum wichtigsten Verkehrsmittel ernannt haben. Einfach großartig! Lubitz-Prohaska Meine Oma Josephine. Die hat mich gelehrt, sorgsam mit den Dingen umzugehen, sie zu pflegen und zu reparieren.

Wie lautet Ihr ganz persönliches Ziel zur Reduktion des ökologischen Fußabdrucks?

Reisinger: Ich will meinen CO2-Fußabdruck noch weiter reduzieren. Parallel dazu möchte ich meinen Handabdruck vergrößern und einen möglichst großen gesellschaftlichen Impact erzielen.

Nagels: Ich möchte noch mehr Wohnhäuser bauen und umbauen, die mit Abluft und Abwasser beheizt werden.

Lubitz-Prohaska: Ich wünsche mir, dass meine Arbeit eines Tages einen Schneeball-Effekt haben wird.

Klaus Reisinger (55) studierte Technische Chemie und war zu Beginn viele Jahre in der Projektleitung tätig. Er war Geschäftsführer des Haustechnikunternehmens Allplan, der ENGIE Gebäudetechnik und zuletzt der iC consulenten. Vor zwei Jahren zog er sich aus dem Bauen zurück und fokussiert sich mit seinem Unternehmen ClimatePartner Austria auf Klimaschutz-Beratungsleistungen im B2B-Bereich. Zudem ist er Vorstandsmitglied der IG Lebenszyklus Bau.

© Johannes Kernmayer

Erschienen in
LIVING 05/2024

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Wojciech Czaja
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