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Die »New Primitivism«- Kollektion von trestintas.com

Das große Comeback der Tapeten

Interior Design
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Von wegen altbacken: Wenn Tapeten richtig kombiniert werden, machen sie aus jeder Wand ein kleines Kunstwerk – und entführen in eine andere Welt. Starke Farbakzente 
und haptische Qualitäten liegen dabei im Trend.

Tapeten hatten lange ein schlechtes Image. Sie erinnerten an Besuche bei den Großeltern, wurden als alt­modisch abgetan. Erst in den letzten Jahren wurde man wieder mutiger beim Einrichten. Der Trend zu maximalem Mustermix und zum Bekenntnis zur Farbe, Stichwort »Dopamine Decor«, hat auch ein Comeback der Wandtapete beschert, die in neuem Design erstaunlich modern wirkt. Mut zur Persönlichkeit lautet das Motto der Stunde. Das heißt, dass auch die Wahl der Tapete ein Statement sein kann. In der raffinierten Kombination liegt die Kunst der Stunde.

Ferne Welten

Es boomen Tapeten, die starke Farbakzente setzen. Und selbst wie ein individuell kreiertes Kunstwerk aussehen. Vintage steht wieder hoch im Kurs, zeitgenössische Tapetenmuster reagieren auf die neue Nostalgie. Sie öffnen die Wände, entführen in andere Welten. So verbindet das junge rumänische Label Mind the Gap klassische Muster britischer Exzentrik mit der transsilvanischen Legendenwelt von Graf Dracula. Sein Modell »Read the Room« orientiert sich an den bunt bemalten Dorf­häusern in Siebenbürgen. Die gedruckten geometrischen Muster wirken an der Wand wie handgemalt. Aber auch Tres Tintas, eine junge Marke aus Barcelona, setzt in seiner aktuellen »New Primitivism«-Kollektion auf Muster, die an bemalte Landhäuser in ­Südamerika denken lassen. Gerade mit mini­malistischer Einrichtung, die auf starke ­Einzel­stücke setzt, sorgt das für eine coole Inszenierung, die man in einer Stadtwohnung nicht vermuten würde. Tapeten bringen die Natur in den Innenraum, »Biophilic Design« nennt man das – und kennt es von zahlreichen Tapeten, die einen urbanen Dschungel ins Bad zaubern. Das hat sich mittlerweile etwas abgenutzt, Tapeten dürfen inzwischen gern an die 1950er-Jahre erinnern, an eine vermeintlich unbeschwerte Zeit, in der Fernreisen oft nur ein Traum blieben. Sie erzählen von Sehnsucht und Fernweh. Je mehr sie nach einem abstrakten Gemälde aussehen, desto besser.

Midsommar-Feeling: Die Entwürfe der Schwedin Hanna Werning fangen die üppige skandinavische Natur ein. byhanna.com

Warme Farbtöne: Der Familienbetrieb Coordonné aus Barcelona liebt Pflanzen- und Tiermuster. coordonne.com

Verschlungene Pfade: Die Blätter eines Mandel­baums standen Pate für dieses abstrakte Muster. casamance.com

Zurück zur Natur: Das Label CMO Paris zeichnet sich durch die Verwendung von Naturmaterialien aus. cmoparis.com

Die »New Primitivism«- Kollektion von trestintas.com

Sommer, Sonne, Meer: Eine fröhliche Tapete, die an den Italien-Urlaub erinnert: das Model »Veranda«. mindtheg.com

Maximaler Mustermix: Das Modell »Read the Room« von Mind the Gap orientiert sich an den bunt bemalten Dorfhäusern in Siebenbürgen. mindtheg.com

Haptisch im Fokus

Gleichzeitig müssen Tapeten nicht flach sein. Der Trend geht zu unterschiedlichen Texturen, wichtig ist auch das haptische Erlebnis. Die Tapeten und Stoffe des Labels CMO Paris zeichnen sich durch aufwendig verarbeitete Naturmaterialien aus: weiße Brennnessel, Vetiverwurzel, Hanf, Bast oder Wasserhya­zinthe. Eine Reduktion auf das Wesentliche und eine Reanimation von alten Handwerkstechniken zeichnen diese Wandverkleidungen aus, die eine schöne Natürlichkeit ausstrahlen. CMO Paris forscht auch viel, welche Natur­materialien sich wiederverwenden lassen, und arbeitet mit lokalen Familienbetrieben auf der ganzen Welt zusammen. Man liegt damit im Trend, ökologische Tapeten boomen, schließlich verbringen wir viel Zeit in unseren eigenen vier Wänden und wollen von gesunden Materialen umgeben sein. Von Upcycling aus Abfall bis zum Verwenden von FSC-zertifizierter Zellulose reicht der Ansatz. Zudem ist es wichtig, darauf zu achten, dass ausschließlich umweltfreundliche Farben auf Wasserbasis verwendet werden. Und Stoffe, die recycelbar sind. Das Bewusstsein ist gerade bei den jungen, innovativen Labels gewachsen, die meisten listen auf ihrer Website auch den Herstellungsprozess auf.

Neue Romantik

Aber auch grafische Muster und Blumendesign sind gefragt. Sie bringen ein Stück Romantik nach Hause. Sei es nur an einer Wand, die einen starken Akzent bekommt, oder im ganzen Raum. Zu Mid-Century und Bauhaus-Stil passen grafische Muster perfekt. Die reiche Märchenwelt und die üppige Natur ­Skandinaviens stehen Pate für die kreativen Fantasiewelten der schwedischen Grafikerin Hanna Werning, die schon als Kind gern das Moos am Wegesrand erkundet und gezeichnet hat. Ihre Tapeten scheinen Geschichten zu erzählen, sie sind archaisch und zugleich modern. Viele Designer:innen lassen sich von der Natur inspirieren, obwohl das Ergebnis dann oft durchaus abstrakt aussehen kann. Der französische Anbieter Casamance etwa möchte bei seinem Modell »Mandorla«, welches es in fünf verschiedenen Farbschattierungen gibt, die blühenden Mandelbäume Südfrankreichs im Frühling einfangen. Das großflächige Design erinnert an ineinander verschlungene Mandelblätter, zugleich bleibt das Muster diskret abstrakt. Es eignet sich ideal für eine freie Wand in der Küche. Auch der Familienbetrieb Coordonné aus Barcelona setzt gern auf Pflanzen- und Tiermuster. Ein »Wallpaper-Simulator« soll auf seiner Homepage helfen, die jeweiligen Muster vorher auszuprobieren, damit man nichts Falsches einkauft. Zudem werden zahlreiche praktische Fragen beantwortet: Wie kann ich alte Tapeten entfernen? Wie kann ich berechnen, wie viele Rollen ich brauche? Welcher Tapetenkleister ist zu empfehlen? Wie gehe ich in Räumen vor, in denen die Tapete mit Wasser in Berührung kommen kann? Auch das ist durchaus im Sinne der Nachhaltigkeit.

Kunst und Designgeschichte

Aber auch Kunst an den Wänden ist gefragt. Zahlreiche berühmte Künstler:innen haben Tapeten entworfen, wie eine Ausstellung im Neuen Museum Nürnberg beweist: »Tapetenwechsel« zeigte Arbeiten vom schottischen Bildhauer Martin Boyce bis zur provokanten britischen Künstlerin Sarah Lucas, die zu raumgreifenden Installationen wurden. Aber auch im MAK-Designshop wird man fündig: Die Tapete »Blütengarten« basiert auf einem Entwurf von Felice Rix-Ueno und wurde 1928 im Auftrag der Wiener Werkstätten von der Firma Salubra hergestellt. Heute wird sie in aufwendigem Surface-Print-Verfahren in England produziert. Sie ist hochmodern und doch ein Stück Designgeschichte.

Erschienen in
LIVING 08/2024

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Karin Cerny
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