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© Rene Suurkaev

Das ewige Leben: »FOKUS: Ageing«

Design
Wien
Eventtipp

Perfekt ist fad – im Design wie im Leben. Es sind die Kratzer, Narben und Patina, die Geschichten erzählen. Die Ausstellung »FOKUS: Ageing« zeigt die kreative Kraft, die im Altern steckt. Ein Plädoyer gegen zu viel Hochglanz.

Nur das Neue ist schön? Mitnichten – und wer Derartiges behauptet, hat wohl auch vom Leben nicht wirklich eine Ahnung. Denn das, was glänzend neu aus dem Karton kommt, verliert in dem Moment an Aura, in dem es Besitz ergreift von unserem Alltag. Der Lack mag glänzen, die Oberfläche ohne Makel sein, aber es sind die Kratzer, die Schrammen, die Abriebe, die Dinge erst interessant machen.

Gerade in der Designwelt rückt deshalb das Altern in all seinen Facetten aktuell immer stärker in den Mittelpunkt. Keine Frage: Der gegenwärtige Diskurs entfernt sich zunehmend vom reinen Streben nach Perfektion. Glatte Oberflächen und makellose Formen erwecken weniger Interesse als Risse, Brüche und Patina. Die Geschichte, die von den Gebrauchsspuren erzählt, ist es, die emotionalisiert. »Mich interessiert, wie Objekte durch die Zeit Geschichte sammeln«, sagt Sandra Nuut. Die Kuratorin arbeitet im Estnischen Museum für Angewandte Kunst und Design in Tallinn und stellte die Ausstellung »FOKUS: Ageing« im Auftrag der VIENNA DESIGN WEEK zusammen. Darin versammelt: Positionen, die allesamt das Altern als kreative Energiequelle begreifen. »Ein Stuhl mit Kratzern oder ein Gefäß mit Rostspuren hat Charakter – er oder sie ist wie ein alter Freund, der etwas erlebt hat.«

Die Schau gliedert sich in drei Kapitel, die jeweils einen anderen Blickwinkel öffnen – auf Material, auf Wandel und auf Erinnerung. Gemein ist allen Arbeiten: Sie verweigern sich der ständigen Jagd nach der Idee des »immer Neuen«. Stattdessen laden die Designer:innen ein, den Wert des Verbleibens und die Intensität des Werdens neu zu betrachten.

»Zmiana« von Dawid Fik, 2024
Aus Schrottplatzfunden entsteht eine Möbelserie, die Garagenwerkstätten und DIY-Traditionen zitiert. Dawid Fik erarbeitet das mit seinem Vater Zygmunt. Beide verbinden Handwerkserfahrung mit Design und verwandeln Metallreste in funktionale, charakterstarke Stücke.

© Dawid Fik

»Rosette Table« von Chai Dienn, 2025
Aus Restmaterial gefertigt und seidenmatt lackiert verbindet der Tisch Einflüsse aus Mythologie, Tempelskulpturen, Fossilien und Biotechnologie. Dienn denkt erzählerisches Design als Mittel, zeitgenössische Mythen zu erschaffen und Vergangenheit mit spekulativen Zukünften zu verweben.

© Chai Dien

Natur verändert

Ein erster Themenschwerpunkt läuft unter dem Titel »Working with Nature«. Hier wird Natur nicht reduziert auf eine zu verarbeitende Ressource, sondern als Partnerin verstanden. Beton, der sich selbst repariert, oder Salzkristalle, die textile Oberflächen langsam überziehen und mit jeder Stunde neue Muster wachsen lassen: Diese Werke sind nicht statisch, sie leben.

Nicht minder aufschlussreich ist die Kategorie »Embracing Change«. Hier manifestiert sich, wie eng Gebrauch, Alter und Sinnlichkeit miteinander verwoben sind. Ein Tisch mit Rotweinflecken, Leder mit Narben, Holz mit Kratzern: All das beginnt, Schönheit anders zu definieren. Nuut spricht von »Entwicklungen« – und das meint viel. Dinge treten aus der Schattenrolle des Makels heraus und werden zu Gefährten, deren Alter nicht Minderung, sondern Mehrwert bedeutet. Design wird so in gewisser Weise auch zur Metapher für den menschlichen Alterungsprozess.

»Nature Series« von Ejla Miletić, 2025
Ein skulpturales Ensemble aus Wachsformen auf Steinsockeln, das im Schmelzen Farb-spuren hinterlässt. Das Werk lädt zur Reflexion über Altern und Veränderung als stille Prozesse ein. 

© Ejla Miletic

»Matrie« von Bertille Laguet, 2025
Inspiriert von mexikanischen Lebensbäumen verbindet das Werk skulpturale Figuren mit persönlichen Erinnerungen an Mutter und Großmütter. 

© Bertille Laguet

Vergangenheit formt Zukunft

Der dritte Pfeiler schließlich trägt den Titel »Collaborating with the Past and Present«. Gemeint ist die fruchtbare Reibung zwischen Gestern und Heute. Wo traditionelle Handwerkstechniken neu gedacht werden, wo alte Objekte überarbeitet oder in neue Kontexte gestellt werden. »Alter ist kein Versagen, sondern ein Prozess«, sagt Nuut. Im Dialog mit dem Bestehenden entstehen keine bloßen Neuauflagen, sondern Objekte, die Zeit überbrücken. Das Ergebnis ist eine Ausstellung, die gleichermaßen poetisch wie politisch zu verstehen ist. Poetisch, weil sie zeigt, wie aus Kratzern Geschichten werden. Politisch, weil sie das Produzieren auf Hochglanz, den Zwang zum Immer-Neuen infrage stellt. Stattdessen appelliert sie an unser Verhältnis zu Dingen. Nuut selbst bringt es auf den Punkt: »Wenn wir mit der Vergangenheit arbeiten, statt sie auszublenden, entsteht etwas zutiefst Verbindendes.« Ein Satz, der weit über den Kontext des Designs hinausweist: hin zu unserer Haltung gegenüber Vergänglichkeit, Erinnerung – und letztlich gegenüber uns selbst.

»OTO« von Jakob A. Brix, 2024
Mit dem Stadtbahn-Hocker »OTO« interpretiert Jakob A. Brix Otto Wagners Geländermotiv von 1895 neu – ein Stadtbild-Element, das seit über 130 Jahren präsent ist. 

© Jakob A. Brix

»Slaite Hutch« von Jeremy Hollister, 2025
Das Stück verbindet zeitgenössisches Design mit schottischer Bautradition. Ein Gestell aus Esche verweist auf Sparren- und Balkenkonstruktionen, Schwalbenschwanzverbindungen betonen Struktur und Handwerk. Die Schieferplatten stammen von einem 100 Jahre alten Dach. 

© Jeremy Hollister

Erschienen in
LIVING 07/2025

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Nora Schwan
Nora Schwan
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