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© Frantic/Alamy Stock Photo

Belgrad: Auf dem Weg zur Metropole

Architektur
Städtereise

Serbiens Hauptstadt Belgrad erfindet sich gerade neu. Das Sanierungspotenzial ist gewaltig, parallel werden neue Stadtteile entwickelt. Die Expo 2027 motiviert die Stadtplanung und Architektur zu neuen Wohnvierteln.

Belgrad ist eine brodelnde Stadt. Nahezu romantisch wirken die altmodischen Straßenbahnen, die sich ihren Weg durch die vom Verkehr verstopfte Stadt suchen. Doch es wird nicht gehupt, es gibt kein Geschimpfe – Fußgänger:innen müssen dennoch vorsichtig sein, denn Auto gefahren wird hier sehr offensiv. Dazwischen fädeln sich einzelne Radfahrer:innen durch. Noch ist das Radnetz nicht ausgebaut, aber auch das soll kommen. Die serbische Hauptstadt ist eine der ältesten Städte Europas.

Aktuell leben 1,6 Millionen Einwohner:innen in Belgrad. Die Transformation läuft, der Umschwung in Richtung Modernisierung ist spürbar. Die Belgrader Stadtregierung arbeitet auf Hochtouren, denn 2027 ist Belgrad Expo-Stadt – bis dahin soll es drei U-Bahn-Linien geben, viele neue Wohnungen wie auch Sanierungen sollen realisiert werden. Das Expo-Areal soll anschließend für neue Wohnbauten genützt werden. Zudem werden ebenso alte Fabrikbrachen entwickelt, rund 36 Hektar sollen bebaut werden; Investor:innen werden gesucht. Rund 5.000 Wohnungen für 13.500 Bewohner:innen sind geplant. Die Wohnbauten werden laut Stadtplanung maximal 64 Meter hoch sein, Bürobauten 120 Meter. Das ist noch Zukunftsmusik, in der Stadtplanung von Belgrad klingen die Pläne aber schon sehr real. Marija Lalosevic von der Stadtplanung will in den Stadterweiterungsgebieten wie z. B. in Dorćol oder auch im elitären Stadtteil Dedinje staatliche Wohnungen und Reihenhäuser in Miete und Eigentum bauen.

Waterfront: Der neueste Stadtteil Belgrads, direkt an der Save – mit rund 9.000 Wohnungen, Flaniermeile und 
umfassender Infrastruktur von Schulen bis zu Büros.

Waterfront: Der neueste Stadtteil Belgrads, direkt an der Save – mit rund 9.000 Wohnungen, Flaniermeile und umfassender Infrastruktur von Schulen bis zu Büros.

© MIRJANA DJURDJEVIC0

Fast nur Eigentumswohnungen

Nach der großen Privatisierungswelle in den 1990er-Jahren investierte die Stadt kaum noch in den öffentlichen Wohnbau. 95 Prozent der Wohnungen sind im Eigentum. Zugegeben, das Sanierungspotenzial in der Altstadt ist exorbitant, aber dennoch, das Flair der Stadt ist spürbar: Künstler:innen, Kulturschaffende und Bewohner:innen in sozial benachteiligten und in wohlhabenden Verhältnissen leben hier neben- und miteinander. Das Besondere: Die Architekturstile reichen von Jugendstil bis zu Bauten, die an Le Corbusier erinnern, bis zu brutalistischen Entwürfen, die unter Denkmalschutz stehen – wie der Genex-Tower, ein Wohn- und Bürohochhaus mit 115 Metern, eines der geheimen Wahrzeichen Belgrads, das auch das »Westtor von Belgrad« genannt wird, geplant vom serbischen Architekten Mihajlo Mitrović. Die Nähe zum Wasser wird nun auch mehr genützt, die »Betonhallen«, ehemalige Lagerhallen, wurden für Gastronomie und kleine Geschäfte adaptiert und dort, direkt an der Save, zeigt sich die positive Aufbruchstimmung der Stadt.

Bei einem Spaziergang durch die Stadt, auf Einladung des Vereins für Wohnbauförderung, VWBF, zeigt Violeta Vujovic-Salhofer, Architektin und in Belgrad aufgewachsen, das alte wie auch das neue Belgrad. »Es wird eifrig gebaut, es sind jedoch vor allem ausländische Investoren, die hier neue Wohnbauten errichten, interessant für Anleger – weniger für die nicht so wohlhabende Bevölkerung«, so Vujovic-Salhofer. Michael Gehbauer, Obmann des VWBF, berichtet von seiner letzten Reise vor zehn Jahren nach Belgrad und vergleicht die Situation mit heute: »Die damalige sozialdemokratische Regierung wollte rund 1.000 Wohnungen pro Jahr bauen, doch nun geht es ausschließlich in Richtung Eigentum.«

Die Nachfrage nach Anlagewohnungen ist enorm – so gibt es an Zemun, der ehemaligen k. u. k. Stadt an der Donau, heute ein Stadtteil Belgrads, großes Interesse. Noch sind die Preise moderat, aber in den neuen Stadtentwicklungsgebieten liegen die Preise pro Quadratmeter bereits bei 3.000 Euro. Gekauft wird von Belgrader:innen ebenso wie von Russ:innen, Ukrainer:innen und Emiratis.

Neu-Belgrad, so heißt der Stadtteil nahe der Save. Direkt am Fluss entsteht nun auch mit der Waterfront, unter der Bauherrschaft von Eagle Hills, ein völlig neues Stadtviertel, das in 14 Gebäuden rund 9.000 Wohnungen bietet. Dazu werden Schulen, Kindergärten, Geschäfte, Büros, Hotels, großzügige Parkanlagen und eine entlang der Save verlaufende Flaniermeile mit Restaurants und Bars errichtet. Obwohl im Hintergrund noch Baukrane arbeiten, sind die öffentlichen Bereiche bereits sehr lebendig: Spaziergänger:innen, Radfahrer:innen und verschiedene neue Lokale geben allesamt ein buntes Treiben direkt am Fluss.

Belgrads Waterfront gilt als ein monumentales Projekt der Stadterneuerung. Die neue Save-Brücke schafft eine Verbindung zwischen Alt- und Neu-Belgrad, womit auch die Durchmischung der Bevölkerung forciert wird. Der Belgrad Tower des Architekturbüros SOM, ein Wohnturm mit 42 Stockwerken, ist von Weitem sichtbar, ist das neue Prestigeprojekt der serbischen Hauptstadt. Die Stadt der Superlative ist erneut auf dem Weg zur Metropole.

Erschienen in
Ausgabe 02/2024

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Gisela Gary
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