Architekturporträt: Wo die Chalets am Kopf stehen
Das Südtiroler Architekturbüro NOA ist ein Spezialist für Gastgewerbe, Hotellerie und Bauen im alpinen Gefüge – und beweist mit seinen Projekten, das das Spiel mit Traditionen keinesfalls fad sein muss. Ein Hüttenritt durch die Dolomiten.
Man muss schon ein paarmal hinsehen und fest mit den Augen blinzeln, um sicher zu sein, dass man nicht ein paar Zirbenschnäpse zu viel hinuntergeschüttet hat. Doch nein, das ans Hirn weitertransportierte Bild scheint korrekt zu sein: Auf stählernen Baumstämmen, weit aus der Böschung ragend und scheinbar schwerelos über dem Hang schwebend, Blick hinunter ins Tal auf die kleine Ortschaft Olang, entfaltet sich ein Gewirr aus nach oben stehenden und nach unten hängenden Satteldachhäuschen, ganz so, als würden sich die Giebeldächer – gleich einer alpinen Fata Morgana – in einer fiktiven, im Himmel plätschernden Wasseroberfläche spiegeln.
»Hub of Huts«, so der offizielle Name des Projekts, ist ein Spa- und Wellnesszubau zum bestehenden »Hotel Hubertus« am Fuße der Südtiroler Dolomiten. 2016 schon baute NOA hier einen ins Nichts hinausragenden Infinitypool, doch nun wünschte sich der Bauherr noch eine kleine Draufgabe. »Er meinte, wir sollen uns so richtig was trauen und gerne was ganz Verrücktes vorlegen«, erinnert sich Barbara Runggatscher. »Doch dann, als wir ihm unseren Entwurf präsentiert haben, war er zunächst einmal schockiert, danach zwar immer noch sprachlos, letztendlich aber hat ihn das Konzept überzeugt, und wir haben den Auftrag zur Realisierung bekommen.«
Bei »Hub of Huts« handelt es sich – im Konzeptsprech der Architekt:innen – um einen »Perspektivwechsel«, um ein »Umkippen von Horizonten«, um einen »Abstieg ins Erdinnere bei gleichzeitig umgekehrten Polen«, vor allem aber um einen bereits tausendfach fotografierten und in sozialen Medien veröffentlichten Insta-Point, der dem Wellnesshotel »Hubertus« seit Fertigstellung im Sommer 2022 eine ganze Schar an neuen Influencer:innen und Besucher:innen beschert hat. »Hub of Huts ist nicht nur ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Projekt«, sagt Runggatscher, »sondern auch der Beweis dafür, wie mächtig ein architektonisches Bild sein kann.«

»Falkensteiner«-Resort. Das bestehende Familienresort »Falkensteiner« im Pustertal, 1957 errichtet, musste erneuert und erweitert werden. Gelungen ist dies mit einer neuen Dachattika, die sich wie ein schuppiges Reptil um das Haus schmiegt.
falkensteiner.com
Und dafür ist das in Bozen, Mailand, Turin und Berlin beheimatete Büro NOA – das Akronym steht für Network of Architecture – ein Spezialist. Gegründet wurde das Büro 2011 von Stefan Rier und Lukas Rungger. 2020 kamen drei neue Partner:innen hinzu: Andreas Profanter, Christian Rottensteiner und die für Innenarchitektur zuständige Barbara Runggatscher. »Begonnen hat alles mit dem ›Valentinerhof‹ auf der Seiser Alm«, erzählt sie, »und seit damals, seit dem allerersten Tag, ist Hospitality unser absoluter Büroschwerpunkt.« Mehr als 90 Prozent aller NOA-Projekte sind im Bereich Hotellerie und Gastgewerbe angesiedelt. Durch den präzisen Fokus und den hohen Stellenwert des Tourismus in Südtirol ist NOA in nur wenigen Jahren auf 31 Mitarbeiter:innen angewachsen.
Im Portfolio finden sich kleine Schmuckstücke wie etwa das Bergdorf »Zallinger« auf der Seiser Alm, extravagante Designhotels wie das »Aeon« am Lobishof, wo die alpine Bautypologie des Chalets mit einem geometrischen Kniff neu interpretiert wurde, aber auch große, massentouristische Infrastrukturen wie etwa das Familienhotel »Falkensteiner« im Pustertal: Auf das bestehende Hotel aus dem Jahr 1957 setzte NOA eine expressive Dachlandschaft, eine Art schuppiges Reptil, eine Schlange vielleicht oder aber auch einen Salamander, der die neue Silhouette prägt und sich genügsam um die Pool- und Teichlandschaft legt.
»We build stories«
»Wichtig ist auf jeden Fall, dass wir mit jedem neuen Projekt eine Geschichte erzählen«, sagt Barbara Runggatscher. »Vor allem in Südtirol haben wir es hauptsächlich mit kleinteiligen Tourismusstrukturen, mit familiengeführten Hotels zu tun, und da ist es wichtig, dass wir nicht nur ein für Kund:innen und Besucher:innen attraktives Produkt erschaffen, sondern auch ein Haus bauen, in dem sich die Betreiber:innen und Auftraggeber:innen in ihrer Persönlichkeit wiederfinden.« Mit diesem Anspruch versteht man auch das Designmotto von NOA, das sich als Manifest auf der Website findet: »We build stories. We practise architecture to tell a narrative.«
Genau dafür wird NOA in Fachkreisen mitunter auch kritisiert. Bekrittelt wird die Effekthascherei, die Interpretation der Architektur als Marketing-Tool und imposante Visitenkarte, die das Ikonische vor dem Lokalen und Regionalen bevorzugt. »Das Weiterdenken und Weitererfinden von Traditionen, das Ausreizen von Grenzen ist die DNA von uns Architekt:innen, das ist unser Job«, so Runggatscher. »Und gerade in einer Welt, voll mit jederzeit konsumierbaren Bildern, braucht es Wahrzeichen mit Wiedererkennungswert.«

Berghaus »Zallinger«. Im Klimahotel »Zallinger« auf der Seiser Alm wurden alte Scheunen aus dem 19. Jahrhundert zu Mini-Chalets umgebaut. Mit dem neuen Zubau von NOA ist der Charme des wiedergeborenen Alpendorfs komplett.
zallinger.com

»Ötzi Peak«. Am Schnalstaler Gletscher hat NOA in 3.251 Metern Seehöhe diese Aussichtsplattform aus Stahl und Glas geschaffen.
suedtirolerland.it

»Colorado Villa«. Nicht nur in Südtirol, sondern auch in den Rocky Mountains ist NOA tätig: Im Bundesstaat Colorado entsteht eine 600-Quadratmeter-Villa für drei Generationen. Grundlage für den Entwurf ist die sogenannte A-Frame-Typologie.
© Alex Filz
»Floris Green Suites«. Das »Parc Hotel Florian« in Seis am Schlern wurde um zehn neue Suiten erweitert. Dank Stützenkonstruktion konnte die Versiegelung des Naturraums auf ein Minimum reduziert werden.
hotelflorian.it