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©Hayes Davidson

GROSSSTADT MIT DSCHUNGEL: THOMAS HEATERWICKS ARCHITEKTURPORTRÄT

Architektur
Natur
Bau

Der Londoner Thomas Heatherwick ist zwar ausgebildeter Designer, doch sein Schwerpunkt liegt heute auf grünen Architekturprojekten in aller Welt. Die vegetativen Impulse auf Plätzen, Dächern und Fassaden sollen das Klima verbessern und Bewusstsein schaffen.  

Sie ragen wie begrünte Muscheln aus der Fassade, wie üppig drapierte Kandelaber – mit überhängenden Weiden, Farnen und meterlangen Lianen. »Mit der Zeit«, sagt Thomas Heatherwick, »werden die Pflanzen dem Haus eine immer weichere, samtigere Haut verleihen. Ich will, dass das Haus wächst wie ein Sprössling, der unter dem Asphalt Wurzeln geschlagen hat und der sich nun mehr als hundert Meter hoch in den Himmel kämpft – und damit einen bewussten Kontrast schafft zu den harten, allgegenwärtigen Stahl- und Glastürmen rundherum.« Der Ort ist kein Zufall, immerhin pflegt der kleine, tropische Stadtstaat Singapur seit vielen Jahrzehnten schon eine grüne Kultur des Wohnens und Lebens. Aufgrund der begrenzten Staatsfläche von nur 730 Quadratkilometern – kleiner als Berlin – spielt die Verwebung von Stadt und Natur hier eine besonders große Rolle. Und die 20 Wohnungen, luxuriös dimensioniert, eine Einheit pro Etage, haben es in sich: Aus dem Wohnraum tritt man direkt auf den organisch geformten Balkon, vor einem ein Panorama aus sattgrünem Blätterwerk, aus Palmen und Bananen, und sogar der Fischgrätparkettboden reicht, um den Innen- mit dem Außenraum atmosphärisch zu verbinden, bis hinaus ins Freie. 

Thomas Haetherwick. »Ich will, dass das Haus wächst wie ein Sprössling, der unter dem Asphalt Wurzeln geschlagen hat und der sich nun mehr als hundert Meter hoch in den Himmel kämpft.«

©Raquel Diniz

Eden, Singapur. Für den asiatischen Developer Swire Properties Ltd. plante Thomas Heatherwick diesen 105 Meter hohen Turm mit begrünten Dschungel-terrassen. Seine Vision dafür, sagt er, war die Verschmelzung von Stadt und Garten.
eden.sg, swireproperties.com

©HuftonCrow

Thomas Heatherwick, 1970 in London geboren, wollte eigentlich Erfindertum und Fantasie studieren, wie er im Interview erzählt. Nachdem er jedoch einsah, dass das Unisystem eine solche Ausbildung nicht abdeckt, sattelte er um und studierte 3D-Design am Manchester Polytechnic sowie Möbeldesign an der Royal Academy of Art in London. 1994 gründete er sein eigenes Büro in London – damals noch mit einem deutlichen Fokus auf Design, Stadtmobiliar und Mobilitätstechnologien. Mittlerweile hat das Heatherwick Studio 250 Mitarbeiter:innen oder – wie der Meister es formuliert – »250 Problemlöser, die sich dem Ziel verschrieben haben, die physische Welt rundherum für uns alle ein bisschen besser, genussvoller und menschlicher zu machen«. Weltweit berühmt wurde Heatherwick auf einen Schlag 2010 mit dem Redesign des knallroten Londoner Doppeldeckerbusses Routemaster, mit dem es ihm gelungen ist, sogar Konkurrenten wie Sir Norman Foster und den Luxuskarossenbauer Aston Martin auszustechen. Das neue, asymmetrische Outfit orientiert sich an den Stromlinien und Stiegenaufgängen und wirkt wie eine futuristische Neuinterpretation des alten Klassikers. Insgesamt sind auf Londons Straßen – längst zur Sehenswürdigkeit avanciert – rund 720 dieser Busse im Einsatz. Obwohl Heatherwick im Laufe der kommenden Jahre immer wieder Designaufträge von Bootsbauern, Automobilherstellern und dem französischen Parfumeur Christian Louboutin erhielt, verlagerte sich sein Schwerpunkt zunehmend in Richtung Architektur – ob das nun das Zeitz MOCAA Museum of Contemporary Art Africa in Kapstadt ist, die viel kritisierte Treppenskulptur »Vessel« auf den Hudson Yards in New York oder der neue Google Campus im Londoner Stadtentwicklungsbiet King’s Cross. 

New Routemaster, London. Seit 2012 ist der neue Routemaster auf Londons Straßen unterwegs. Das Design ist eine futuristische Neuinterpretation des klassischen Doppeldeckerbusses.

©Iwan Baan

Spun. Ursprünglich wurde das Sitzmöbel »Spun« in Aluminium gefertigt – und zwar als maschinell gedrechselte Skulptur. Der italienische Möbelproduzent Magis stellt den »Spun« nun auch in einer Light-Version aus Polypropylen her.
magisdesign.com

©Susan Smart

Was sofort auffällt: Waren seine Projekte zu Beginn noch rein auf Design, Ästhetik und Werbewirksamkeit fokussiert, so entwickeln sich seine urbanen Implantate mehr und mehr zu grünen Lungen, zu öffentlich begehbaren Parks, Gartenanlagen und ins Stadtgefüge eingebettete Terrassenlandschaften. Am Hudson River in New York etwa plante der 55-jährige Stadtdesigner einen Inselpark aus 132 organisch geformten Betonschwammerln, die auf einer Fläche von einem Hektar zu einer poetischen Topografie zusammenwachsen und im dichten Manhattan eine kleine Oase der Ruhe schaffen. Die einzelnen Pilzstützen ragen zwischen fünf und 19 Meter über die Wasseroberfläche und wurden in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Arup und der Landschaftsarchitektin Signe Nielsen entwickelt. Darüber hinaus verfügt Little Island – so der offizielle Titel – über Imbiss­stände und ein Amphitheater mit 687 Sitz­plätzen. Doch die richtig großen Urban-Green-Projekte werden derzeit in Asien realisiert, in Xi’an, in Shanghai, in den Azabudai Hills in Tokio. Am Suzhou Creek in Shanghai stehen und wachsen die sogenannten 1000 Trees.
Die Besonderheit dabei: Im Gegensatz zu herkömmlichen Gebäuden wurde die tragende Säulenstruktur des 20-stöckigen Wohn- und Officekomplexes sichtbar nach außen gestülpt. Die rund tausend Säulenkapitäle dienen dabei als Pflanzentröge für Büsche und Bäume aller Art. Das wuchernde Bauwerk soll nicht zuletzt die dauergeplagte Smog-Metropole entlasten. Und in Tokio errichtete die Mori Building Company, Japans führender Stadtlandschaftsentwickler, eine acht Hektar große Topografie mit Wohnungen, Büros, Restaurants, Kunstgalerien, einer Schule und sogar zwei shintoistischen Tempelanlagen. Bäume, Büsche, Blumenbeete, Wasserspiele und verschlungene Wege legen sich wie ein grüner Schleier über das Quartier. 

Little Island, New York. An der Westküste von Manhattan setzte Heatherwick Studio 132 kelchförmige Betonpilze in den Hudson River. Das Parkprojekt wurde unter anderem von Barry Diller und Diane von Fürstenberg finanziert und im Mai 2021 eröffnet.
littleisland.org

©HuftonCrow

Centre Culture Business District, Xi’an. Der 230.000 Quadratmeter große Komplex, errichtet von CRL China Resources Land, umfasst Wohnungen, Büros, Hotels und einen öffentlich begehbaren Park. Eintritt frei.
en.crland.com.hk

©Qingyan Zhu

»Wir waren inspiriert, einen Ort zu schaffen, der die Emotionen der Menschen anspricht«, sagt Thomas Heatherwick, »und in dem sie miteinander in Kontakt treten und die grüne Stadtlandschaft genießen können – etwas ganz Neues in einer so dicht bebauten Stadt wie Tokio.« 

Azabudai Hills, Tokio. Ein neues Stadtviertel mit Bäumen, Büschen, Wasserspielen, Kunstgalerien und sogar zwei shintoistischen Tempelanlagen wurde 2023 eröffnet.
mori.co.jp/en

©Raquel Diniz

1000 Trees, Shanghai. Die rund tausend Säulenkapitäle dieses Wohn- und Bürokomplexes wurden nach außen gestülpt und dienen zugleich als Pflanzentröge. Errichtet wurde das Projekt von der SCG Shanghai Construction Group und der Tian An China Investments Company.
scg.com.cn, www.tiananchina.com

©Qingyan Zhu

Erschienen in
LIVING 02/2025

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Wojciech Czaja
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